»Driscoll war der Madchenname meiner Frau. In Wahrheit hei?e ich Blake Haggard.«
Jetzt wurde Jacob alles klar. Auch, weshalb der Reverend so gro?es Interesse an Jacob und Irene gezeigt hatte.
Hauptsachlich wohl an Irene.
»Sie haben Irene ausgenutzt, Haggard!« stie? er wutend hervor. »Sie haben Irenes Suche nach Carl Dilger fur Ihre eigenen Zwecke mi?braucht!«
»So kann man es bezeichnen. Als ich von diesem Handler, Bodeen, horte, da? eine Frau in Abners Hope einen Carl Dilger sucht, bin ich sofort weitergeritten. Mir war klar, da? man ihr in Hoodsville mehr uber die Sache erzahlen wurde als einem Mann, der seinen erschossenen Sohn rachen will.«
»Sie wollen das wirklich tun?« fragte Jacob unglaubig.
»Was?«
»Sich mit der Waffe rachen? Sie sagten doch, Sie seien wirklich Reverend. Ist das mit Gottes Wort vereinbar, die Rache in die eigene Hand zu nehmen?«
»Der Herr braucht manchmal sehr lange, um sein Werk zu vollenden. So lange will ich nicht warten, nicht in diesem Fall. Au?erdem bin ich nur das Schwert in seiner Hand. Ich handle nach seinem Wort: Auge um Auge, Zahn um Zahn!«
Das heftige Flackern in den tiefen Hohlen von Haggards Augen, das standige Zucken seiner Mundwinkel und das Vibrieren seiner Stimme bei den letzten Worten gaben Jacob plotzlich einen ganz neuen Eindruck von dem Mann. Gewi?, der Reverend handelte kuhl und berechnend. Doch zugleich schien er von einem Irrsinn gepackt zu sein, da? er sich als Schwert des Herrn betrachtete. Vielleicht war dieser Wahn eine Folge des Schmerzes, den er uber den Tod seines Sohns empfand.
Jedenfalls macht der Irrsinn den Mann in Schwarz unberechenbar und noch gefahrlicher.
Haggard schwenkte seine Waffe herum, bis die Mundung wieder auf Pape zeigte. Jacob las im Gesicht des Reverends den Entschlu?, endlich seine Rache zu uben.
»Nicht!« schrie der junge Zimmermann.
»Warum nicht?« fragte Haggard scheinbar ruhig. Nur das Vibrieren, das seiner Stimme weiterhin anhaftete, verriet seine Erregung. »Wurden Sie wirklich auf mich schie?en, Adler? Obwohl ich Ihnen und Irene mehrmals aus der Patsche geholfen habe? Obwohl ich Ihre Freundin, Mi? Anderson, vor diesem Trapper gerettet habe, der genauso ein mieser Frauenschander war wie diese Ratte hier?«
»Sie haben recht, meine Freunde und ich stehen in Ihrer Schuld, Haggard. Aber deshalb werde ich nicht ruhig mitansehen, wie Sie einen Mord begehen!«
Der Gefesselte wandte seinen Kopf um, so da? Jacob zum erstenmal sein Gesicht sehen konnte. Es war ein wenig vertrauenerweckendes Gesicht, unrasiert und pockennarbig. Die schiefe Nase verriet, da? Pape handfeste Auseinandersetzungen nicht scheute. Jetzt sprach Todesangst aus seinen schmalen Augen, aber Jacob bezweifelte nicht, da? sie auch mitleidslos und gemein blicken konnten. Zum Beispiel bei der Vergewaltigung einer Frau.
Jacob war sich ziemlich sicher, da? der Reverend nicht den Falschen erwischt hatte. Trotzdem war es Mord, was Haggard vorhatte. Au?erdem blieb ein Rest von Zweifel, wenn Jacob an Carl Dilger dachte.
Pape krachzte angsterfullt und zugleich von neuer Hoffnung beseelt auf deutsch: »Ja, bitte, Herr, helfen Sie mir! Sie sind doch auch Deutscher! Retten Sie mich vor diesem Wahnsinnigen, und ich werde alles tun, was Sie sagen!«
»Dann erzahlen Sie mir die Wahrheit!« verlangte Jacob.
»Die Wahrheit?« echote Pape mit gerunzelter Stirn. »Was meinen Sie?«
Auch Haggard blickte Jacob fragend an.
»Ich meine Ihren toten Freund, Carl Dilger. Hie? er wirklich so?«
»Worauf wollen Sie hinaus, Adler?« fragte der Reverend.
»Ich kenne Irene gut. Und sie hat mir viel uber Carl Dilger erzahlt. Der Carl Dilger, von dem ich gehort habe, ware nie und nimmer der Mann, der eine Frau uberfallt und vergewaltigt.« Jacob erhob seine Stimme. »Oder irre ich mich, Pape?«
»Nein«, sagte der Gefesselte leise. »Es stimmt. Wir haben unsere Namen geandert, weil wir steckbrieflich gesucht wurden. Ich hei?e eigentlich Alwin Rohlfing. Mein Freund hie? August Mohl. Wir nahmen die Namen von Pape und Dilger an, die wir auf dem Treck uber die Rockies kennengelernt hatten.«
»Also ist Dilger hier in Oregon?« fragte Jacob erregt. »Und er lebt?«
»Ich wei? nicht, ob er lebt. Aber er ist wahrscheinlich nicht in Oregon. Als wir in Fort Hall von den neuen Goldfunden in Kalifornien horten, spaltete sich ein Teil unseres Trecks ab, um den California Trail zu nehmen. Dilger und sein Freund Pape gehorten dazu. August und ich waren auch lieber zu den Goldfeldern gereist. Aber unter den Leuten, die weiter nach Oregon wollten, befand sich ein Geldsack, den wir ausnehmen wollten. Wir haben es auch geschafft und uns von dem Geld diese Farm gekauft.«
»Haben Dilger und der richtige Pape gesagt; wohin sie sich in Kalifornien wenden wollten?«
Franz Pape alias Alwin Rohlfing schuttelte seinen Kopf. »Keine Ahnung.«
»Jetzt wissen Sie ja alles, was Sie interessiert, Adler«, sagte Haggard ungeduldig. »Sie brauchen diese Ratte nicht mehr. Lassen Sie uns allein, wenn Sie nicht mitansehen konnen, was ich mit ihr vorhabe.«
»Nein!« schrie der Gefesselte und sah Jacob flehend an. »Sie haben mir versprochen, mir zu helfen!«
»Das werde ich auch«, sagte Jacob mit fester Stimme und machte einen Schritt nach vorn, naher an Rohlfing und Haggard heran. »Wenn Sie nicht sofort den Revolver senken, schie?e ich, Reverend!« »Das kann ich nicht tun, Adler.« Wieder stand das irrsinnige Flackern in Haggards Augen. »Das kann ich nicht tun!«
Zwei Schusse krachten, und der Mann auf dem Stuhl schrie auf.
Keine Kugel hatte Alwin Rohlfing getroffen. Er hatte nur aus Angst geschrien.
Und auch Jacob hatte nicht geschossen, obwohl er den Zeigefinger, der um den Abzug seines Karabiners lag, schon gekrummt hatte.
Aber gerade noch rechtzeitig erkannte er, da? die Kugel aus Haggards Webley in die Holzbohlen des Fu?bodens fuhr.
Mit einem unglaubigen Ausdruck in seinem eingefallenen Gesicht brach der Mann in Schwarz neben dem Stuhl zusammen. Jacob entdeckte ein Einschu?loch auf seiner Brust.
Und dann sah er den Mann, der den ersten Schu? abgefeuert hatte - die Kugel, die Haggard erwischt hatte. Er stand in der plotzlich aufgesto?enen Eingangstur, die direkt in die Wohnstube fuhrte.
Ein kalter Wind fegte von drau?en herein. Der Durchzug lie? die auf einem Tisch stehende Petroleumlampe heftig flackern. Die Schatten von Menschen und Gegenstanden fuhrten einen wilden Tanz an den Wanden auf.
Der Mann war gro?, massig und von wildem Aussehen. Ein schwarzer Vollbart wucherte in seinem breiten Gesicht und fiel tief auf seine Brust. Es war Black Joe Haslip.
»La? die Knarre fallen, Dutch!« forderte der Mountain Man.
Der Revolver in seiner Rechten zeigte auf den Zimmermann. Es wurde zu lange dauern, den Sharps herumzuschwenken. Also gehorchte Jacob.
»Wie kommen Sie hierher?« fragte er erstaunt.
»Wie schon? Ich bin euch gefolgt. Leider hatten meine Leute nach dem Uberfall im Canyon die Schnauze voll von euch, sonst hatten wir euch schon fruher abgeknallt. So war ich allein und mu?te auf eine gunstige Gelegenheit warten. Der Bibelfritze ist tot. Jetzt bist du dran, Dutch!«
»Ich. bin nicht. tot«, stohnte der am Boden liegende Reverend mit schwacher Stimme.
Haslip sah ihn verwundert an.
»Ein zaher Brocken, wie? Na, macht nichts, dann bist du es jetzt!« Er schwenkte den alten Colt Walker herum und richtete die Waffe auf den Reverend.
»Warum?« fragte dieser.
»Ich will Rache fur meinen Sohn!«
»Ihr. Sohn?«
»Ja, fur Timmy, den du getotet hast!«
»Sie. toten mich. aus Rache fur den Tod Ihres Sohnes?« fragte Haggard mit immer schwacher werdender Stimme. Seine Augen blickten nach oben. »Der Herr hat wirklich. Sinn fur Humor.«
Er hatte kaum ausgesprochen, als der starke Wind die zitternde Flamme der Petroleumlampe zum Erloschen brachte.