Ich warf mich in den Sitz, der sich langsam an meinen Korper anpasste, und befestigte die Sicherheitsgurte, die sich sofort ausdehnten und mich umschlangen. Ich wusste lediglich aus Filmen, wie man sich in einem echten Pilotensessel zu benehmen hatte. Bis jetzt ging alles gut.
»Geh online…«, sagte Stasj schwerfallig, »ich gebe dir das Au?enpanorama, versuche, dich darauf einzustellen.«
Nachdem ich die Haare zuruckgestrichen hatte, loggte ich mich in das Bildverarbeitungssystem ein. Und atmete horbar ein, denn vor mir breitete sich eine vollkommen neue Welt aus.
Der Navigationsraum des Raumschiffes verschwamm und loste sich auf. Mir war so, als ob ich aus einer Hohe von zehn Metern gleichzeitig in alle Richtungen schaute. Ich sah sowohl die Stadt in der Ferne als auch die Menschen, die langsam die Tragen zu einem riesigen Passagierliner schoben, und weitere Raumschiffe — leblos, wie tot.
Au?erdem gab es nebenan etwas Korperliches. Jemand Gro?es, Freundliches und sehr Beschaftigtes — wie eine Flamme blauen Feuers, die am Rand des Gesichtsfelds loderte.
An der Peripherie, obwohl ich jetzt in alle Richtungen schauen konnte.
»Kapitan Stasj?«, flusterte ich. Und merkte, dass ich gar nicht laut redete.
»Ja, Tikkirej.« Die Flamme wurde etwas auffalliger. »Ich muss mich konzentrieren, schau dich einfach um, okay?«
Ich sah mich um. Ich genoss das Geschehen. Es ahnelte ganz und gar nicht dem Anschluss an den Schulcomputer mit seinem bescheidenen Dutzend veralteter Videokameras. Dort glich die Welt einer Flickendecke, hier wurde sie zu einem Ganzen.
»Schon…«, hauchte ich. Und erschrak: »Stasj, und Lion?«
»Gleich werde ich ihn einbeziehen.«
Beruhigt schaute ich mich weiter um. Sah nach oben — und erblickte ganz weit weg im Himmel den Schlund des Zeitkanals. Er sah aus wie ein Klumpen absoluter Leere inmitten eines Vakuums.
Schon…
»Wenn es das Passagierschiff auch schaffen wurde, den Planeten zu verlassen, ware das ein gro?er Erfolg«, machte sich Stasj bemerkbar. »Eine neue Statistik.«
»Dann werden Sie mich nicht mehr brauchen«, erwiderte ich.
Stasj antwortete nicht sofort: »Das denkst also…«
»Es stimmt doch?«, fragte ich. »Lion und mich brauchen Sie doch fur Untersuchungen?«
»Warum hatte ich dann wohl deinen Freund auf Dauerbetrieb geschalten?«
»Auch als… Experiment.«
Nur hier, im virtuellen Raum des Schiffes, konnte ich Stasj diese Worte sagen. Von Angesicht zu Angesicht hatte ich es nicht riskiert.
Nicht, weil ich Angst hatte, aber es ware mir nicht moglich gewesen.
»Tikkirej«, sagte Stasj nach einer Weile, »von deinem Standpunkt aus erscheint das alles sicherlich logisch und uberzeugend. Aber es stimmt nicht. Wir meinen, dass man in unbestimmten Situationen so handeln sollte, wie es ethisch am besten ist. Es hat sich so ergeben, dass das auch am wahrhaftigsten fur unsere Situation ist. Niemand hat vor, dich zu untersuchen und deinen Freund auch nicht. Du willst nicht — das ist dein Recht. Ich werde euch zum Avalon bringen und mit der Staatsburgerschaft helfen. Das ist alles.«
Und er verschwand aus meinem Gesichtsfeld. Blockierte sich.
Sogar kosmische Ritter konnen beleidigt sein.
Mit Muh und Not spurte ich den eigenen Korper. Ertastete mit der Hand den Shunt und zog das Kabel heraus — der Kopf machte sich durch Schmerzen bemerkbar. Ich warf einen Blick auf Stasj — er schaute in die Leere, sein Gesicht zuckte. Jetzt muss er das Raumschiff auf den Start vorbereiten. Allein. Wenn er auch — das erste Mal im Leben — ein Modul benutzt. Und dabei muss er sich noch die Vorwurfe eines angstlichen Jungen anhoren.
Gab es denn so etwas uberhaupt, dass Stasj dazu bereit ist, mir einfach so zu helfen? Und zwar nicht nur so zu helfen, wie alle anstandigen Burger des Imperiums einander helfen sollten, sondern viel mehr. Unvernunftig, unlogisch und unnutz fur die ganze Welt!
Wenn dem so ist, dann ist unsere ganze Welt falsch. Alles in ihr ist falsch. Und meine Eltern hatten uberhaupt nicht sterben mussen. Und die biestige Beamtin vom Sozialdienst wollte mir wirklich nur Gutes.
Das bedeutete, dass auch ich anders leben musste. Leben in einer Welt, in der die wichtigsten Momente durchaus nicht Gesetz und Ordnung sind. Wo man uber jede Handlung erst nachdenken muss.
»Kapitan Stasj«, entschuldigte ich mich, »verzeihen Sie mir. Ich bin bestimmt ein gro?er Dummkopf. Aber ich bessere mich.«
Stasj drehte mir den Kopf zu und erwiderte: »Uberpruf die Gurte, Tikki. Wir starten.«
Ich fing schleunigst an, die Gurte zu uberprufen, obwohl ich wusste, dass sie in Ordnung waren. Ich bin sehr lange nicht mehr Tikki genannt worden. Seitdem sich hinter meinen Eltern die Tur geschlossen hatte. Das erste Mal flog ich bei Bewusstsein mit einem Raumschiff. Es war interessant, aber ich hatte trotzdem mehr erwartet. Vielleicht machte ich mir auch zu viel Sorgen wegen Lion, wegen des Planeten, der nun doch nicht zu meiner neuen Heimat geworden war, wegen der totalen Unklarheit, die mich erwartete?
Stasj manovrierte das Schiff zum Zeitkanal und hielt an. In den Kanal musste man in einem bestimmten Winkel und mit einer bestimmten Geschwindigkeit eintauchen, sonst konnte man irgendwo ankommen, wo man eigentlich gar nicht hinwollte.
»Berechnen wir den Kurs?«, wollte ich wissen.
Stasj schuttelte den Kopf. Er hatte offensichtlich das Navigationsregime verlassen und bewegte sich jetzt lebhafter.
»Wir warten auf die Astrachan, Tikkirej. Vielleicht gelingt es ihnen, sich vom Planeten loszurei?en…«
»Sind sie denn noch nicht gestartet?«
»Nein.«
Wir warteten lange. Zwei Stunden. Kein einziges Schiff tauchte in den Kanal ein und kein einziges verlie? ihn.
Der Liner startete nicht. Der mutige Invalide im Rollstuhl und alle anderen — sie blieben unten.
Stasj wurde immer trauriger. Dann krummte er sich wie vor Schmerzen und schaltete einen der Videoscreens ein.
Der Informationskanal von Neu-Kuweit ubertrug eine Nachrichtensondersendung. Der Sultan kundigte eine Volksabstimmung zur Frage uber die Vereinigung des Planeten mit der Foderation des Inej an.
Er sah vollig normal aus. Ich hatte niemals angenommen, dass sich dieser Mensch unter irgendeinem Einfluss befand. Und er brachte sehr kluge Sachen zur Sprache — dass die Foderation aus sechs Planeten (»und das ist noch nicht das Maximum«) Neu-Kuweit erlauben wurde, den ihm genehmen Platz im Imperium einzunehmen. Dass zwischen Inej und Neu- Kuweit langjahrige freundschaftliche Beziehungen, kulturelle und Handelsbeziehungen bestunden. Wie lange das Volk des Planeten auf diese Entscheidung gewartet hatte.
»Denen haben sie erfolgreich eine Gehirnwasche verabreicht«, au?erte Stasj. »Das ist also der Grund, warum die Astrachan nicht gestartet ist. Und…«
Er sprach nicht weiter.
»Ist es kompliziert, auf einen Menschen ein solches Programm zu laden, das ihn anders denken lasst?«, erkundigte ich mich.
»Kompliziert, Tikkirej. Darin liegt ja auch der Hund begraben. Das musste ein unglaublich umfangreiches Programm sein, um den Menschen nicht einfach umzubringen oder willenlos zu machen, sondern seine Psyche vollstandig umzugestalten. Sogar mit einem guten Shunt wurde die Datenubertragung einige Tage in Anspruch nehmen. Uber den Funkadapter ist eine Ubertragung ganzlich ausgeschlossen.«
Ich dachte nach. Ich dachte au?erst angestrengt nach. Tagelang… und die gesamte Bevolkerung… Hier wurden auch die schlauesten und hinterlistigsten Agenten vom Planeten Inej nichts ausrichten konnen. Man kann doch keinen Menschen zwangsweise an ein Kabel anschlie?en!
Es war vorgekommen, dass ich stundenlang mit dem Kabel herumsa?, als ich es uberhaupt nicht wollte, aber das war vor den Examen. Und ich selbst hatte mich, wenn auch unwillig, an den Schulcomputer angeschlossen.
»Stasj, was ist der Inej fur ein Planet?«, wollte ich wissen. Es war beschamend, zuzugeben, dass ich von