verbreitete.1
Diesem Martyrer der Freiheit, der Erlosang der Menschheit aus der Schmach der Sclaverei, wollte ich als Patriot meine Ehrerbietung bezeugen.
Jetzt bin ich endlich in Virginien, liebe Mutter, in dem fruher ausgesprochensten Sclavenstaate, der zuerst zum Schauplatz des Secessionskrieges wurde. Ich mochte es den Geographen uberlassen, Dir – wenn es Dich interessiert – zu sagen, da? er der Ausdehnung nach unter den Staaten der Union die dreiunddrei?igste Stelle einnimmt, da? er in hundertneunzehn Grafschaften zerfallt, da? er ferner, trotz der an der Westseite erlittenen Amputation, noch immer einer der machtigsten in der Nordamerikanischen Republik ist, da? Damwild und Oppossums hier immer seltener werden, da? Kraniche, Wachteln und Geierbussarde haufig daruber umherflattern, und er im Ueberflu? Weizen und Korn, Mais und Sarrasin, vorzuglich aber Baumwolle erzeugt, was mir lieb ist, weil ich Hemden trage, aber auch viel Tabak, was mich wenig kummert, da ich nicht rauche.
Was Richmond selbst angeht, so ist es eine hubsche Stadt, die Ex-Hauptstadt des separatistischen Amerika, der Schlussel Virginiens, den die Bundesregierung erst zuletzt in ihre Tasche steckte. Es liegt, von sieben Hugeln beherrscht, am Ufer des Jamesflusses und streckt, auf dem anderen Ufer, Manchester die Hand entgegen, eine Doppelstadt, die es in Amerika, wie die Doppelsterne am Himmel, so vielfach giebt. – Die Stadt ist jedenfalls sehenswerth, vor allem ihr Capitol, eine Art griechischen Tempels, dem freilich der Himmel Attikas und der athenische Hintergrund der Akropolis ganz ebenso fehlen, wie dem Parthenon in Edinburg. Leider giebt es hier, wenigstens fur meinen Geschmack, zu viele Fabriken und Werkstatten, z. B. allein hundert fur Bearbeitung des Tabaks. Daneben besteht aber auch ein vornehmes Viertel, die Leonard Height, wo sich ein Denkmal zu Ehren des Consoderiertengenerals Lee erhebt, der diese Ehrung zwar nicht wegen der von ihm vertheidigten Sache, doch wegen seiner personlichen Eigenschaften recht wohl verdient hat.
Im ubrigen, liebe Mutter, kann ich Dir nur sagen, da? ich die anderen Stadte des Staates nicht besucht habe. Sie ahneln sich, wie die amerikanischen Stadte uberhaupt, auch mehr oder weniger alle. Ich kann Dir also nichts uber Petersburg mittheilen, das die Stellung der Separatisten im Suden ebenso vertheidigte, wie Richmond im Norden, nichts uber Yorktown, wo vor achtzig Jahren der Unabhangigkeitskrieg durch die Capitulation des Lord Cornwallis sein Ende fand, und ebensowenig von den Schlachtfeldern, wo Mac Clellan weniger glucklich als Grant, Sherman und Sheridan gegen Lee gekampft hatte. Ich ubergehe ferner Lynchburg, heute eine recht lebhafte Fabrikstadt, wohin die secessionistischen Heere fluchteten und von wo sie sich nach den Appalachenbergen zuruckziehen mu?ten, was am 9. April 1865 das Ende des Burgerkrieges herbeifuhrte. Ich spreche nicht von Norfolk, Roanoke, Alexandria, der Chesapeakebai und den zahlreichen Badeorten des Staates, und kann auch nur sagen, da? zwei Funftel der virginischen Bevolkerung zwar farbige, doch recht ansehnliche Leute sind, und da? sich nahe der kleinen Stadt Luray unterirdische Hohlen befinden, die vielleicht schoner sind als die Mammoth Caves von Kentucky.
Dabei fallt mir ein, da? die arme Lissy dort die ungerechte Entscheidung des Schicksals erfahren hat, die sie nach Missouri, man kann fast sagen, deportierte. und ich frage mich, wie es ihr werde moglich gewesen sein, den dreifachen Einsatz mit dreitausend Dollars zu entrichten. Das verursacht mir wirklichen Kummer, und Du wirst das ja wohl begreifen…
Eben hab’ ich in Richmond auf einem Placat den Ausfall des Wurfelns vom 10. Juni gelesen. Die funf Augen – durch zwei und drei – verweisen den beruhmten, unbekannten X. K. Z. nach Minnesota. Vom sechsundvierzigsten Felde gelangt er damit nach dem einundfunfzigsten und gleichzeitig an die Spitze der Partner. Doch wer zum Teufel ist nur dieser Mann? Er scheint mir die besten Aussichten zu haben, und ich zweifle sehr, da? ich ihn morgen, wenn die Wurfel fur mich fallen, uberholen werde.
Hiermit, liebste Mutter, schlie?’ ich diesen langen Brief, der Dich nur interessieren kann, weil er von Deinem Sohne kommt. Ich umarme Dich inniglich, indem ich meinen Namen unterzeichne, der eigentlich nur noch der eines Rennpferdes ist, das auf dem Turf Hypperbone lauft.
Max Real.«
Fu?noten
1 Wir schalten hier ein, was der gro?e franzosische Geograph Elisee Reclus uber diese Vorgange gesagt hat, und es steht zu hoffen, da? seiner edelmuthigen Anregung doch noch einmal Rechnung getragen wird.
»Es giebt keinen noch so untergeordneten Fuhrer foderalistischer Truppen, die in dem gro?en Kriege gekampft haben, der auf den Platzen von Washington oder von anderen Stadten des Nordens nicht sein Ehrendenkmal hatte; die Stelle aber, wo John Brown fiel, dessen ›Seele vor den Armeen marschierte‹ und der durch sein Beispiel fur den schlie?lichen Sieg mehr gethan hat, als alle Berechnungen der Generale, diese Stelle bleibt, der Menge fast unbekannt, noch immer ein Haufe wuster Trummer.«
Achtes Capitel.
Der Faustschlag des Reverend Hunter.
Wenn irgend jemand wenig geeignet erschien, das siebenundvierzigste Feld zu besetzen, nach dem Staate Pennsylvanien und darin nach Philadelphia, der Hauptstadt des Staates, sowie gleich nach New York und Chicago der bedeutendsten Stadt der Union, geschickt zu werden, so war es gewi? Tom Crabbe, der Schwachkopf von Natur und Boxer von Beruf.
Das Schicksal macht aber einmal gern verkehrte Streiche, wie es im Sprichwort hei?t, und an Stelle Max Real’s, Harris T. Kymbale’s oder Lissy Wag’s, die alle die Pracht dieser Metropole mit Verstandni? bewundert hatten, sendete es jenen Dummkopf in Begleitung seines Traineurs John Milner hierher. Das hatte sich das verstorbene Mitglied des Excentric Club jedenfalls nicht traumen lassen.
An der Thatsache lie? sich jedoch nichts andern, am 31. Mai hatten »die Wurfel gesprochen«. Die Augenzahl zwolf – durch sechs und sechs – war mittelst des Telegraphendrahtes zwischen Chicago und Cincinnati gemeldet worden. Der zweite Partner traf denn auch sofort Anstalt, das alte Porcopolis zu verlassen.
»Ja, ja, Porcopolis! rief bei der Abfahrt John Milner in verachtlichstem Tone. Wie, an dem Tage, wo es Tom Crabbe zuerst mit seiner Gegenwart beehrte, walzt sich seine ganze Bevolkerung wie besessen nach einer Thierschau hinaus! Einem Russelthiere wendet sich die ganze offentliche Aufmerksamkeit zu, kein einziges Hurrah aber ertont fur den Champion der Neuen Welt!… Schon gut, wenn wir den gro?en Geldbeutel Hypperbone’s erst eingesteckt haben, wird schon der Tag der Rache kommen.«
Richmond. – Old Court House. Die alte Handelsborse.
John Milner ware freilich in die gro?te Verlegenheit gekommen, wenn er hatte erklaren sollen, worin diese Rache bestehen werde. Vorlaufig handelte es sich in erster Linie ja darum, die Partie zu gewinnen. Tom Crabbe hatte also, der Weisung des Telegramms zufolge, nichts anderes zu thun, als in den Zug nach Philadelphia zu springen.
Nicht als ob es ihm an der zehnfachen Zeit fur diese Reise gemangelt hatte. Die Staaten Ohio und Pennsylvanien sto?en aneinander. Sobald man uber die Grenze des ostlichen von ihnen kommt, befindet man sich schon in dem anderen. Zwischen den beiden, nur sechshundert Meilen (965 Kilometer) von einander entfernt liegenden gro?en Stadten stehen dem Reisenden mehrere Bahnlinien zu Gebote. Die Fahrt ist in zwanzig Stunden bequem abzumachen.
Das ist so ein Glucksfall, der dem Commodore Urrican freilich nicht begegnen sollte, und der weder den Neid des jungen Malers, noch den des Reporters der »Tribune«, die immer lange Fahrten bevorzugten, im geringsten erregen konnte.
John Milner argerte sich ebensowenig wie Tom Crabbe daruber, keinen Tag mehr in dieser Stadt zu verweilen, die nur fur phanomenale Vertreter der Schweinerasse Sinn hatte. Sobald der Traineur nur die Plattform des Zuges betreten hatte, schuttelte er sich gewi? mit Verachtung den Staub von den Fu?en. Um die Anwesenheit Tom Crabbe’s in Cincinnati hatte sich ja keine Seele gekummert, kein Interviewer war nach seinem Hotel in der