Elli staunte.
«Was bedeutet das? Werde ich von hier geradewegs nach Kansas kommen, zu Vater und Mutter?»
«Und ich?» fugte Totoschka hinzu, «werde ich vielleicht Nachbars Rektor, den Prahlhans, verprugeln, der so tut, als sei er starker als ich?»
Elli war au?er sich vor Freude und sturzte vorwarts. Totoschka folgte ihr mit frohem Gebell.
Der Eiserne Holzfaller und der Scheuch, die der interessante Streit ob das Herz dem Gehirn vorzuziehen sei oder umgekehrt, vollig in Anspruch nahm, merkten gar nicht,
das Madchen ihnen vorausgeeilt war. Plotzlich horten sie es schreien und Totoschka wutend bellen. Sie liefen auf den Larm zu, sahen aber nur noch eine zottige dunkle Gestalt im Dickicht verschwinden. Neben einem Baum lag ohnmachtig Totoschka, aus dessen Nase Blut stromte.
«Was ist geschehen?» fragte der Scheuch besturzt. «Mir scheint, ein wildes Tier hat Elli geraubt.»
Der Eiserne Holzfaller erwiderte nichts. Er blickte nur starr geradeaus und fuchtelte drohend mit seiner riesigen Axt.
«Quirr… quirr…», schnarrte ein Eichhornchen hohnisch auf dem Wipfel eines Baumes. «Was ist geschehen? Zwei gro?e kraftige Manner haben auf ein kleines Madchen nicht aufpassen konnen, und ein Menschenfresser hat es geraubt.»
«Ein Menschenfresser?» wiederholte der Eiserne Holzfaller. «Ich wu?te nicht, da? es Menschenfresser in diesem Wald gibt.»
«Quirr… quirr… Das wei? doch jede Ameise! Schamen sollt ihr euch! Habt auf das Madelchen nicht achtgeben konnen! Nur das kleine schwarze Tierchen hat es tapfer ver-
teidigt und den Menschenfresser gebissen, doch dieser versetzte ihm einen solchen Tritt mit seinem ungeheuren Fu?, da? es jetzt wahrscheinlich sterben wird…»
Das Eichhornchen feixte und verhohnte die beiden so sehr, da? sie vor Scham zu vergehen glaubten.
«Wir mussen Elli retten!» rief der Scheuch.
«Ja, ja», sagte der Eiserne Holzfaller. «Elli hat uns erlost, und wir mussen sie dem Menschenfresser entrei?en. Sonst sterbe ich vor Schmerz…» Tranen rannen uber seine Wangen.
«Du weinst ja schon wieder!» rief der Scheuch entsetzt und trocknete ihm die Augen mit dem Taschentuch. «Die Olkanne ist ja bei Elli!»
«Wenn ihr dem kleinen Madchen helfen wollt, so kann ich euch zum Menschenfresser fuhren, obwohl ich mich sehr vor ihm furchte», sagte das Eichhornchen.
Der Eiserne Holzfaller bettete Totoschka behutsam auf das weiche Moos und sagte:
«Wenn wir zuruckkehren, werden wir ihn gesund-pflegen!» Und zum Eichhornchen gewandt, sagte er: «Fuhre uns!»
Das Tierchen hupfte von Zweig zu Zweig, und die Freunde folgten ihm. Als sie tief in den Wald eingedrungen waren, sahen sie eine graue Mauer vor sich.
Das Schlo? des Menschenfressers stand auf einem Hugel: Eine hohe Mauer umgab es, die selbst eine Katze nicht hatte erklimmen konnen. Davor zog sich ein Wassergraben. Der Menschenfresser hatte die Brucke hochgezogen und zwei Riegel vor das eiserne Tor geschoben.
Er lebte in seinem Schlo? allein. Fruher hatte er Schafe, Kuhe und Pferde und viele Diener gehalten. Zu jener Zeit kamen oft Wanderer, die in die Smaragdenstadt zogen, am Schlo? vorbei. Der Menschenfresser fiel uber sie her und fra? sie. Als die Kauer davon erfuhren, horte der Verkehr auf der Stra?e auf.
Da begann der Menschenfresser seine Burg zu verwusten. Zuerst fra? er die Hammel, Kuhe und Pferde und dann die Diener, einen nach dem andern. In den letzten Jahren lauerte er im Wald unvorsichtigen Kaninchen und Hasen auf, die er mit Haut und Haar verschlang.
Als der Menschenfresser Elli raubte, jubelte er im Vorgefuhl des uppigen Schmauses. Er trug das Madchen in das Schlo?, wo er es fesselte und auf den Kuchentisch legte. Dann begann er sein gro?es Messer zu wetzen.
Klick… klick, klirrte das Messer.
Der Menschenfresser frohlockte:
«Ba-ga-ra! Eine solche Beute lob ich mir! Das wird herrlich schmecken. Ba-ga-ra!»
Und zu Elli:
«Ba-ga-ra! Das hab ich mir fein ausgedacht, das Brettchen mit der Aufschrift. Du glaubtest wohl, ich wurde deine Wunsche erfullen. Das konnte dir so passen! Nein, das hab ich als Koder fur solche Gimpel wie du gemacht, ba-ga-ra!»
Elli flehte den Menschenfresser um Erbarmen an. Der aber horte sie nicht und fuhr fort, das Messer zu wetzen.
Klick… klick… klick…
Er hob das Messer uber das Madchen, das vor Entsetzen die Augen schlo?, lie? die Hand aber wieder sinken und gahnte.
«Ba-ga-ra. Das Wetzen des Messers hat mich mude gemacht. Ich will mich lieber fur ein Stundchen hinlegen. Nach dem Schlaf schmeckt das Essen viel besser!»
Der Menschenfresser ging in sein Schlafgemach, und bald schnarchte er so laut, da? es im ganzen Schlo? und sogar im Walde zu horen war.
Der Eiserne Holzfaller und der Scheuch standen vor dem Wassergraben und wu?ten nicht, was sie tun sollten. «Ich wurde hinuberschwimmen». sagte der Scheuch, «doch befurchte ich, da? das Wasser mir die Augen, die Ohren und den Mund wegwascht, und dann bin ich blind, taub und stumm.»
«Und ich wurde ertrinken», sagte der Eiserne Holzfaller, «weil ich doch so schwer bin. Ja, selbst wenn ich aus dem Wasser herauskame, wurde ich sogleich einrosten, und die Olkanne ist doch nicht da…»
Wahrend sie so standen und uberlegten, horten sie plotzlich das Schnarchen des Menschenfressers.
«Wir mussen Elli befreien, solange er schlaft», sagte der Eiserne Holzfaller. «Warte, mir ist was eingefallen. Ich wei?. wie wir uber den Graben kommen.»
Er fallte einen hohen Baum, so da? er auf die Schlo?mauer fiel und eine Art Brucke bildete.
«Steig hinauf», sagte er zum Scheuch. «Du bist leichter als ich.»
Der Scheuch trat an den Baum heran, wich aber sofort angstlich zuruck.
Als das Eichhornchen dies sah, ri? ihm die Geduld. Es sprang auf den Stamm und lief flugs auf die Mauer zu.
«Quirr… quirr… Du Feigling!» rief es zum Scheuch hinuber. «Hast du gesehen, wie man's macht?» Als es aber einen Blick durchs Schlo?fenster warf, schrie es voller Entsetzen: «Das Madelchen liegt gefesselt auf dem Kuchentisch, und daneben liegt ein gro?es Messer. Das Madelchen weint… Ich sehe die Tranen flie?en…»
Als der Scheuch dies horte, verga? er jede Gefahr und kletterte fast noch flinker als das Eichhornchen auf die Mauer.
«O weh», schrie er, als er durch das Kuchenfenster das bleiche Gesicht Ellis erblickte, und plumpste wie ein Sack in den Hof.
Noch ehe er aufstand, sprang das Eichhornchen auf seinen Rucken, lief uber den Hof zum Fenster, schlupfte durch das Gitter in die Kuche und begann am Strick, mit dem Elli gefesselt war, zu nagen.
Der Scheuch schob die schweren Riegel zuruck, lie? die Zugbrucke herab, und der Eiserne Holzfaller trat in den Hof. Er rollte die Augen und schwang drohend seine Axt.
Das wird dem Menschenfresser Angst machen, wenn er plotzlich erwachen und auf den Hof hinaustreten sollte, dachte der Holzfaller.
«Hierher, hier!» schnarrte das Eichhornchen aus der Kuche, und die Freunde eilten auf den Ruf herbei.
Der Holzfaller klemmte die Axt in den Turspalt, stemmte sich dagegen, und die Tur flog auf. Elli sprang vom Tisch, und alle vier, der Eiserne Holzfaller, der Scheuch, Elli und das Eichhornchen, liefen, so schnell sie die Beine trugen, in den Wald.
Unter den Fu?en des Eisernen Holzfallers drohnten die Steinfliesen des Schlo?hofs, woruber der Menschenfresser erwachte. Er sturzte aus seinem Gemach, und als er Elli nicht vorfand, raste er wie wild auf das Tor zu.
Der Menschenfresser war nicht hoch von Wuchs, aber sehr dick. Sein Kopf sah wie ein Kessel aus, sein Bauch wie ein Fa?. Er hatte lange Arme wie ein Gorilla, seine Beine staken in hohen Stiefeln mit dicken Sohlen,