Er ritt auf dem schmalen Weg nach Osten, der vom Schnee fast verdeckt war. Aber er kannte ihn gut genug, um ihn auch in der Nacht muhelos zu erkennen. Schlie?lich war er ihn am Morgen erst entlanggefahren. Es war der Weg zu Franz Papes Farm.

Kurz vor der Senke, in der die Farm lag, stieg Jacob ab und untersuchte das Gelande. Das durch die Wolken gedampfte Licht der Gestirne reichte gerade aus, um ihn die Spuren im Schnee erkennen zu lassen. Frische Spuren.

Kurz vor der Stelle, wo er vom Pferd gestiegen war, hatte ein Mann vor kurzem erst das gleiche Manover ausgefuhrt. Aber wider Erwarten fuhrten die Spuren von Pferd und abgesessenem Reiter nicht direkt hinunter zur Farm, sondern auf einen nahen Wald zu.

Als er das Wiehern eines Pferdes horte, verstand Jacob. Bald fand er Driscolls Rappen, dessen Zugel an den Stamm einer jungen Fichte gebunden waren.

Er band sein Pferd einfach daneben an, zog den Sharps aus dem Scabbard und folgte den Fu?spuren des Reverends zur Farm.

Driscoll war ihm von Anfang an nicht ganz geheuer gewesen. Zu gut konnte der angebliche Reverend mit dem Revolver umgehen. Und zu sehr kummerte er sich um Jacob und Irene. Seine Kirche schien ihm weit weniger wichtig zu sein als Carl Dilgers Schicksal.

Und warum tauchte er immer dann gerade auf, wenn Jacob oder seine Freunde in Gefahr waren? Wie vor ein paar Tagen, als er Urilla vor dem zudringlichen Trapper gerettet hatte. Und wie heute nachmittag in der engen Gasse.

Andererseits schien er nicht gegen Jacob und Irene zu sein. Hatte er ihnen sonst so geholfen? Oder hatte er das nur getan, um ihr Vertrauen zu gewinnen? Aber wenn ja, wozu das Ganze?

Und was wollte er jetzt auf der Farm? Hatte er mit Pape ein Treffen vereinbart, oder wollte er ihn uberraschen?

Jacob tippte auf die zweite Moglichkeit. Andernfalls hatte es Driscoll nicht notig gehabt, sich heimlich zur Farm zu schleichen.

Die Fu?spuren fuhrten Jacob zunachst zu den Stallungen. Es war klar, weshalb der - angebliche oder tatsachliche -Reverend diesen Weg gewahlt hatte. Die Stallungen verbargen ihn vor Pape.

Von den Stallen ging es weiter zur Ruckseite des Hauses.

Jacob hatte das Farmhaus noch nicht ganz erreicht, als er von drinnen lautes Gepolter horte. Er uberwand den letzten Rest der Strecke mit ein paar Sprungen, druckte sich gegen die Wand und lauschte.

Das Gepolter hatte aufgehort. Statt dessen horte er nun Stimmen. Die laute Stimme des Reverends. Und eine leisere. Es mu?te die von Pape sein. Aber er verstand nicht, was gesprochen wurde.

Jacob fand eine Hintertur. Sie war aufgebrochen. Durch sie mu?te Driscoll ins Haus gekommen sein. Er nahm denselben Weg.

Er kam durch einen Vorratsraum, an den sich die Wohnstube anschlo?. Dort brannte Licht. Und von dort horte er die Stimmen, die er jetzt deutlich verstehen konnte.

»... wei? nicht, was Sie von mir wollen!« stie? Pape mit Panik in der Stimme hervor.

»Die Wahrheit will ich wissen«, sagte Driscoll scharf. »Wer hat Randolph Haggard getotet?«

»Carl war es, Carl Dilger. Das habe ich doch schon gesagt.«

Jacob schob die nur angelehnte Holzbohlentur, die den Vorratsraum von der Wohnstube trennte, ein kleines Stuck weiter auf und konnte jetzt durch den Spalt erkennen, was in der Stube geschah.

Pape, den er nur von hinten sah, sa? auf einem Stuhl, die Hande hinten an die Lehne gefesselt. Driscoll hockte vor ihm auf einem Tisch und hatte den Webley auf ihn gerichtet.

»Aber ich glaube dir nicht, Mann!« erwiderte der Mann in Schwarz. »Es ist verdammt ungewohnlich, da? sich zwei Manner gegenseitig erschie?en.«

»Wie soll es denn sonst gewesen sein?«

»Haggard hat zwar Dilger erschossen. Aber du hast die Gelegenheit genutzt, um mit Haggard abzurechnen. Um nicht in Schwierigkeiten zu geraten, hast du dem Sheriff die Geschichte ein bi?chen anders erzahlt.«

Fur einige Sekunden herrschte Schweigen.

»War es so?« schrie Driscoll und stie? den Sechsschusser vor, bis die Mundung Papes Stirn beruhrte.

»Ja«, winselte der Gefesselte. »So war es. Weshalb fragen Sie mich uberhaupt, wenn Sie es sowieso wissen?«

»Weil ich es aus deinem Mund horen wollte. Und jetzt erzahl mir noch etwas: Wer ist der dritte Mann?«

»Was fur ein dritter Mann?«

»Der bei euch war, als ihr uber die Frau in Wasco hergefallen seid.«

Papes Stimme klang noch erschrockener. »Woher wissen Sie davon?«

»Meine Sache. Ich stelle die Fragen, du beantwortest sie.«

»Und was tun Sie mit mir, wenn ich Ihnen erzahlt habe, was Sie wissen wollen?«

»Wei? ich noch nicht. Vielleicht schicke ich deine Seele ins Fegefeuer. Vielleicht bin ich gnadig und ubergebe dich nur dem Sheriff.«

»Und wenn ich nichts sage?«

Driscoll zog den Hahn zuruck. Die Trommel seines Revolvers drehte sich ein Stuck und rastete in die Arretierkerbe ein. »Dann stirbst du auf jeden Fall!«

»Lassen Sie mich laufen, wenn ich es sage?«

»Du mu?t es mir nicht sagen, Mann. Ich wei? es auch so. Es war Barry Hood.«

»Woher.« begann der Mann auf dem Stuhl, brach ab und fragte dann: »Sind Sie der Satan, da? Sie alles wissen?«

»Dann stimmt es also«, knurrte Driscoll zufrieden und sagte lauter: »Ich wei? nicht, ob ich der Satan bin. Aber auf jeden Fall schicke ich dich jetzt zur Holle!«

»Halt!« rief Jacob laut, stie? mit einem Fu? die Tur ganz auf und richtete den Sharps auf den Mann in Schwarz. »Wenn Sie abdrucken, Driscoll, tu ich es auch!«

Driscolls Augen und der lange Lauf seines Webleys richteten sich auf Jacob. Er bekam sich schnell wieder unter Kontrolle, und die Uberraschung, die sich fur Sekunden auf seinem hohlwangigen Gesicht abgezeichnet hatte, verschwand.

»Sieh an, Mr. Adler. Was fuhrt Sie her?«

»Ein Reverend, den seine Kirche weniger interessiert als sein Revolver. Welchen Beruf uben Sie wirklich aus, Mister Driscoll?«

»Ich bin Reverend, seit vielen Jahren schon.«

»Und da lernt man, so gut mit der Waffe umzugehen?«

»Da nicht, aber bei der Armee. Im Krieg gegen Mexiko war ich Lieutenant.«

»Was wollen Sie von Pape? Was ist das fur eine Geschichte mit diesem geheimnisvollen dritten Mann?«

»Die Geschichte will ich Ihnen gern erzahlen, Adler.« Driscoll blickte kurz den Gefesselten an. »Und auch dir, obwohl du den gro?ten Teil kennen durftest. Sie spielt einige Meilen ostlich von hier, in dem Ort Wasco. Drei junge Manner kamen vor einigen Monaten in das Gebiet und verkauften dort eine Rinderherde. Wahrscheinlich hatten sie die Tiere gestohlen, denn sie hatten sich zum Verkauf der Tiere weit von ihrer Heimat am Rande der Cascade Range entfernt. Sie feierten das Geschaft mit Whiskey - und mit dem Uberfall auf eine junge Frau, die allein und schutzlos auf ihrer Farm war, weil ihr Mann verreisen mu?te, um seine todkranke Mutter ein letztes Mal zu sehen. Alle drei vergewaltigten die Frau und qualten sie. Als ihr Mann nach Wasco zuruckkehrte, fand er statt einer lebenslustigen Frau ein vollig verstortes Wesen vor. Nur wenig war mit viel Muhe aus ihr herauszubekommen. Da? ihre Peiniger aus einer Stadt am Rande der Cascade Range kamen. Und da? zwei von ihnen Deutsche waren. Mehr nicht. Aber der Ehemann der geschandeten Frau, Randolph Haggard, fand die Deutschen hier in Hoodsville. Als er auf diese Farm kam, um die beiden zur Rede zu stellen, kam es zum Streit. Den Rest kennen Sie, Adler.«

»Aber was haben Sie damit zu tun, Driscoll?«

»Randy war mein Sohn. Ich horte erst spat von der Geschichte. Als er nicht zuruckkam, machte ich mich auf die Suche. Ich fand sein Grab hier in Hoodsville.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Jacob kopfschuttelnd. »Sie hei?en Driscoll und.«

»Ich habe mich nur Driscoll genannt, um mich nicht zu verraten«, fiel ihm der Schwarzgekleidete ins Wort.

Вы читаете Ein Grab in Oregon
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату