Neuntes Capitel.
Zweihundert Dollars taglich.
Einen Fetisch fur das Titbury’sche Ehepaar?… Gewi? machte sich das Bedurfni? fur einen solchen geltend, und ware es nur ein Endchen des Stricks, mit dem der Rauber Bill Arrol gehenkt worden war… es ware hochwillkommen gewesen. Doch, wie der Beamte in Great Salt Lake City erklart hatte, man musse ihn erst fangen, dann wurde er gehangen… und das schien sich nicht so bald erfullen zu sollen.
Dieser Fetisch, wenn er Hermann Titbury das Gewinnen der Partie gesichert hatte, ware ja mit den ihm im Cheap Hotel gestohlenen dreitausend Dollars nicht zu theuer bezahlt gewesen. Vorlaufig besa? die blaue Flagge aber kaum noch einen Cent, und wuthend und nicht weniger durch die ironischen Antworten des Sherifs verletzt, verlie? deren Trager das Polizeiamt und suchte Frau Titbury wieder auf.
»Nun, Hermann, fragte diese, wie steht’s mit dem Schurken, dem elenden Inglis?
– Er hei?t gar nicht Inglis, antwortete Titbury, auf einen Stuhl niedersinkend, sein wirklicher Name ist Bill Arrol…
– Ist er denn verhaftet?
– Das soll erst geschehen.
– Aber wann?
– Sobald man ihn erwischt hat.
– Und unser Geld?… Unsere dreitausend Dollars…
– Fur die geb’ ich keine funfzig Cents mehr!«
In ihrem Zimmer eingeschlossen, erwarteten sie die nachste Depesche. (S. 366.)
Jetzt sank Frau Titbury, eine Ruine, auf einem Armstuhle zusammen. Da die ausgezeichnete Frau aber alles schnell uberwand, erhob sie sich bald wieder, und als ihr Mann, der in tiefster Niedergeschlagenheit dasa?, dann fragte:
»Was sollen wir nun beginnen?
– Abwarten!
– Abwarten… was denn?… Etwa da? dieser Bandit Arrol…
– Ach nein, Hermann, das Telegramm des Meister Tornbrock abwarten, das ja bald eintreffen mu?. Nachher werden wir ja sehen…
– Doch woher Geld nehmen?…
– Wir haben Zeit genug, uns welches kommen zu lassen, und wurden wir auch bis aus Ende der Vereinigten Staaten geschickt…
– Was mich bei dem Pech, das uns in allem verfolgt, gar nicht wundern wurde.
– Komm, folge mir,« antwortete Frau Titbury entschlossen.
Beide verlie?en das Hotel, um sich nach dem Telegraphenamt zu begeben.
Die ganze Stadt hatte inzwischen, wie man sich leicht denken kann, von den Mi?geschick des Titbury’schen Ehepaares gehort. Freilich schien Great Salt Lake City fur die Leute nicht mehr Theilnahme zu empfinden, wie Calais, von wo diese geraden Weges herkamen. Doch es fehlte hier nicht allein an Theilnahme fur sie, sondern auch an Vertrauen. Wer hatte je etwas auf Leute zu setzen gewagt, denen so unangenehme Dinge begegneten, auf Stiefkinder des Glucks, die nach zwei »Ziehungen« immer erst nach dem vierten Felde gelangt waren… auf solche Nachzugler, gegen die ihre Mitbewerber einen so gro?en Vorsprung hatten? Nicht funfzig gegen eins wollten die Leute auf sie zu wetten wagen.
Hatten sich auch einige Personen im Vorraum des Postamtes eingefunden, als das Parchen hier erschien, so waren das doch nur Neugierige, eigentlich mehr Spottvogel, die den »guten Letzten« – so nannte man den unglucklichen Titbury – im stillen auslachen wollten.
Philadelphia – Die Universitat.
Sticheleien prallten an diesem jedoch ebenso ab, wie an seiner Gattin. Ihnen verschlug es wenig, ob sie von den Agenten hoch taxiert wurden oder nicht; wer wei? denn, vielleicht stiegen sie durch einen besonders glucklichen Wurf doch plotzlich noch im Curse. Bei Betrachtung seiner Landkarte hatte Titbury ausgerechnet, da? sie, wenn die Wurfel etwa zehn Augen ergaben – eine Zahl, die, weil er mit dem vierzehnten Felde nach Chicago kame, verdoppelt werden mu?te – mit einem Sprunge nach Michigan, dem Nachbarstaate von Illinois, kamen. Das ware zweifellos der glucklichste Wurf, den sie sich nur wunschen konnten… doch wurde dieser auch erfolgen?
Mit automatischer Regelma?igkeit rollte um neun Uhr siebenundvierzig der Depeschenstreifen aus dem Apparate ab.
Er brachte eine verderbliche Nachricht.
Wie wir wissen, hatte Max Real heute, am 2. Juni, wo er bei seiner Mutter in Chicago weilte, den Ausfall des Wurfelns erfahren, ebenso wie ihm einige Tage darauf die Anzahl der Augen bekannt werden mu?te, die Harris T. Kymbale nach Norddakota, Lissy Wag nach Missouri und den Commodore Urrican nach Wisconsin hin wies.
So beklagenswerth der letzte Wurf fur Titbury inde? auch war, so war er doch nicht weniger merkwurdig, und es mu?te einer ein Pechvogel erster Sorte sein, in dieser Weise genasfuhrt zu werden.
Man bedenke nur, die Wurfel hatten – durch zwei und drei – funf Augen ergeben, wodurch vom vierten Felde aus das neunte erreicht wurde. Das neunte Feld war aber Illinois, was eine Verdoppelung der Zahl funf bedingte, und das vierzehnte Feld war wiederum Illinois, die funf daher dreimal zu nehmen. Das ergab also funfzehn Augen, die den betreffenden Spieler nach dem neunzehnten Felde, nach New Orleans in Louisiana verwiesen, das auf William I. Hypperbone’s Karte als Gasthaus bezeichnet war.
Wahrlich, mehr Ungluck konnte einer gar nicht haben!
Verfolgt von den Scherzreden der Anwesenden, begaben sich Herr und Frau Titbury in ihr Hotel zuruck – freilich mit der Haltung von Leuten, die eben einen tuchtigen Keulenschlag auf den Schadel bekommen haben. Frau Titbury hatte aber ein festeres Schadeldach als ihr Eheherr, und blieb nicht, wie dieser, besinnungslos auf dem Platze.
»Nach Louisiana!… Nach New Orleans! rief Titbury, sich die Haare raufend. Ach, warum sind wir solche Tropfe gewesen, diesen Wettlauf mitzumachen…
– Bei dem wir auch jetzt noch aushalten! erklarte Frau Titbury, die trotzig die Arme kreuzte.
– Wie?… Du denkst gar…
– Nach Louisiana abzufahren.
– Da haben wir aber mindestens dreizehnhundert Meilen (2092 Kilometer) zuruckzulegen…
– Das werden wir auch noch fertig bringen.
– Wir haben da wieder einen Einsatz von tausend Dollars zu entrichten.
– So bezahlen wir ihn.
– Wir mussen auch zweimal wurfeln lassen, ohne mitzuspielen.
– So spielen wir einfach nicht mit.
– Wir mussen uns aber gegen vierzig Tage in jener Stadt aufhalten, wo das Leben, nach allem, was man hort, entsetzlich theuer ist.
– So bleiben wir so lange dort!
– Wir haben aber kein Geld mehr…
– So lassen wir uns wieder etwas senden.
– Das will ich einmal nicht…
– Aber ich, ich will es!«
Kate Titbury hatte, wie man sieht, auf alles eine Antwort. In ihr lebte offenbar etwas von einer alten Spielerin, was jetzt neu aufflackerte. Freilich, die Luftspiegelung jener Millionen von Dollars, die sie lockte, sie beruckte, hypnotisierte…
Hermann Titbury wagte keinen Widerspruch, der ja doch vergeblich gewesen ware. Was er uber die Folgen