Tameo erleichtert auf eine Bank, Don Sera aber setzte sich an den Tisch, schob mit einer nachlassigen Handbewegung ein Paket vom Konig unterzeichneter Ordern weg und erklarte, da? es nun endlich Zeit sei, ein Glas kalten Irukanischen zu trinken. Der Hausherr soll nur ein Fa?chen hereinrollen, schaffte er an, und diese alten Weiber (er wies in Richtung auf die wachhabenden Gardeoffiziere, die an einem anderen Tisch Karten spielten) sollen herkommen. Der Befehlshaber der Wache, ein Leutnant der Garderotte, kam. Er betrachtete Don Tameo lange Zeit und danach Don Sera. Und als sich Don Sera bei ihm erkundigte: »Warum verwelken alle Blumen in meines Horts geheimer Einsamkeit …«, da entschied er, es wurde zu nichts fuhren, wenn er sie gleich auf ihren Posten schickte. Sollten sie inzwischen da liegenbleiben. Rumata gewann dem Leutnant einen Taler ab und unterhielt sich mit ihm uber die neuen Uniformschleifen und uber die Verfahren, ein Schwert zu scharfen. Er sagte dann auch, da? er Don Satarina aufsuchen wolle, der noch uber die alten Schleifgerate verfuge. Er war aber sehr bekummert, als er erfuhr, da? der ehrenwerte Magnat nun anscheinend endgultig den Verstand verloren hatte: Vor einem Monat habe er seine Gefangenen freigelassen, seine Leibwache aufgelost und sein reichhaltiges Arsenal an Folterwerkzeugen dem Staat ubergeben. Der hundertzweijahrige Greis erklarte, er beabsichtige nun, den Rest seines Lebens guten Taten zu widmen. Er werde es wahrscheinlich jetzt nicht mehr lange machen. Nachdem er sich von dem Leutnant verabschiedet hatte, verlie? Rumata den Palast und schlenderte in Richtung Hafen. Er mu?te den Pfutzen ausweichen und uber tiefe, mit grunbraunem Wasser gefullte Radfurchen springen, er stie? ohne viele Umstande die herumstehenden Gaffer auseinander, zwinkerte den Madchen zu, auf die sein Au?eres offenbar unerhorten Eindruck machte, verneigte sich vor den Damen, die man in Sanften vorbeitrug, gru?te mit freundlicher Miene seine Bekannten vom Hof und ubersah absichtlich die Grauen Sturmowiki.
Rumata machte einen kleinen Umweg, um einen Blick in die Patriotische Schule zu werfen. Diese Schule war zwei Jahre zuvor durch die personliche Unterstutzung Don Rebas gegrundet worden, und zwar zur Ausbildung von Halbwuchsigen aus dem Kleinburger- und Kaufmannsstand fur militarische und administrative Kader. Der Bau war aus Stein, ohne Saulen und Verzierungen, er hatte dicke Mauern mit engen, schie?schartenahnlichen Fenstern, und links und rechts vom Haupteingang waren zwei halbrunde Turme. Wenn es notwendig war, konnte man sich dort schon eine Zeitlang verteidigen.
Uber eine enge Wendeltreppe stieg Rumata in den ersten Stock, seine Sporen klirrten auf dem Steinboden. An den Klassenzimmern vorbei fuhrte ihn sein Weg zur Kanzlei des Schulprokurators. Aus den Zimmern drang ein einheitliches Gebrumm von Stimmen, Antworten im Chor. »Was ist der Konig? – Eine erhabene Gro?e. Was sind die Minister? – Treu und ohne Widerspruch …« – »… und Gott, unser Schopfer, sagte: Ich verfluche. – Und er verfluchte …« – »… und wenn zwei Hornsto?e ertonen, in Zweiergruppen kettenformig auseinanderlaufen, die Lanzen sto?bereit halten …« – »… wenn aber der Gefolterte das Bewu?tsein verliert, ist die Folterung unverzuglich abzubrechen …«
Die Schule, dachte Rumata. Die Brutstatte der Weisheit. Die Stutze der Kultur …
Ohne zu klopfen, stie? er die niedere Tur ins Gewolbe auf und trat in die Kanzlei: sie war finster und eisig wie eine Gruft. Hinter einem ungeheuren massiven Schreibtisch, der mit Papieren und Prugelstocken ubersat war, sprang ein langer, eckiger Mann auf. In seinem kahlen Kopf sa?en ein paar tiefliegende Augen, an seiner enggeschnurten grauen Uniform prangten die Epauletten des Sicherheitsministeriums. Das war der Prokurator der Patriotischen Schule, der hochgelehrte Vater Kin, ein Sadist und Morder, gleichzeitig Monch, der Autor des
»Nun, wie steht Seine Sache?« fragte Rumata mit einem wohlgefalligen Lacheln. »Ja, diese Schriftkundigen … Die einen schlachten wir, und die andern unterrichten wir, wie?« Vater Kin lachte schiefmaulig.
»Nicht jeder Schriftkundige ist ein Feind der Krone«, sagte er. »Des Konigs Feinde sind vielmehr die schriftkundigen Traumer, Zweifler und illoyalen Dissidenten! Wir aber haben uns hier zur Aufgabe gesetzt …«
»Gut, schon gut«, sagte Rumata. »Ich glaube Ihm schon. Was schreibt Er Neues? Seinen Traktat habe ich gelesen – ein nutzliches Buch, aber dumm. Wie kommt Er auf solche Ideen? Das ist nicht gut, mein Lieber … Prokurator, wie …?«
»Nicht der Klugheit oder des Verstandes will ich mich ruhmen«, antwortete Vater Kin mit Wurde. »Das einzige, wonach ich strebe, ist der staatliche Nutzen. Wir brauchen keine Gescheiten. Treue brauchen wir. Und wir …«
»Gut, schon gut«, sagte Rumata. »Einverstanden. Also schreibt Er etwas Neues, oder nicht?«
»Demnachst werde ich dem Minister einen Entwurf des
»Was fallt Ihm ein!« wunderte sich Rumata. »Will Er uns alle in die Kutte stecken?«
Vater Kin pre?te die Handflachen gegeneinander und neigte sich stark nach vorn.
»Gestattet mir, einmal klarzustellen, edler Don«, sagte er hitzig und leckte seine Lippen, »der Kern der Sache liegt ganz woanders. Der Kern der Sache liegt in den Grundpfeilern des Neuen Staates. Die Grundpfeiler sind ganz einfach, es gibt ihrer nur drei: Blinder Glaube an die Unfehlbarkeit der Gesetze; widerspruchslose Unterwerfung unter selbige; und schlie?lich die nimmermude Beobachtung eines jeden durch jeden.«
»Hm«, sagte Rumata. »Und wozu?«