ungebuhrlicher Hochmutigkeit, denn er behauptete, der jungere Bruder des regierenden Fursten zu sein. Er verfugte uber eine standige nachtliche Armee, deren durchschnittliche Starke an die zehntausend Mann waren, hatte einige hunderttausend Goldstucke in seinen Truhen, und seine Agenten drangen bis in das Allerheiligste des Staatsapparates ein. In den letzten zwanzig Jahren hatte man ihn viermal hingerichtet, jedesmal im Beisein einer gro?en Volksmenge. Nach einer offiziellen Version schmachtete er jetzt gleichzeitig in drei der dustersten Verliese des Reiches, Don Reba aber hatte nicht zum erstenmal Befehle erlassen, »betreffend die aufruhrerische Verbreitung von Legenden durch Staatsverbrecher und andere boswillige Personen uber einen sogenannten Waga Koleso, der in Wirklichkeit gar nicht existiert und daher in den Bereich der Legende gehort«.

Gewissen Geruchten zufolge berief eben dieser Don Reba einige Barone, welche uber eine starke Rotte verfugten, zu sich und setzte ihnen eine Belohnung in Aussicht: funfhundert Goldstucke fur den toten Waga und siebentausend fur den lebenden. Rumata selbst mu?te seinerzeit nicht wenig Kraft und Geld aufwenden, um mit diesem Mann in Kontakt zu kommen. Waga rief in ihm eine heftige Abneigung hervor, war aber manchesmal au?erst nutzlich, ja buchstablich unentbehrlich. Au?erdem erregte Waga Rumatas wissenschaftliches Interesse. Er war namlich ein au?erst interessantes Exemplar in Rumatas Kollektion mittelalterlicher Monster, eine Person, der offenbar jegliche Vergangenheit fehlte. Waga legte schlie?lich die Feder weg, straffte seinen Rucken und sagte krachzend:

»Nun also, meine Kinderchen. Zweieinhalbtausend Goldstucke in drei Tagen. Und an Ausgaben blo? eintausendneunhundertsechsundneunzig. Funfhundertvier kleine runde Goldstucke in drei Tagen. Nicht ubel, meine Kinderchen, nicht ubel …« Keiner ruhrte sich. Waga verlie? seinen Platz hinter dem Pult, setzte sich in eine Ecke und rieb seine trockenen Handflachen kraftig gegeneinander.

»Das ist doch etwas, um euch zu erfreuen, meine Kinderchen«, sagte er. »Die Zeiten sind gunstig, fruchtbare Jahre … Aber man mu? hart arbeiten um sein taglich Brot. Ach, und wie hart! Mein alterer Bruder, der Konig von Arkanar, hat es sich in den Kopf gesetzt, alle gelehrten Menschen in seinem und meinem Konigreich zu vertilgen. Na schon, Seine Weisheit mu? es ja besser wissen. Und wer sind wir denn schon? Sollen wir seine Allerhochsten Beschlusse kritisieren? Indessen konnen, ja mussen wir einen Nutzen ziehen aus diesen seinen Beschlussen. Und da wir seine treuen Untertanen sind, mussen wir ihm dienstbar sein. Da wir aber seine nachtlichen Untertanen sind, werden wir ihm unseren bescheidenen Anteil nicht ohne weiteres abtreten. Ihm fallt das naturlich nicht auf, und er wird uns daher auch nicht zurnen. Was gibt es?« Keiner muckste sich.

»Mir kam es so vor, als hatte Piga geseufzt. Habe ich recht, Piga, mein Sohn?«

Man horte in der Dunkelheit ein unruhiges Hin- und Herrutschen, und jemand hustete leise.

»Ich habe nicht geseufzt, Waga«, sagte eine grobe Stimme. »Wie konnte ich …«

»Nichts da, Piga, schon ruhig! Ausgezeichnet! Ihr alle mu?t mich jetzt horen und den Atem anhalten. Ihr alle sputet euch jetzt und macht euch an die schwierige Arbeit, und niemand wird euch dreinreden. Mein alterer Bruder, Seine Konigliche Hoheit, hat durch den Mund seines Ministers, des edlen Don Reba, verlauten lassen, da? er auf den Kopf einiger Gelehrter, die sich versteckt halten oder fliehen wollen, eine nicht unbedeutende Geldsumme ausgesetzt hat. Wir mussen ihm diese Kopfe liefern und ihm eine kleine Freude bereiten, dem Alten. Andererseits aber wollen sich einige Gelehrte vor dem Zorn meines alteren Bruders verbergen und sind bereit, fur diesen Zweck keine Auslagen zu scheuen. Im Namen der Barmherzigkeit und um die Seele meines Bruders vor der Last uberflussiger Missetaten zu bewahren, werden wir diesen Leuten helfen. Und sollte ubrigens Seine Konigliche Hoheit spater diese Kopfe doch noch benotigen, wird er sie naturlich bekommen. Billig, ganz billig …« Waga verstummte und senkte seinen Kopf. Uber seine Wangen flossen plotzlich einige langsame Greisentranen. »Aber ich werde alt«, seufzte er und konnte ein Schluchzen nicht unterdrucken. »Meine Hande zittern schon, meine Fu?e geben unter mir nach, und mein Gedachtnis beginnt auch schon nachzulassen. Habe ich doch vergessen, ganz vergessen, da? mitten unter uns, in diesem engen, schwulen Kafig ein edler Don schmachtet, der sich uberhaupt nicht um unsere Groschenrechnungen kummert. Ich werde abtreten. Ich gehe zur Ruhe. Aber inzwischen, meine Kinder, wollen wir den edlen Don um seine gutige Verzeihung bitten …« Er erhob sich achzend und krummte sich zu einer Verbeugung. Die andern standen auch auf und verbeugten sich ebenfalls, aber in ihren Gesichtern war deutlich Unentschlossenheit und sogar Angst zu lesen. Rumata konnte buchstablich horen, wie ihre abgestumpften, primitiven Gehirne krachten bei dem vergeblichen Versuch, den Sinn der Worte und der Gesten dieses gebuckten alten Mannes richtig auszulegen.

Die Sache war naturlich klar. Der schlaue Alte ergriff die gunstige Gelegenheit, Don Reba von seiner Absicht in Kenntnis zu setzen, da? seine nachtliche Armee in dem gerade angelaufenen Pogrom mit den Grauen gemeinsame Sache machen werde. Nun aber, als der Zeitpunkt fur konkrete Befehle gekommen war, Namen genannt und die Frist der Durchfuhrung bestimmt werden sollten, wurde die Anwesenheit des edlen Dons, milde gesagt, als hemmend empfunden, und ihm, dem edlen Don, wurde stillschweigend nahegelegt, seine Angelegenheit rasch vorzubringen und sich dann alsbald aus dem Staub zu machen. Ein murrischer Alter. Ein schrecklicher Mensch. Und warum ist er in der Stadt? Waga kann doch die Stadt nicht ausstehen.

»Du hast recht, bester Waga«, sagte Rumata. »Meine Zeit ist bemessen. Aber entschuldigen mu? eigentlich ich mich, weil ich dich wegen einer ganz und gar nichtigen Angelegenheit belastige.« Rumata blieb auf seinem Platz sitzen, wahrend alle andern im Stehen zuhorten.

»Es hat sich so ergeben, da? ich deinen Rat brauche … Du kannst dich setzen.«

Waga verbeugte sich wieder und setzte sich.

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