Stasj ruckte einen Stuhl zurecht und setzte sich dem Gefangenen gegenuber.

»Warum nur wolltest du den Jungen toten? Er war zufallig hier und kein Gegner fur dich.«

»Er hat keine Bedeutung«, antwortete der Bandit gleichgultig, »du bist der Feind, er ist ein Niemand.«

»Eine bekannte Logik«, nickte Stasj, »aber bisher galten die Alten als eure ›Niemande‹ und die Kinder lie?t ihr am Leben.«

»Es gibt Ausnahmen«, erwiderte der Bandit. »Vielleicht sollte man doch einen Arzt rufen, Dshedai?«

»Wozu brauchst du einen Arzt?«, wunderte sich Stasj. »Es gibt keine Blutungen und mit Endorphinen hast du dich selbst versorgt.«

Der Bandit grinste wieder.

»Ich habe nicht vor, dich zu toten«, sprach Stasj, »du bist nur eine kleine Leuchte, ein Bauer im Spiel. Wenn auch am richtigen Platz. Aber etwas hatte ich gern geklart. Tikkirej!«

»Ja, Kapitan«, antwortete ich schleunigst.

»Es ist richtig, dass du nicht gehst. Warte noch ein Weilchen.«

Er stand auf, ging nahe an den Banditen heran und legte ihm die Hand auf die Stirn. Vielleicht schien es mir nur so, aber in den Augen des Banditen blitzte plotzlich Angst auf.

»Du bist doch blockiert«, meinte Stasj, »nicht wahr?«

Der Bandit schwieg. Es ruckte, als ob er sich losrei?en wollte.

»Wenn ich dir aber bestimmte Fragen stelle, wirst du ein gro?es Bedurfnis verspuren zu antworten«, fuhr Stasj freundlich fort. »Ganz bestimmt. Und du beginnst zu reden und wirst sterben. Ist es nicht so?«

»Ja.« Der Bandit leckte seine Lippen.

»Ich wiederhole: Du hast eine Chance, am Leben zu bleiben. Ich kann dir auch etwas modifizierte Fragen stellen, deren Antworten nicht zu deinem Tod fuhren. Also entscheide dich. Der Handel ist nutzlich fur mich — ich werde zumindest einen Teil der Information erhalten. Und du — du bleibst am Leben. Wenn du ein hochrangiger Agent bist, und mir kommt es so vor, als ware dem so, dann wurde dein Selbsterhaltungstrieb nicht vollstandig geloscht. Entscheide dich!«

»Was sind es fur Fragen?«, wollte der Bandit wissen.

»Dein Rang?«

»Leutnant des Auslandssicherheitsdienstes von Inej.«

»Name?«

»Karl.«

Stasj nickte: »Du konntest diesem Jungen wohl keinen Rat geben, Leutnant Karl? Er hat vor, die Staatsburgerschaft von Neu-Kuweit anzunehmen. Lohnt sich das fur ihn?«

»Diese Frage ist an der Grenze der Blockade!«, erwiderte Karl schnell.

»Aber doch noch nicht hinter der Grenze? Stell dir vor, dass dieses Kind dein Sohn ware oder dir bei irgendetwas sehr geholfen hatte. Was wurdest du ihm empfehlen?«

»Ein Ticket zu kaufen und zum Avalon zu fliegen«, antwortete Karl scharf. »Ist das alles, Dshedai?«

»Sollte er jetzt schlafen gehen oder besser ein Taxi rufen und zum Kosmodrom fahren?«

»Also das wei? ich nicht.« Karl neigte sich nach vorn. »Glucklicherweise wei? ich es nicht, sonst hattest du mich getotet! Phag, das ist ein unfaires Spiel!«

»Gut, gut, wir machen Schluss«, sagte Stasj beruhigend. Seine Stimme veranderte sich plotzlich, vibrierte, als wurde sie durch ein Computerprogramm mit Stimmenverzerrer geleitet. »Ubrigens, warum ist dieser Junge ein ›Niemand‹ fur Inej?«

»Er hat…«, erwiderte Karl ebenso schnell. Und verstummte — seine Augen wurden glasern, der Kiefer klappte herunter und er hing tot an der Wand.

»So ein Pech«, meinte Stasj und blickte auf den leblosen Leutnant vom Planeten Inej, »was fur ein Pech!«

»Sie wussten, dass er durch diese Frage stirbt!«, schrie ich. »Kapitan Stasj, Sie haben ihn getotet!«

»Ja.« Stasj nickte. »Ich hatte gehofft, dass er es schafft, zu antworten, sein Organismus war mit Hormonen voll gestopft. Die Blockade war zu gut.«

»Sie haben ihn getotet«, wiederholte ich.

»Ja, Tikkirej.« Stasj sah mich an. »Er hat Dutzende Leben auf dem Gewissen, glaub mir. Und noch Sachen, die schlimmer sind als einfache Morde.«

Ich wandte mich ab. Der tote nackte Mann mit dem verbrannten Stumpf an Stelle der Hand hing an der Wand, aufgespie?t wie ein Schmetterling in einer Sammlung.

Selbst wenn Stasj Recht hatte und er ein Bandit war, man konnte doch einen Banditen nicht ohne Gerichtsverfahren toten! Was ist er denn dann noch fur ein Ritter?

»Tikkirej…« Der falsche Ritter kam auf mich zu und fasste mich an die Schultern. Er verstand, was mir im Kopf herumging. »Du wirst dich noch davon uberzeugen konnen, dass ich Recht hatte. Mit Sicherheit. Aber jetzt rufe ich dir ein Taxi, du suchst deine Sachen zusammen und fliegst weg.«

»Wohin?«, flusterte ich.

»Das versuche ich jetzt herauszufinden. Du brauchst einen jungen, guten und gastfreundlichen Planeten. Einen mit Waldern, Bergen und Meer. Wo man arbeiten und lernen kann und sich nicht mit solchen Problemen herumschlagen muss, die dem Gluck entgegenstehen.«

»Aber warum soll ich denn wegfliegen!«, rief ich aus, »mir gefallt es hier, ich habe hier Freunde!«

»Hast du gehort, was dir Karl geraten hat?«

»Ja…«

»Deshalb fliegst du auch weg. Neu-Kuweit wird in kurzester Zeit von Inej erobert werden.«

Ich au?erte mein Unverstandnis.

»Das ist doch ein reicher Planet, hier ist die Flotte des Imperiums im Orbit! Keine Kolonie wird gegen das Imperium putschen!«

»Ja, aber im letzten halben Jahr haben sich vier Planeten der Foderation des Inej angeschlossen. Gro?e, reiche und bluhende Kolonien. Wirst du meinen Rat befolgen, Tikkirej?«

Mir war ganz elend zumute.

»Ja, Kapitan Stasj.«

»Geh und such deine Sachen zusammen. Aber schnell, ja? Ich ruf ein Taxi und sehe mir den Flugplan an.« Ich hatte kaum etwas einzupacken: ein Foto, das ich bereits auf den Tisch gestellt hatte: ich mit meinen Eltern vor zwei Jahren in der stadtischen Orangerie vor einem Rosenstrauch. Ein Handtuch, das ich ins Bad gehangt hatte, damit es etwas heimischer aussah. Den Pocket-PC, den ich ans Terminal angeschlossen hatte. Und meine alte, dumme Kinderuhr in Form eines Roboters.

Aus unerfindlichen Grunden ging ich noch einige Minuten im Zimmer umher und schaute in Schranke und Regale. Ich bemerkte gar nicht, dass ich dabei schluchzte, nicht weinte, sondern schluchzte — ohne Tranen. Ich hatte mich doch schon in meinem Hauschen eingelebt…

Und was wird aus Lion?

Ich verschloss meinen Koffer, schlug die Tur zu und ging schnell zum Cottage, in dem Lions Familie wohnte. Es war still, sogar aus dem hell erleuchteten Restaurant kam kein Laut. Alle hatten sich schon zuruckgezogen und schliefen seit langem. Ich musste mich aber doch von Lion verabschieden… und ihn warnen. Das hei?t, nicht Lion selbst, sondern seine Eltern.

Auf mein Klingeln reagierte niemand. Anfangs klingelte ich hoflich, kurz — um deutlich zu machen, dass es spat war und ich mir dessen bewusst war. Dann behielt ich den Finger auf dem Sensor und horte, wie sich drinnen die Klingel uberschlug.

Niemand offnete. Waren sie etwa verreist?

Und Lion wollte mir nichts davon sagen?

Ich lie? den Koffer vor der Tur stehen und ging um das Cottage herum. Das waren die Fenster des Zimmers, in dem Lion mit seinen Geschwistern schlief. Eines war angelehnt.

Ich sprang hoch, hielt mich am Fensterbrett fest, zog mich nach oben und kroch leise ins Zimmer. Oh, wenn jetzt blo? nicht Lions kleiner Bruder wach wird und zu schreien beginnt…

Im Zimmer herrschte Halbdunkel — an der Wand leuchtete ein Nachtlicht in Form eines Dinosauriers. Was es nicht alles gibt, ich hatte bei einem solchen Nachtlicht vor Angst nicht einschlafen konnen.

Sowohl Lion als auch sein Bruder und sein Schwesterchen schliefen. Ich setzte mich zu Lion ans Bett,

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