paar Witzen und Anekdoten geheilt. Er hatte aber niemals die Erschutterung vergessen, die er damals – als gesunder Mensch, der nie zuvor krank gewesen war – bei dem Gedanken empfunden hatte, da? sich in ihm etwas zersetzte, da? er nach und nach weniger werde und gleichsam die Herrschaft uber seinen Korper zu verlieren drohe. Ich wollte es ja gar nicht, dachte er jetzt. Es ware mir nie in den Sinn gekommen. Sie haben ja auch gar nichts Besonderes getan … Sie sind dort gestanden, sie haben ein wenig die Zahne gefletscht, gegrinst … ziemlich blode gegrinst, zugegeben, aber ich mu? auch ziemlich idiotisch ausgesehen haben, als ich ganz besturzt in meinen Taschen kramte. Und ich hatte sie doch beinahe in Stucke gehauen, wurde ihm plotzlich klar. Wenn sie sich nicht davongemacht hatten, hatte ich sie erschlagen! Er dachte daran, da? er erst unlangst bei einer Wette eine Modellpuppe, die in einem doppelten soanischen Panzer steckte, von oben bis unten mit seinem Schwert gespalten hatte, und es lief ihm kalt uber den Rucken … Jetzt wurden sie sich hier in ihrem Blut walzen, wie abgestochene Schweine, und ich wurde mit dem Schwert in der Hand dastehen und nicht wissen, was tun … Das nenne ich einen Gott! Ein Tier bist du geworden … – Er fuhlte plotzlich, da? ihn alle Muskel schmerzten wie nach einer schweren korperlichen Arbeit. Nun, nun, sagte er fur sich. Es war ja nichts Schreckliches. Alles schon vorbei. Nur ein kurzes Aufblitzen. Wie ein Blitz, und alles vorbei. Ich bin ja trotz allem ein Mensch, und so ist mir auch das Tierische nicht ganz fremd … Das sind nur die Nerven. Die Nerven und die Anspannung der letzten Tage … Das Schlimmste aber, das ist das Gefuhl des herankriechenden Schattens. Man wei? nicht, wem er gehort und woher er kommt, doch er kriecht und kriecht unaufhaltsam immer naher …
Diese Unabwendbarkeit war in allem zu spuren. Darin, da? die Sturmowiki, die sich noch bis vor kurzem recht feige in den Kasernen herumgedruckt hatten, nun mit nacktem Beil ganz frech in der Mitte der Stra?e stolzierten, wo fruher nur die edlen Dons gingen. Und darin, da? aus der Stadt die Stra?ensanger verschwunden waren, die Erzahler, die Tanzer, die Akrobaten. Und darin, da? die Burger keine Lieder mit politischem Inhalt mehr sangen, sehr ernst wurden und auf einmal ganz genau wu?ten, was dem Staat zum Wohle gereiche. Und darin, da? ganz plotzlich und ohne Erklarung der Hafen geschlossen wurde. Und darin, da? »vom aufgebrachten Volk« alle Raritatenladen zertrummert und verbrannt wurden, der einzige Platz im Konigreich, wo man Bucher und Handschriften kaufen oder eine Zeitlang entlehnen konnte, Bucher und Handschriften in allen Sprachen des Reiches und auch in den alten, schon ausgestorbenen Sprachen der Eingeborenen jenseits der Bucht. Und darin, da? das Wahrzeichen der Stadt, der blitzende Turm des astrologischen Observatoriums nun als schwarzer fauler Zahn vor dem blauen Himmel aufragte: er war durch einen »unachtsamen Brand« eingeaschert worden. Und darin, da? der Konsum von Alkohol in den letzten zwei Jahren auf das Vierfache angestiegen war – und das in Arkanar, das von alters her fur seine ungebandigte Trinklust beruchtigt war. Und darin, da? die ewig geprugelten, verschreckten Bauern sich nun endgultig in den Kellern ihrer Drecksnester einwuhlten und sich nicht einmal entschlie?en konnten, sie zu verlassen, um die notwendigsten Feldarbeiten zu verrichten. Und schlie?lich darin, da? der alte Aasgeier Waga Koleso sein Hauptquartier in die Stadt verlegte – offenbar witterte er dort gro?e Beute …
Irgendwo im Innern des Palastes, in den luxuriosen Appartements, wo der von Gicht geplagte Konig residierte, der aus Furcht vor allem auf der Welt nun schon zwanzig Jahre lang nicht mehr das Licht der Sonne gesehen hatte, der Sohn seines eigenen Gro?vaters, der schwachsinnig kichernd einen unheimlichen Erla? nach dem andern unterschrieb, worauf die ehrbarsten und uneigennutzigsten Menschen eines grausamen Todes sterben mu?ten … Dort irgendwo reifte ein ungeheuerlicher Eiterherd heran, dessen Zerplatzen heute oder morgen zu erwarten war …
Rumata stolperte uber eine zerquetschte Melone und hob den Kopf. Er war auf der Stra?e der Ubergro?en Dankbarkeit, der Domane der besseren Kaufleute, der Geldwechsler und Juweliere. Links und rechts standen solide alte Hauser, die Gehsteige waren hier breit und die Fahrbahn mit Granitsteinen gepflastert. Gewohnlich konnte man hier die edlen Dons treffen und den Geldadel der Stadt, jetzt aber walzte sich Rumata eine dichtgedrangte Menge einfachen Volkes entgegen. Um Rumata machten sie einen vorsichtigen Bogen, manche starrten ihn neugierig an, viele verbeugten sich fur alle Falle vor ihm. Aus den Fenstern der oberen Stockwerke ragten dicke Gesichter wie kleine Leuchtturme heraus, in ihnen war aufgeregt starre Neugierde zu lesen. Irgendwo weiter vorn schrie man gebieterisch: »He da, weitergehen …! Auseinander …! Also, macht schon! Rasch, rasch!« Aus der Menge horte man Stimmen: »Denen sitzt das Bose im Rucken, vor denen mu?t du dich am meisten huten. Auf den ersten Blick sind das ruhige, hochmoralische, ehrenwerte Menschen. Ein Kaufmann wie jeder andere. Aber schau nur ein wenig genauer hin – in ihrem Innern ist bitteres Gift …«
»Dem haben sie’s aber gegeben, dem Teufel … Ich bin schon an allerhand gewohnt, aber da tun einem ja die Augen weh …«
»Sollen ihnen nur unterzunden … Ah, Kinder! Das nenne ich herzerfrischend. Die lassen einen nicht im Stich.«
»Aber vielleicht, vielleicht war es doch zu grausam? Er ist ja trotzdem ein Mensch, ein Wesen aus Fleisch und Blut … Wenn einer sundigt, nun, so straft ihn, belehrt ihn, aber warum denn gleich so …?«
»Du da, hor mir auf damit! Und vor allem leiser, leiser, mein Freund: Erstens bist du nicht allein hier, man hort dir zu …«
»Herr, aber Herr! Der Stoff ist gut, sage ich Ihnen, greifen Sie zu, bevor er teurer wird … Greifen Sie nur rasch zu, bevor die Agenten Pakins wieder alles zusammenraffen …«
