ruttelte ihn an der Schulter und sagte flusternd:
»Ich bin es, Tikkirej. Wach auf!«
Er schlief ja wie ein Stein!
»Lion!«
Von meinem Rutteln pendelte sein Kopf auf dem Kopfkissen schon hin und her. Aus dem halb offenen Mund floss ein Speichelfaden. Lion wurde nicht wach.
In kopfloser Panik warf ich mich auf das Bett seines Bruders. Zog ihm die Decke weg, hob ihn hoch und schuttelte ihn. Jeder andere Junge ware davon aufgewacht!
Aber Lions Bruder hing in meinen Armen wie eine Wattepuppe. Seine Schlafanzughosen waren nass und seine Stirn schwei?bedeckt.
»Mister Edgar! Missis Anabell!«, rief ich, legte das Kind aufs Bett zuruck und deckte es — warum auch immer — mit der Decke zu. »Kommen Sie her!«
Aber es passierte nichts. Stille.
Ich lief im Zimmer hin und her, machte das Licht an, schaute ins Wohnzimmer, machte auch dort das Licht an und sturmte dann,daichesnichtlangeraushielt,ins Erwachsenenschlafzimmer. Ich offnete die Turflugel, obwohl mir klar war, dass ich mich ungezogen benahm.
Lions Eltern lagen auf einem breiten Doppelbett. Ihre Augen waren halb geoffnet, das Wei?e war zu sehen.
Ihnen allen war irgendetwas zugesto?en!
»Ich komme gleich wieder, ich beeile mich…«, flusterte ich im Gehen. »Ehrenwort, euch wird geholfen…«
Vielleicht hatten sie sich irgendwie vergiftet?
Mir war jedoch klar, dass diese einfachen Erklarungen nicht stimmten. Das ahnelte der Uberzeugung Lions, dass ich mir den Banditen, den Agenten des Inej, nur eingebildet hatte… Konnte wahr sein, ist es aber nicht.
Ich schloss die Tur auf, sprang aus dem Cottage und rannte zu Kapitan Stasj. Rannte dorthin in der vollen Uberzeugung, dass der falsche Ritter vom Avalon ebenfalls auf dem Boden liegen, Speichel aus seinem Mund laufen und er stumpfsinnig ins Nichts starren wurde. Kapitan Stasj verbrannte seine Sachen. Aus seiner ausgestreckten Hand entsprang eine dampfende Schnur, tanzte im Zimmer umher wie eine Feuerschlange und hullte die Computerblocke, Taschen und Kofferchen ein. Die Flamme schaffte es nicht aufzulodern — alles zerfiel augenblicklich in Asche. Die Rauchmelder hatte er abgeschaltet, denn eine Sirene war nicht zu horen.
»Kapitan Stasj!«, rief ich. Der Ritter wandte sich um, das Feuer erstarb. Ich konnte gerade noch sehen, dass etwas Wendiges, von silbrigen Schuppen Bedecktes im Armel seiner Jacke verschwand. Aber das interessierte mich jetzt nicht.
»Dort, dort ist was passiert! Lion schlaft und seine ganze Familie schlaft und sie wachen nicht auf…«
»Ich wei?.« Stasj nahm die einzige Tasche, die er nicht verbrannt hatte, vom Boden. »Der Taxidienst reagiert nicht. Die Invasion des Inej hat begonnen, Tikkirej.«
»Stasj…«
»Gehen wir, Tikkirej. Wir werden versuchen, uns zum Kosmodrom durchzuschlagen.«
Ich schuttelte den Kopf. Der tote Spion des Inej hing unverandert an der Wand, aber er erschreckte mich nicht mehr.
»Kapitan Stasj, dort sind doch Lion und seine Eltern! Helfen Sie ihnen!«
»Tikkirej!«, erwiderte Stasj betont. »Ich werde dir heraushelfen, da du schon so tief in alles hereingeschlittert bist. Aber ich habe nicht vor, jemand anderen zu retten. Weder Kinder noch Frauen noch alte Leute. Auf diesem Planeten gibt es 700 Millionen Menschen, sie alle benotigen Hilfe. Allen muss geholfen werden, nicht nur deinem Freund.«
»Aber, Kapitan…«
»Keine Diskussionen! Kommst du mit?«
Ich trat zur Tur zuruck. Ich hatte Angst, furchterliche Angst. Und Kapitan Stasj, der Phag vom Avalon, war mein einziger Schutz auf dem wunderbaren Planeten Neu-Kuweit, der innerhalb eines Augenblicks in einen Alptraum gesunken war.
»Sie haben so uberzeugend gesprochen, Kapitan Stasj«, flusterte ich, »davon, dass wir alle logisch handeln wurden… und das ware schlecht. Ich habe Ihnen geglaubt. Wirklich.«
Kapitan Stasj schwieg.
»Verzeihen Sie«, sagte ich.
»Wo wohnt dein Freund?«, fragte Stasj.
»Es ist gleich hier, nicht weit weg!«, rief ich aus. »Kommen Sie, es dauert nur eine Minute!«
Im Wirklichkeit hatte man rund funf Minuten zu gehen. Mir kam es aber vor, als ob wir eine Viertelstunde brauchten. Stasj schritt weit aus, ich lief nebenher und hielt mit Muh und Not Schritt. Stasj hielt die ganze Zeit die rechte Hand etwas entfernt vom Korper, und ich war davon uberzeugt, dass jederzeit ein Feuerball explodieren konnte.
»Und das ist trotzdem ein Schlangenschwert…«, meinte ich schnell atmend.
»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass es kein Schwert ist«, wies mich Stasj zurecht, »eine Plasmapeitsche ist entschieden universeller.«
Die Cottagetur stand noch offen. Stasj schaute schnell ins Schlafzimmer von Lions Eltern, fuhlte ihnen den Puls, fuhrte die Handflache uber das Gesicht und schaute dann traurig. Ohne etwas zu sagen, ging er ins Kinderschlafzimmer.
»Ist das dein Freund?«
»Ja!«
»Wir haben noch niemanden in der Phase der Wiedergeburt beobachtet«, meinte Stasj. »Ich hatte den kleineren Jungen bevorzugt, er ist leichter zu tragen. Aber wenn du willst, nehmen wir deinen Freund. Und… und versuchen ihm zu helfen. Es gibt keine Erfolgsgarantien, das verstehst du hoffentlich.«
Ich verstand, dass es zwecklos war, wegen Lions Eltern nachzufragen. Und wegen seines stillen, schweigsamen Schwesterchens und seines unruhigen Bruderchens auch.
Trotzdem fragte ich:
»Und wenn wir noch…«
»Auf diesem Planeten«, wiederholte Stasj mude, »gibt es Millionen von Kindern, die dieses Leid getroffen hat. Man kann allem oder keinem helfen. Ich habe mich schon bereit erklart, deinen Freund mitzunehmen, Tikkirej.«
»Ich werde ihn selber tragen«, sagte ich mutig.
»Wohl kaum«, meinte Stasj und lie? seine Tasche fallen, »kriegst du sie weg?«
Ich hob sie an. Sie war schwer, aber entschieden leichter als Lion. Das war offensichtlich.
»Ja. Naturlich.«
Mit wenigen Bewegungen wickelte Stasj Lion in eine Decke und warf ihn sich uber die Schulter. Schweigend ging er hinaus.
»Verzeiht«, sagte ich zu dem kleinen Jungen und dem kleinen Madchen, die in ihren Betten einen seltsamen, nicht menschlichen Schlaf schliefen, »verzeiht uns, bitte.«
Mein Kofferchen stand auf der Schwelle, ich schnappte es mir ebenfalls. Gebuckt unter der Last folgte ich Stasj. Wir gingen an einigen Autos voruber, ehe Stasj auf einen bescheidenen Jeep zuging. Er offnete die Tur — das Schloss gab keinen Piepser von sich, machte sich eine Sekunde lang an der Kontrolleinheit zu schaffen und die Blockade erlosch. Lion legte er auf den Rucksitz und nickte mir zu: »Steig ein!«
Ich setzte mich neben Lion und legte seinen Kopf auf meine Knie, damit er nicht so wackelte. Er befand sich nach wie vor in einem tiefen Schlaf.
»Was ist mit ihm, Kapitan Stasj?«
Das Auto heulte auf und fuhr auf den Weg, der durch das gesamte Motel fuhrte.
»Er ist im Stadium der Wiedergeburt, Tikkirej«, antwortete Stasj lustlos. »Nach unseren Informationen erfasst dieser funfzehn Stunden dauernde Schlaf die gesamte… fast die gesamte Bevolkerung der von Inej angegriffenen Planeten. Danach schlie?en sie sich freiwillig Inej an.«
»Kann man ihm helfen?«
»Ich wei? es nicht.«