durchdringen.

Irene schien nichts passiert zu sein. Sie stand noch an der Hauswand.

Der Mann, der sie mit dem Revolver bedroht hatte, krummte sich vor Schmerz zusammen, und hielt seine rechte Schu?hand mit der Linken. Blut tropfte von seinen Handen in den Schnee und farbte ihn langsam rot. Neben diesem roten Fleck lag der 44er Dean Harding.

Eine dunkle Gestalt schritt durch die Gasse, einen rauchenden Revolver in der Rechten haltend: Reverend Blake Driscoll.

»Meine Hand«, jammerte der Mann neben Irene. »Sie haben mir die Hand zerschossen!«

»Na, so was«, meinte der Reverend kopfschuttelnd. »Meine Augen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Dabei hatte ich auf dein Herz gezielt, mein Sohn. Ich hielt es namlich fur einen guten Gedanken, eine miese Ratte zur Holle zu schicken. Danke dem Herrn, da? er dich noch einmal vor dem Fegefeuer verschont hat!«

Driscoll sah Jacob an. »Was ist, Mr. Adler? Haben Sie keine Rechnung mit Ihrem Bekannten zu begleichen?«

»O doch«, erwiderte Jacob und schlo? seine Beine scherenartig um den Knochigen. Das brachte den Burschen zu Fall und loschte endlich das hamische Grinsen auf dessen Gesicht.

Jacob walzte sich auf den von der unerwarteten Wendung der Dinge Uberraschten und lie? seine Fauste so auf ihm tanzen, wie es der Knochige zuvor mit ihm getan hatte. Er lie? erst von ihm ab, als das blutige Gesicht kraftlos zur Seite fiel.

Schwer atmend stand Jacob auf und wischte sich das Blut, das ihm die Sicht verklebte, mit dem Armel aus dem Gesicht.

»Die Rache ist mein, spricht der Herr«, sagte der Reverend und steckte seinen Webley zuruck ins Holster.

»Amen«, fugte Jacob hinzu, wahrend er seinen Colt aus dem Schnee fischte und am Innenfutter seiner Jacke abwischte. Er fuhlte sich noch recht wacklig auf den Beinen und war sehr erleichtert, als ihn Irene stutzte.

»Wie geht es dir, Jacob?« fragte sie besorgt.

»Erinnerst du dich an die Buffelstampede, der wir auf dem Treck nur knapp entgangen sind?«

»O ja.«

»Nun, ich fuhle mich, als sei ich unter eine solche Buffelherde geraten.«

»Wir sollten von hier verschwinden«, riet Driscoll. »Ihre beiden Buffel werden bald wieder zu sich kommen. Und dem Jammerlappen da konnte irgendwann einfallen, da? man auch mit der linken Hand schie?en kann. Au?erdem ist nicht ausgeschlossen, da? die Kerle Freunde in der Nahe haben. Ratten treten immer in Scharen auf.«

Der Reverend buckte sich und klaubte Jacobs Hut auf.

»Hier, damit es Ihnen nicht so geht wie mir.«

»Danke«, sagte Jacob. Er setzte den Hut auf und verlie? mit Irene und dem Reverend die Gasse.

»Wir sollten einen Arzt aufsuchen«, schlug Irene vor. »Jacobs Kopf sieht nicht gut aus.«

»Eine gute Idee, die allerdings einen Schonheitsfehler hat«, sagte Driscoll. »Im Umkreis von mindestens hundert Meilen gibt es keinen Arzt. Wir werden selbst sehen mussen, was wir fur Mr. Adler tun konnen.«

»Ob Wallace Hood die Schlager auf uns gehetzt hat?« fragte Jacob unter Schmerzen. Bei jeder Silbe, die er sprach, brannte sein Mund wie Feuer.

»Anzunehmen«, antwortete der Reverend. »Unser Besuch in Hoodsville scheint dem Burgermeister unangenehm zu sein.«

»Ich sehe schwarz fur Ihre Kirche, Reverend, wenn Sie sich weiterhin in unserer Gesellschaft zeigen.«

»Vielleicht ist das gar nicht mal so schlimm, Mr. Adler. Je langer ich in Hoodsville bin, desto mehr gewinne ich den Eindruck, da? die Leute hier keine Kirche brauchen, sondern eine Kompanie Kavallerie, die fur Ordnung sorgt.«

Unter den entsetzten Augen von Mrs. Fly brachten sie Jacob auf sein Zimmer, wo sie seine Wunden auswuschen und ihm einen Verband anlegten.

Ruhe und Warme taten ihm gut, aber noch mehr Irenes kuhle Hande, wenn sie sein Gesicht beruhrten. Mit dem seligen Lacheln eines glucklichen Kindes im Gesicht schlief Jacob ein.

*

Als er erwachte, war es drau?en dunkel. Das schwache Licht in seinem Zimmer ruhrte von der Petroleumlampe unter der Decke, deren Docht Irene moglichst weit heruntergedreht hatte.

Irene sa? auf dem einzigen Stuhl des Zimmers, einer ziemlich wackligen Angelegenheit.

»Wie spat ist es?« fragte Jacob langsam. Das Sprechen fiel ihm noch immer nicht besonders leicht. »Habe ich lange geschlafen?«

»Nein, Jacob. Es ist gerade erst dunkel geworden. Wie geht es dir?«

»Wie es jemandem geht, der unter eine Buffelherde geraten ist.« Er sah sich im Zimmer um. »Wo steckt der Reverend?«

»Er ist gegangen, kurz nachdem du eingeschlafen bist. Er meinte, wir sollten vorsichtig sein und uns vor der Ruckkehr des Sheriffs nicht mehr allein auf die Stra?e wagen.«

»Sicher ein guter Rat«, stohnte Jacob und lie? sich zuruck aufs Bett fallen. »Danke fur dein Wachehalten, Irene. Leg dich jetzt auch etwas aufs Ohr. Ich habe das Gefuhl, morgen wird ein anstrengender Tag.«

Sie nickte, als es an der Tur klopfte. Es war die Witwe Fly, die das Abendessen fur Jacob brachte und sich nach seinem Zustand erkundigte. Irene ging hinunter, um mit den anderen zu essen.

Als sie zuruckkehrte, um Jacob eine gute Nacht zu wunschen, fragte er: »Hast du den Reverend beim Essen gesehen?« »Nein. Die Witwe Fly sagte, er sei vor einer halben Stunde aus der Stadt geritten. Was kann er nur vorhaben?«

»Ich wei? es nicht«, antwortete Jacob. Aber er hegte einen bestimmten Verdacht.

Sobald Irene auf ihr Zimmer gegangen war, stieg er unter Schmerzen aus dem Bett und zog sich an. Er schnallte den Waffengurt um und nahm auch den Sharps-Karabiner mit, als er leise auf Zehenspitzen aus dem Haus schlich. Er wollte Irene nicht beunruhigen.

Noch hatte kein neuer Schneefall eingesetzt. In der Stadt war es ruhig. Die wenigen Menschen, denen er begegnete, ma?en ihn zwar mit seltsamen Blicken, aber keiner sagte ein Wort.

Im Mietstall traf er den alten Willard Croy, der auf seinen zwei Stuhlen unter einer Laterne sa? und in einer alten Zeitung die Seite mit Werbeanzeigen fur medizinische Heilmittel studierte. Vielleicht suchte er ein schmerzlinderndes Mittel fur sein Bein oder etwas gegen das Altern. Fur beides wurde ausreichend geworben, wie Jacob mit einem kurzen Blick erkannte. »Der Reverend hat sein Pferd geholt?« fragte der Deutsche.

»Yeah, Mister.«

»Hat er gesagt, wo er hinwollte?«

»Nein, Mister.«

»Haben Sie gesehen, in welche Richtung er geritten ist?«

»Yeah, Mister.«

Jacob lie? einen Vierteldollar in seinen Scho? fallen. »In welche?«

»Durch die Gasse links neben dem Mietstall.«

»Also nach Osten?«

»Yeah, Mister.«

Das bestatigte Jacobs Verdacht. »Haben Sie einen Sattel fur mich?«

»Yeah, Mister.« Croy zeigte auf eine dunkle Ecke. »Da druben. Suchen Sie sich einen aus.«

»Was macht das?«

»Fur wie lange, Mister?«

»Wahrscheinlich nur fur heute.«

»Noch mal 'nen Vierteldollar, Mister.«

Jacob bezahlte den Mann und legte einem seiner Zugtiere den Sattel auf. Das Pferd war zwar nicht so schnell wie Driscolls Rappe, aber das machte nichts. Er wollte den Reverend nicht einholen, sondern ihm folgen. Au?erdem glaubte er das Ziel zu kennen.

»Schonen Abend noch, Mister«, krachzte ihm der Alte nach, als er aus dem Stall ritt, das Pferd nach links lenkte und die von Croy bezeichnete Gasse nahm. Sie fuhrte schnurstracks aus der Stadt.

Вы читаете Ein Grab in Oregon
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату