Der Lowe schwamm lange und muhsam. Erfuhlte, wie ihn die Krafte verlie?en, aber der Mut wallte in seinem Herzen, und stolz brullte er in den tobenden Sturm hinein. Dieses triumphierende Gebrull sollte zeigen, da? er, selbst wenn er sterben mu?te, kein Quentchen Feigheit in seinem tapferen Herzen dulde.

Da schlug ihnen plotzlich aus dem feuchten Dunst das Gebrull eines Lowen entgegen.

«Land!»

Mit doppelter und dreifacher Kraft schwamm nun der Lowe und gewahrte bald die dunklen Umrisse eines steilen Ufers. Was er eben gehort hatte, war nicht die Stimme eines anderen Lowen, sondern das Echo gewesen.

Der Lowe stieg aus dem Wasser, setzte Elli, die klamm geworden war, auf die Erde, umschlang sie mit seinen Vordertatzen und hauchte ihr seinen hei?en Atem ins Gesicht.

Der Scheuch hielt sich am Eisernen Holzfaller fest, solange die durchweichten Arme ihm gehorchten. Dann rissen die Wellen ihn weg und warfen ihn wie einen Kienspan hin und her. Der kluge Kopf des Scheuchs mit dem kostbaren Gehirn war schwerer als der Rumpf, und nun trieb der Weise Herrscher der Smaragdenstadt, den Kopf nach unten, auf dem Wasser, das ihm die letzten Farbreste von Augen, Mund und Ohren wegwusch.

Der Eiserne Holzfaller war noch eine Weile zwischen den Wellen zu sehen, doch bald hatte auch ihn die Flut bedeckt. Nur der Trichter ragte noch eine Zeitlang aus dem Wasser und verschwand dann gleichfalls. So ging der unerschrockene, herzensgute eiserne Mann vollig im wogenden Strom unter.

* * *

Drei Tage und drei Nachte warteten Elli, der Lowe und Totoschka am Ufer, da? das Hochwasser zuruckgehe. Es war ein herrliches Wetter, die Sonne strahlte, und das Wasser nahm schnell ab. Am vierten Tag schwamm der Lowe mit Elli auf dem Rucken, die Totoschka im Arm hielt, zur Insel hinuber.

Der Flu? hatte eine Menge Schlamm auf der Insel abgesetzt. Der Lowe und das Madchen gingen aufs Geratewohl nach verschiedenen Seiten und gewahrten bald eine unformige Gestalt, die mit Schlamm bedeckt und in Algen eingehullt war. Elli erkannte den Eisernen Holzfaller und rief den Lowen, der mit ein Paar Satzen herbeigesprungen kam und die Gestalt von der dicken Schmutzkruste befreite.

Unverwustlich stand der Eiserne Holzfaller in der gleichen Haltung da, in der sie ihn verlassen hatten. Mit einem Buschel Gras reinigte Elli sorgfaltig seine eingerosteten Glieder, dann loste sie die Olkanne von seinem Gurtel und schmierte ihm die Kiefern ein… «Hab Dank, liebe Elli», waren die ersten Worte des eisernen Mannes. «Du hast mir wieder das Leben geschenkt! Guten Tag, Lowe, alter Kamerad! Wie froh bin ich, dich zu sehen!»

Der Lowe wandte sich ab, Tranen der Freude standen ihm in den Augen, die er verstohlen mit dem Buschel seines Schwanzes abwischte.

Bald waren alle Gelenke des Eisernen Holzfallers wieder in Ordnung, und er schritt frohlich neben Elli, Totoschka und dem Lowen einher, die nach dem Flo? Ausschau hielten. Plotzlich sturzte sich Totoschka auf einen Haufen Algen, beschnuffelte ihn und begann mit seinen Pfoten darin zu wuhlen.

«Eine Wasserratte?» fragte Elli.

«Mit solchem Gesteck werd ich mich doch nicht abgeben», erwiderte Totoschka verachtlich. «Nein, da liegt was Besseres drin!»

Unter den Pfoten des Hundchens kam zu Ellis gro?er Freude der Goldene Hut zum Vorschein. Zartlich umschlang sie Totoschka und ku?te ihn auf die schlammbeschmierte Schnauze. Den Hut legte sie in ihr Korbchen.

Die Wanderer fanden das Flo?, das vertaut dalag, reinigten es von Schmutz und fuhren flu?abwarts um die Insel, auf der sie das Gewitter uberrascht hatte. Die Stromung trieb sie an einer langen Sandbank vorbei in den Flu? hinaus, dessen rechtes Ufer mit Strauchwerk bestanden war. Elli bat den Eisernen Holzfaller, das Flo? dorthin zu steuern, denn sie hatte an einem Strauch den Hut des Scheuchs erblickt.

«Hurra!» schriee alle vier wie aus einem Munde.

Bald entdeckten sie auch den Scheuch, der in seltsamer Haltung zwischen den Strauchern hing. Er war na? und zerzaust und erwiderte weder den Gru? noch die Fragen der Gefahrten. Das Wasser hatte ihm Mund, Augen und Ohren weggewaschen. Vom prachtigen Spazierstock, den die Zwinkerer ihm geschenkt hatten, war keine Spur zu sehen. Das Wasser hatte ihn wahrscheinlich fortgetragen.

Die Freunde zogen den Scheuch ans sandige Ufer, schutteten das Stroh aus ihm aus und legten es in die Sonne zum Trocknen. Sein Kleid und seinen Hut hangten sie an einem Strauch auf, und seinen Kopf lie?en sie mitsamt der Kleiefullung trocknen, denn Elli wagte es nicht, das kostbare Gehirn herauszunehmen.

Als das Stroh wieder trocken war, stopften sie den Scheuch erneut damit aus und setzten seinen Kopf auf den alten Platz. Elli nahm aus ihrem Gurtel eine Blechdose mit Pinsel und Farben, die sie sich in der Smaragdenstadt beschafft hatte.

Zunachst malte sie dem Scheuch das rechte Auge auf, das ihr freundlich zuzuzwinkern begann. Dann malte sie das linke und dann die Ohren und dann den Mund. Noch ehe dieser fertig war, hub der lustige Scheuch zu singen an, wodurch er das Madchen bei der Arbeit storte:

«O-ho-ho-ho! Elli hat mich schon wieder gerettet! 0-hoho-ho, ich bin wieder bei Elli!»

Der Scheuch sang und tanzelte, denn er hatte keine Angst, da? ihn jemand von seinen Untertanen hier sehen konnte, war es doch ein vollig odes Land, in dem sie sich befanden.

Der Lowe wird zum Konig der Tiere

Nachdem sich die Wanderer von den Strapazen etwas erholt hatten, setzten sie ihren Weg fort. Je weiter sie sich vom Flu? entfernten, desto freundlicher wurde das Land. Sie gingen durch schattige Haine und uber grune Wiesen und kamen nach zwei Tagen in einen gro?en Wald.

«Wie herrlich!» rief der Lowe aus. «Solch jungfrauliche Walder habe ich noch nie gesehen. In meiner Heimat ist der Wald lange nicht so schon!»

«Mir ist es zu duster hier», bemerkte der Scheuch.

«Aber nein», entgegnete der Lowe. «Ist es nicht eine Wonne, uber den weichen Teppich aus trockenen Blattern zu gehen? Und wie dicht das grune Moos von den Baumen herabhangt! Ich mochte fur immer hier bleiben!»

«In diesem Wald gibt es bestimmt wilde Tiere», sagte Elli.

«Es wurde mich auch wundern, wenn ein solch herrlicher Ort unbewohnt ware», erwiderte der Lowe.

Wie zur Bekraftigung seiner Worte hallte dumpfes Gebrull aus dem Geholz. Elli erschrak, doch der Lowe beruhigte sie:

«Unter meinem Schutz kann dir nichts geschehen. Hast du etwa vergessen, da? Goodwin mir Mut gegeben hat?»

Ein ausgetretener Pfad fuhrte die Wanderer auf eine gro?e Lichtung, auf der sich Tausende Tiere versammelt hatten. Da waren Elefanten und Baren, Tiger und Wolfe, Fuchse und viele andere Bewohner des Waldes zu sehen. Die vordersten starrten neugierig den Lowen an, und im Nu verbreitete sich die Kunde von seiner Ankunft uber die ganze Lichtung.

Larm und Gebrull verstummten, und ein machtiger Tiger trat vor und verneigte sich tief vor dem Lowen:

«Sei willkommen, Konig der Tiere! Du bist zur rechten Zeit gekommen, um unseren Feind zu vernichten und den Bewohnern dieses Waldes Frieden zu schenken.»

«Wer ist euer Feind?» fragte der Lowe.

«In unserem Wald ist ein schreckliches Ungeheuer aufgetaucht. Es sieht wie eine Spinne aus und ist doppelt so gro? wie ein Elefant. Wenn es durch den Wald geht, hinterla?t es eine breite Spur aus umgesturzten Baumen. Wer immer ihm in den Weg kommt, den packt es mit seinen Vordertatzen und saugt ihm das Blut aus. Wir haben uns versammelt, um zu beraten, wie wir uns von ihm befreien konnten.»

Der Lowe uberlegte.

«Gibt es Lowen in eurem Wald?» fragte er.

«Zu unserem gro?en Bedauern keinen einzigen.»

«Wenn ich euren Feind tote, werdet ihr mich als Konig anerkennen und mir gehorchen?»

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