sagen, das ware beleidigend. Oder einen Halfling einen ›Hobbit‹ nennen. Oder zu einer Tzygu ›Bienchen‹ sagen. Oder die, die auf einer Raumstation leben, als ›Kosmik‹ bezeichnen.«

»Ich habe es doch kapiert! Und wie war das, sie konnen sich unsichtbar machen und kampfen mit dem Schwert?«

»Das mit dem Unsichtbarmachen konnen sie, glaube ich… aber mit den Schwertern, das wei? ich nicht«, erwiderte Lion ehrlich.

»Und warum habe ich ihn dann gesehen?«

»Na ja, fur den einen konnte er sich unsichtbar machen, fur den anderen nicht. Vielleicht, weil du ein Mutant bist, der Radioaktivitat gut vertragt.«

»Was hat das mit Radioaktivitat zu tun?«

»Woher soll ich das wissen?«

Ich sah ein, dass es unmoglich war, Lion umzustimmen, wenn er sich etwas ausgedacht hatte. Und wenn wir uns weiter stritten, wurden es in eine Schlagerei ausarten.

»Vielleicht ist es auch so«, au?erte ich. »Und trotzdem hast du ihn nicht gesehen. Du hast ja gelegen und nach oben geschaut. Die Sonne schien dir in die Augen, wenn auch durch die Lider. Deshalb hast du nicht sofort normal sehen konnen.«

Lion dachte nach und gab zu, dass das moglich ware. Aber die Version mit dem Dshedai sollte man nicht verwerfen. Das wurde aber hei?en, dass mein Freund Stasj selbst ein Verbrecher ware. Wenn die Dshedais auch Schwachkopfe sind, ehrlichen Menschen fugen sie nie einen Schaden zu.

Um uns nicht zu zerstreiten, zogen wir uns an, kletterten vom Dach und gingen Kaffee mit Sahne trinken. Auf dem Weg kratzte ich mich am Hinterkopf. Nicht wegen der Allergie, sondern weil ich einen Sonnenbrand abbekommen hatte.

Kapitel 5

Kapitan Stasj horte mir sehr aufmerksam zu. Als ich ihm beichtete, dass ich nicht allein, sondern mit meinem neuen Freund auf Wache gewesen war, wurde er uberhaupt nicht bose. Sobald er aber horte, dass Lion den Dieb gar nicht bemerkt hatte, zog er seine Stirn in Falten und vertiefte sich in seine Uberlegungen.

»Vielleicht ist er ein Dshedai?«, fragte ich vorsichtig, »dieser Kerl…«

»Was denn fur ein Dshedai?«, brummelte Stasj, in Gedanken versunken.

»Na ja, es gibt so eine Sekte auf Avalon…«

Kapitan Stasj runzelte die Stirn. »Tikkirej, erstens lohnt es sich nicht, sie Dshedai zu nennen. Dshedais sind Marchenfiguren aus der Mythologie der Anfangsphase der Eroberung des Kosmos. Einige Bezeichnungen jener Zeit haben sich eingeburgert. Aber mit den Dshedais aus dem Marchen haben die Ritter des Avalon, die Phagen, nichts gemein. Tikkirej, bist du sicher, dass du diesen jungen Mann erkannt hast? Ist es genau derjenige, der gleich nach dir eingecheckt hat?«

»Ja, der. Er hat so ein charakteristisches Gesicht: ein schmales, keilformiges Gesicht und lange Haare. Und was ist zweitens?«

»Zweitens…«, Stasj erhob sich aus dem Sessel und gab dabei einige Kommandos ins Terminal ein, »zweitens, mein junger Freund, konnen sich die Phagen nicht unsichtbar machen. Das ist ein verbreiteter Irrtum. Die Ausbildung eines Phagen beinhaltet die Beherrschung der Technik des Maskierens, der Hypnose, der verbalen und nonverbalen Beeinflussung der Psyche, aber das ist alles sehr weit entfernt von der Unsichtbarkeit. Zumal auf gro?e Entfernung. Moglich, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestand, den Phagen nicht zu bemerken, weil du standig auf ihn geschaut hast, aber nicht bei Lion, der nur schnell und oberflachlich hinsah. Das ist schwer zu erklaren, aber glaub mir ruhig.«

»Und gibt es ein Drittens?«, wollte ich wissen.

»Ja. Dieser Mensch gehort nicht zu den Rittern Avalons. Und wenn du zu dem Schluss gekommen sein solltest, dass ich ein Verbrecher bin, dann irrst du dich.«

Beschamt schwieg ich.

»Ist dir bekannt, Tikkirej, warum im Mittelalter der Erde, in der vorkosmischen Ara, das Rittertum als Erscheinung verschwand?«, fragte mich Stasj und beobachtete dabei das Terminal. Er konnte offensichtlich mehrere Dinge auf einmal tun. Zum Beispiel, den Computer bedienen — und das nicht einmal uber den Shunt -, also mit den Handen arbeiten und gleichzeitig etwas erklaren.

»Tja… ich erinnere mich nicht besonders«, bekannte ich.

»Um es kurz zu machen: Der einzelne Mensch horte auf, ein ernstzunehmender Kampfer zu sein. Seine Meisterschaft, die Ausbildung — alles nivellierte sich im Vergleich zu den primitivenFeuerwaffenodersogareinemguten Armbrustbolzen. Tikkirej, mein Freund, was war denn ein Ritter noch wert, wenn ihn ein dummer und schmutziger Soldner aus dem Hinterhalt erschlagen konnte und ihn nicht einmal an sich herankommen lie?? Eine Ritterschaft kann es nur in einer Situation geben, wo ein geubter Einzelkampfer wirklich eine starke Kampfkraft verkorpert.«

»Aber wie ist es denn dann…«

»Die Geschichte verlauft als Spirale, Tikkirej. Gegenwartig hat die Entwicklung der Wissenschaften und der Biotechnologien dazu gefuhrt, dass ein einzelner Mensch erneut zu einem entscheidenden Faktor wird. Vielkopfige Mannschaften und teure Raumschiffe sind uberflussig — ein kleines, billiges Raumschiff mit nur einem Piloten ist in der Lage, einen ganzen Planeten zu zerstoren. Ein Mensch, der in der benotigten Richtung entwickelt wurde, der bestimmte positive Mutationen erhielt und entsprechend trainiert ist, kann Tausenden von Gegnern widerstehen. Verstehst du?«

»Ich verstehe.«

Stasj lachelte.

»Und so bildete sich eben aus diesem Grund nach der Kolonisierung des Avalon eine Gruppe von Menschen, die sich die Ritter des Avalon oder Phagen nannten. Sie sahen die aufgezeigte Konstellation voraus und beschlossen die Wiedergeburt des Rittertums als nutzliche soziale Erscheinung. Sie schufen eine ziemlich komplizierte Struktur, die selbstsuchtige, antisoziale Handlungen einzelner Phagen hemmen kann. Es wurde eine entsprechende Vereinbarung mit dem Herrscherhaus des Imperiums geschlossen, nach der sich die Ritter des Avalon schon mehr als zweihundert Jahre lang bemuhen, dem Imperium zu dienen.«

»Aber es gibt doch die Flotte, die Polizei…«, wandte ich ein, mich an die Worte Lions erinnernd.

»Ja. Naturlich. Aber der Sinn der Sache besteht gerade darin, dass die Ritter des Avalon weder an offentliche Belange noch an Burokratie oder Dienstvorschriften gebunden sind. An nichts, au?er an gemeinsame ethische Regeln, deren Ausarbeitung die Neuschaffung des Rittertums ermoglichte. Auf diese Art und Weise verfugen sie uber eine entschieden gro?ere Handlungsfreiheit, und es gibt Zeiten, in denen sie ernste Krisen in der Entwicklung der Menschheit verhindern. Noch Fragen?«

Ich schwieg. Ich wollte eine Frage stellen, wusste aber nicht, ob ich es wagen konnte. Stasj sah mich durchdringend an, dann streckte er seine Hand aus und klopfte mir auf die Schulter:

»Na los! Frag!«

»Warum mogen Sie es nicht, wenn Sie Dshedai genannt werden?«, fragte ich und schaute Stasj in die Augen.

»Weil wir keine Dshedais sind«, antwortete Stasj einfach. »Wir fuchteln nicht mit leuchtenden Schwertern herum, ducken uns nicht unter Laserstrahlen hindurch und konnen nicht unsichtbar werden.«

»Ich verrate niemandem, wer Sie sind«, versprach ich.

»Das ist nicht wichtig, Tikkirej. Ich wurde auch so entlarvt, leider. Schon vor zwei Tagen. Und selbst wenn ich mich irren sollte und du ein Agent des Gegners bist, habe ich nichts Neues verraten.«

»Und wer ist Ihr Gegner?«, fragte ich leise.

»Das werde ich nicht verraten. Das brauchst du nicht zu wissen.«

Stasj erhob sich und holte aus der Hosentasche einen Haufen Geld:

»Nimm! Ich gehe davon aus, dass es dir reicht, um auf die Staatsburgerschaft zu warten.«

Ich verstand gar nichts mehr. Schaute auf das Geld — es war viel. Da konnte man wirklich in aller Ruhe auf die Entscheidung warten…

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