genau, wusste ich selbst nicht. Deshalb erblickte ich gleichzeitig mit dem Ritter einen normalen Menschen.

Es war ein alter Mann im Rollstuhl. Er kam langsam aus einem der Flughafengebaude und schaute sich um. Als er uns erblickte, rief er sofort erstaunlich kraftig: »Warten Sie! Bleiben Sie stehen!«

Wir stoppten. Mir fiel auf, dass Stasj sehr ruhig blieb, als wurde er keinen Hinterhalt erwarten.

Der Rollstuhl erhohte seine Geschwindigkeit und naherte sich uns. Der Alte schaute Stasj sofort argwohnisch an und fragte:

»Wohin verschleppen Sie dieses hilflose Kind?«

»Dreimal durfen Sie raten, wohin man in dieser Situation jemanden verschleppen konnte«, erwiderte Stasj, »vielleicht in ein Heim fur durchgedrehte Kinder? Auf den Sklavenmarkt? Oder vielleicht doch egal wohin, Hauptsache weit weg von hier?«

Der Alte nickte. Er war sehr alt, aber nicht hinfallig. Er trug einen teuren Anzug mit Manschettenknopfen aus Edelsteinen, eine die Farbe andernde Krawatte und Schuhe aus avalonischem Eidechsenleder, die in der Dunkelheit leuchteten. Und sein Rollstuhl kostete bestimmt mehr als jedes Auto. Nur sein Shunt war so alt wie er selbst: mit funf Zentimetern Durchmesser und einigen Typenbausteinen, die schon lange nicht mehr eingesetzt wurden. Sogar auf Karijer hatte ich diese Shunts selten gesehen.

»Ich hei?e Juri«, sagte der Alte, »Juri Semetzki junior, ganz zu Ihren Diensten.«

»Stasj«, antwortete der Phag, »und das ist Tikkirej, der schlafende Junge hei?t Lion. Benotigen Sie Hilfe?«

Der Alte schuttelte den Kopf:

»Nein, vielen Dank. Wir sind im Kosmodrom ungefahr zweihundert Leute, die nicht eingeschlafen sind. Wir nehmen alle den Liner Astrachan, er hat das gro?te Fassungsvermogen. Da ich kaum in der Lage bin, schwere Sachen zu tragen, fahre ich auf dem Territorium des Kosmodroms herum und suche normale Menschen. Die anderen packen die Schlafenden ins Raumschiff. Soviel wir in der verbleibenden Zeit schaffen. In anderthalb bis zwei Stunden werden wir starten.«

»Oho!«, Stasj war wirklich erstaunt. »Das ist gut so. Viel Erfolg fur Sie!«

»Wollen Sie sich uns nicht anschlie?en?«, wunderte sich der Alte.

»Nein, danke. Ich habe mein eigenes Schiff. Ein superkleines, sodass ich keine Mannschaft benotige. Die Jungs nehme ich auch mit.«

»Ware es nicht vernunftiger, sich uns anzuschlie?en?«, fragte Juri. »Wir haben Piloten, Navigatoren…«

»Nein«, beendete Stasj das Gesprach, »Ich ziehe es vor, mich auf die eigene Kraft zu verlassen. Und Ihnen wurde ich raten, so schnell wie moglich zu starten und mit dem gefahrlichen Samaritertum aufzuhoren.«

»Sie sollten das nicht unterbewerten!«, rief der Alte aus. »Wenn es im Ma?stab des Planeten auch nur ›Peanuts‹ sind, wir tun, was wir konnen.«

»Sind Sie wenigstens bewaffnet?«, erkundigte sich Stasj.

Der Alte lachte auf.

»Seien Sie vorsichtig«, sagte er zu Stasj, »sehr, sehr vorsichtig…«

Mit dem letzten Wort anderte sich seine Stimme wieder unmerklich und das Lacheln verschwand vom Gesicht des Alten. Ziemlich durcheinander ruckte der das Kabel des Neuroshunts zurecht und rief:

»Teufel, du bist doch ein avalonischer Phag! Was ist hier los? Eine Epidemie? Eine Aggression der Fremden?«

»Ich wei? es noch nicht. Komm, Tikkirej!«

Ich lief hinter Stasj her und walzte eine Idee im Kopf hin und her, die mir eben gekommen war. Irrsinnig, aber…

»Teilen Sie dem Imperator so schnell wie moglich mit, was passiert ist!«, schrie uns der Alte nach. »Klar? Seit siebzig Jahren spende ich Geld fur euren damlichen Orden! Seid Ihr wenigstens zu etwas nutze?«

Wir gingen ins Gebaude hinein — die Automatikturen arbeiteten wie gewohnt. Der Alte fuhr weiter.

»Ich habe ihn einige Male auf dem Avalon gesehen«, teilte Stasj unerwartet mit, »ein Tierproduzent, Schweinezuchter. Es hat ihn wirklich in einer unguten Stunde hierherverschlagen…«

»Werden sie es schaffen?«, wollte ich wissen.

»Ich wei? es nicht.«

Durch die mit schlafenden Menschen gefullten Sale kamen wir zur Kontrolle des Abflugterminals. Hier schliefen die Wachmanner sowie die Madchen, die als Dispatcher arbeiteten, und ein Kellner mit einem Tablett voller Kaffeetassen. Als das Personal die ungewohnliche Mudigkeit verspurte, versuchte es sicherlich, sie mit Kaffee zu uberwinden…

»Und hier haben wir auch seine Kameraden…«, murmelte Stasj. Und wirklich, in einiger Entfernung durchstreifte ein Dutzend alterer Leute die Schlafenden und hob einige, meist Kinder, auf Tragen.

»Ich wei?, was vor sich geht«, sagte ich, »Kapitan Stasj, ich wei?, wer eingeschlafen ist und wer nicht!«

Stasj holte Luft und entriegelte die Turen zum Warteraum fur Passagiere. Dort schlief man auch.

»Willst du sagen, dass es an den alten Neuroshunts liegt? Ohne Funkadapter?«

»J-Ja.« Mein ganzer Enthusiasmus verflog.

Stasj wandte sich mir zu. Er ignorierte mein saures Gesicht und tatschelte mir den Kopf.

»Mach dir nichts draus. Du hast eine prinzipiell richtige Beobachtung gemacht, aber… Der Funkadapter ist ein Gerat, das durch mechanische Effekte beeinflusst wird. Durch Autos, Computer, Rollstuhle. Er arbeitet auf Empfang, aber der Durchgangskanal ist derma?en eng, dass es unmoglich ist, die Psyche der Menschen zu beeinflussen.«

»Wirklich zu eng?«, fragte ich dummlich.

Stasj zuckte mit den Schultern.

»Unseres Wissens — ganz und gar zu eng. Es waren einige Monate ununterbrochener — ich betone: ununterbrochener — Datenubertragung uber den Shunt erforderlich, um einigerma?en spurbar auf die Psyche einzuwirken! Und ein derartiger Informationsfluss, der auf einen Planeten gerichtet ist, wird unausweichlich bemerkt. Als ein Neuroshunt mit kabellosem Anschluss entwickelt wurde, hatte die Sicherheitsfrage hochste Prioritat. Genau aus diesem Grund ist der Eingangskanal verschwindend eng. Aber jetzt komm, Tikkirej.«

»Und es hat trotz allem mit dem Shunt zu tun…«, brummelte ich, »denn alle haben doch…«

»Ich habe selbst einen Shunt mit Funkadapter«, teilte mir Stasj mit, »beginnend mit der dritten Chipversion sind alle Kreativ mit einem Funkadapter ausgerustet. Und nun?«

Jetzt hatte ich endgultig die Lust auf eine Diskussion verloren.

Die Au?enturen der Wartehalle lie?en sich von Stasj nicht beim ersten Anlauf offnen. Deshalb schnitt er mit seinem Schlangenschwert einfach ein Stuck Glas heraus. Wahrenddessen stand ich etwas abseits und schaute auf einen Jungen, der ein wenig alter war als ich und im Schlaf einen teuren Synthesizer umarmte. Warum er ihn wohl aus der Schutzhulle herausgenommen hatte? Das Au?ere des Jungen entsprach genau dem von jungen Genies, deren Konzerte im gesamten Imperium ubertragen wurden und die Hausfrauen in Begeisterung versetzten. Er hatte bestimmt einige Millionen Kredit auf dem Konto, einen personlichen Leibwachter, ein teures Haus, und Ohren, Finger sowie Shunt waren fur eine unglaubliche Summe versichert. Nur dass er besabbert und mit eingenassten wei?en Hosen hier lag und ich lebendig und gesund war. Aus welchen Grunden auch immer.

»Tikkirej!«

Ich rannte Stasj hinterher. Lion schaukelte willenlos auf dessen Schulter. Vielleicht kommt er wieder zu sich, wenn wir den Planeten verlassen haben?, uberlegte ich.

Am Ausgang stand ein kleiner Bus. Stasj zog den Fahrer heraus, legte Lion auf einen Sitz, ich setzte mich daneben und wir fuhren uber das leer gefegte Flugfeld.

»Wir haben nicht genugend empirische Angaben«, meinte Stasj unerwartet, »verstehst du das, Kleiner? Noch nie entkamen von einem eroberten Planeten mehr als funf bis sechs Menschen. Und die waren vollig verschieden. Keine Gemeinsamkeit. Stimmt, die Mehrheit hatte keinen Funkadapter. Es gab aber welche mit den allerneuesten Shunts, die nicht beeinflusst werden konnen.«

»Wussten Sie, dass alles genau so vor sich gehen wurde?«, erkundigte ich mich und schaute dabei auf die lichtblitzenden Gebaude.

»Ich bin davon ausgegangen. Aber nun sag mir, mein junger und neugieriger Freund, der ohne Scheuklappen in die Welt schaut: Was verbindet ein junges Computergenie mit dem modernsten Shunt und einen altersschwachen Greis, der uberhaupt keinen Shunt hat? Und einen Quakerprediger, einen erfolgreichen

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