Endlich sahen sie die Liebhaber gro?er lyrischer Tonwerke in der ihnen uberlassenen Loge sitzen, wo sie die jedem musikalischen Verstandni? verschlossenen Ohren pflichtschuldigst dem Orchester zuwendeten.
So lebten sie wie in einem Traume – doch welches Erwachen mu?te das geben, wenn sie wieder in die nuchterne Wirklichkeit zuruckkehrten!
Uebrigens hatte sich inzwischen doch etwas merkwurdiges ereignet. Die Geizhalse, die Knicker, die Filze gewohnten sich an diese neue Lebensweise, sie wurden durch ihre abnorme Lage gleichsam betaubt, berauschten sich, im physischen Sinne des Wortes, an der stets verschwenderisch besetzten Tafel, wo sie auf die Gefahr von Gastratgien und einer Magenerweiterung fur ihre spateren Tage hin keinen Bissen ubrig lie?en. Freilich mu?ten fur jeden von beiden an das Excelsior Hotel taglich hundert gute Dollars entrichtet werden.
So verlief die Zeit, obwohl sich die Titburys daruber nur sehr unvollkommen Rechenschaft ablegten. Da ihr Aufenthalt im Gasthause dem Anscheine nach nicht unterbrochen werden sollte, mu?ten sie vierzehnmal die Vornahme des Auswurfelns in Chicago abwarten, ehe sie wieder berechtigt waren, weiter zu reisen. Von achtundvierzig zu achtundvierzig Stunden wurde das Ergebni? der »Ziehung« in der Rotunde ebenso bekannt gegeben wie im Auditorium selbst.
Das Auswurfeln vom 8. Juni hatte den Commodore Hodge Urrican, wie wir wissen, nach Wisconsin versetzt, und ebenso wissen wir, da? der geheimni?volle X. K. Z. am 10. nach Minnesota geschickt worden war.
Niemals war Louisiana als nachstes Ziel bestimmt worden, weder am 12., wo fur Max Real, noch am 14., wo fur Tom Trabbe gewurfelt wurde. Am 16., wo nun Hermann Titbury an der Reihe gewesen ware, wenn das Schicksal ihn nicht in das neunzehnte Feld verbannt hatte, wurde damit ausgesetzt. Am 18. hatte Meister Tornbrock die Wurfel fur den vierten Partner, Harris T. Kymbale, uber die Tafel im Auditorium rollen lassen.
Waren die Ehegatten also verurtheilt, die fur sie ebenso angenehme wie fur ihren Geldbeutel verderbliche Existenz die vollen sechs Wochen fortzufuhren. die ihr gezwungener Aufenthalt in Louisiana dauerte?…
Und wurde nicht obendrein die Partie, bevor sie daran wieder theilnehmen konnten. schon zu Ende, der Sieger nicht bereits im dreiundsechzigsten Felde angelangt sein?…
Das lag verborgen im Scho? der Zukunft. Inzwischen verstrichen die Tage, und wenn Herr und Frau Titbury, nach Abschlu? des Matches, nichts ubrig blieb, als nach Chicago zuruckzukehren, nachdem sie, abgesehen von den fruheren Ausgaben. die gepfefferte Rechnung des Excelsior Hotel berichtigt hatten… dann vergegenwartige man sich nur, was ihnen die Thorheit, unter den »Sieben« des Match Hypperbone mit zu concurrieren, fur eine Unsumme Geldes gekostet hatte!
Fu?noten
1 Dieser Platz tragt den Namen des tapferen Generals der Secessionisten, der 1863 aus Versehen von seinen eigenen Soldaten todtlich verwundet wurde.
Zehntes Capitel.
Die Wanderfahrten Harris T. Kymbale’s.
Wenn sich das Titbury’sche Ehepaar und der Commodore Urrican nicht ohne Ursache uber das Ungluck beklagten, das sie hartnackig verfolgte, so hatte auch der Hauptberichterstatter der »Tribune« das Recht gehabt, in gewisser Hinsicht unzufrieden zu sein. Der erste Wurfelfall hatte ihn genothigt, nach der Brucke des Niagara, im Staate New York, zu gehen, dort einen Einsatz zu zahlen und sich nachher nach Santa-Fe, der Hauptstadt von Neumexiko, zu begeben. Die neue Entscheidung der Wurfel zwang ihn, zuerst Nebraska und sofort den Staat Washington, im au?ersten Westen des Bundesgebietes, aufzusuchen.
In Charleston in Sudcarolina, wo er einen so herrlichen Empfang gefunden hatte, war Harris T. Kymbale das ihn betreffende Telegramm vom 4. Juni zugegangen. Der Wurf von zehn, durch sechs und vier, und dieser doppelt zu nehmen, versetzte ihn aus dem zweiundzwanzigsten in das zweiundvierzigste Feld.
Das letztere aber entsprach Nebraska, das von dem Verstorbenen fur das Labyrinth im Edlen Vereinigte Staatenspiele gewahlt war. Noch schlimmer war es, da? der Partner, nachdem er sich dahin begeben und den doppelten Einsatz entrichtet hatte, nach dem drei?igsten Felde, dem Staate Washington, zuruckgehen mu?te. Freilich fuhrte wenigstens der Weg von Sudcarolina nach Washington durch den Staat Nebraska.
Erklarlicherweise waren bei Verkundigung dieses Wurfelfalles seine im Postamte Charlestons zahlreich versammelten Parteiganger wie versteinert, und der Reporter bu?te sofort die Wurde des gro?en Favoriten ein, die ihm vorher die meisten Agenturen – wirklich etwas unbedachterweise – zuerkannt hatten.
Der ebenso geweckte wie entschlossene junge Mann wu?te aber die, die an sein Gluck glaubten, bald zu beruhigen.
»Ich bitte Euch, liebe Freunde, verzweifelt doch nicht gleich!… Ihr wi?t ja, da? mich weite Reisen nicht erschrecken. Von Charleston nach Nebraska und von da nach Washington… das sind doch nur zwei Schritte, und ich habe vom 4. bis zum 18. vierzehn Tage Zeit, die viertausend Meilen (6400 Kilometer) hinter mich zu bringen. An Bahnlinien fehlt es ja nirgends. Was die Bezahlung des Einsatzes betrifft, so geht diese den Cassierer der »Tribune« an, und desto schlimmer fur ihn, wenn er dazu das Gesicht verzieht! Die einzige Unannehmlichkeit ist nicht die, von Nebraska nach Washington zu gehen, sondern die, vom zweiundvierzigsten Felde nach dem drei?igsten zuruckweichen zu mussen. Bah… ein Ruckschritt um zwolf Felder… der ist doch gar nicht der Rede werth! Ich werde schon bald wieder eingeholt haben, was mir die Gottin des Zufalls jetzt entrei?t!«
Wer hatte kein Vertrauen zu einem Manne haben sollen, der sich so zuversichtlich erwies?… Wie hatte einer zogern konnen, auf ihn beliebige Summen zu verwetten?… Warum gegen ihn mit Zustimmungsrufen geizen, die er so wohl verdiente?… Diese wurden denn auch nicht gespart, und der heutige Vormittag erlebte eine Erneuerung der Triumphe von gestern Abend bei dem Festbankett in Astley, wo die achttausend Pfund schwere Riesenpastete aufgetragen worden war, die in der gro?en Metropole funfzehnhundertsiebenundsiebzig Menschen einen verdorbenen Magen hinterlassen hatte.
Harris T. Kymbale tauschte sich freilich mit der Annahme, da? man von Charleston nach Olympia, der ihm als Ziel vorgeschriebenen Hauptstadt von Washington, ununterbrochen auf dem Netz der Bundeseisenbahnen gelangen konne. Dieses Netz hatte noch eine Lucke, auf die ihn jedoch Bruman S. Bickhorn, der Redactionssecretar der »Tribune«, aufmerksam machen sollte. Die Halfte der Fahrt nach Nebraska konnte jedoch schnell genug auf den Bahnlinien ausgefuhrt werden, die mit der Union Pacificlinie in Verbindung standen.
Im Hinblick auf gelegentliche Verzogerungen war nichtsdestoweniger keine Zeit zu verlieren und von einem Umherschweifen unterwegs konnte keine Rede sein. Nein, jetzt hie? es, Charleston am namlichen Abend verlassen, was denn die grune Flagge auch that. Die begeisterten Parteiganger des Reporters jubelten ihm gluckwunschend zu, als sich der Zug in Bewegung setzte, um durch die Ebenen von Sudcarolina dahinzueilen.
Diesen ersten Theil des Reiseweges hatten bereits mehrere von den »Sieben« benutzt, als sie durch diese Landestheile kamen, und jetzt befand sich der oder jener vielleicht ebenfalls hier. Harris T. Kymbale fuhr also durch Tennessee und erreichte am Abend des 5. Saint-Louis in Missouri, wo Lissy Wag und Jovita Foley ein Gefangni? finden sollten. In der Befurchtung durch Benutzung eines Dampfbootes bis Omaha zu viel Zeit zu verlieren, suchte er sich nach den Fahrplanen die schnellsten Zuge aus, um uber Kansas City die Hauptstadt von Nebraska zu erreichen, wo er am Abend des 6. ankam.
Er mu?te darum die ganze nachste Nacht in Omaha zubringen, dem Max Real bei seiner ersten Reise nur wenige Stunden hatte widmen konnen.
Hier erhielt er die Depesche, die der Redactionssecretar der »Tribune« an ihn abgesendet hatte. Das Telegramm bezeichnete ihm mit Angabe der Fahrzeiten genau alle einzelnen zuruckzulegenden Strecken, wonach er am Vormittag des 18. in Olympia in Washington eintreffen konnte. Es enthielt folgendes:
»1. Omaha am Morgen des 7. verlassen und auf der Union Pacific den Zug acht Uhr funfunddrei?ig benutzen. um neunzig Meilen (145 Kilometer) von da Julesburg-Jonction abends halb sieben Uhr zu erreichen.
2. Hier Postwagen vorfinden, der zur Abfahrt bereit, mit Mundvorrath ausgestattet ist und fur den Wechselpferde fur die hundert Meilen (160 Kilometer) lange Strecke, die bis zu dem »Verrufenen Lande« von Nebraska reicht, bestellt sind. Hier am Morgen des nachsten Tages ankommen, sich seine Anwesenheit bestatigen lassen und mit dem Postwagen nach Julesburg zuruckkehren.
3. In Julesburg am Abend des 10. den Zug besteigen, der uber die Union und die Southern Pacific nach Californien abgeht und Harris T. Kymbale am Abend des 12. im Bahnhofe von Sacramento absetzen wird. In dieser