Jacob schuttelte die trube Stimmung von sich ab. Er suchte sich aus dem Durcheinander, das in dem verkommenen Farmhaus herrschte, genugend Stricke zusammen, um Rohlfing so fest zu verschnuren, da? dieser kaum noch einen Finger bewegen konnte.
Vorher hatte er ihn nach versteckten Waffen durchsucht und ihm ein Klappmesser abgenommen, das in seinem Stiefel steckte. Der Mann schien auf alles vorbereitet zu sein. Nur einen Fehler hatte er begangen, als er vergessen hatte, seine Riffle nachzuladen. Der hatte Jacob das Leben gerettet.
Er stapfte hinaus in den Schnee, um seinen Braunen und Haggards Rappen zu holen. Dann wuchtete er den noch immer bewu?tlosen Rohlfing wie einen Proviantsack auf den Rappen, so da? die Arme und der Kopf auf der einen und die Beine auf der anderen Seite herunterhingen. Er legte eine alte, lochrige Wolldecke aus dem Farmhaus daruber und schnurte alles gut fest. Wer nicht genau hinsah, wurde den Rappen nun fur ein Packpferd halten - was er in gewisser Hinsicht auch war.
Jacob machte sich nicht die Muhe, Haslips Tier zu suchen. Er stieg auf sein Pferd, ergriff die Zugel des Rappen und ritt davon. Immer wieder trieb er die Pferde zu gro?erer Schnelligkeit an.
Er hatte es eilig. Es war wichtig, da? er Hoodsville noch vor dem Morgengrauen erreichte.
*
Das Wetter schien sich gegen Jacob verschworen zu haben. Kaum hatte er die Senke mit der Farm verlassen, als heftiger Schneefall einsetzte. Der unablassige Wind, der von den Bergen pfiff, schwoll zu einem Sturm an. Mehrmals dachte Jacob daran, sich einen windgeschutzten Unterschlupf zu suchen, um den Sturm dort abzuwarten. Aber der Gedanke an Irene, die ganz allein in Hoodsville war und noch nicht einmal etwas von seinem nachtlichen Ausflug wu?te, trieb ihn voran. Er zog sein Halstuch vor den Mund, zog den Hut tief in die Stirn und hieb dem Braunen, der schwer gegen den Wind anzukampfen hatte, die Hacken in die Flanken.
Bald konnte er kaum noch die Hand vor Augen sehen, so dicht war das Schneegestober. Sterne waren ebenso wenig am Himmel zu sehen wie die Gipfel der Berge. Keine Orientierungspunkte. Die Spuren, die er und Haggard beim Ritt zur Farm hinterlassen hatten, hatte er langst verloren. Wahrscheinlich waren sie auch gar nicht mehr zu sehen, bedeckt vom frischen Schnee. Trotzdem ritt er weiter und vertraute auf seinen naturlichen Orientierungssinn.
Da? er sich auf ihn verlassen konnte, erkannte er, als die Umrisse der ersten Hauser schemenhaft vor ihm auftauchten.
Hoodsville!
Er hatte nie geglaubt, da? er sich einmal uber den Anblick dieser Stadt freuen wurde.
Wegen des Sturms hatte er fur den Ritt langer gebraucht als geplant. Das Nachtdunkel machte bereits einem schwachen Lichtschimmer Platz. Aber der Sturm, der durch die engen Stra?en toste, wurde die Leute vermutlich in den Hausern halten.
Er mied die Main Street und ritt auf Umwegen zum Haus der Witwe Fly.
Als er dort aus dem Sattel stieg, ware er fast umgeknickt, weil seine eiskalten, halb erfrorenen Beine ihm den Dienst versagen wollte. Er stampfte mehrmals fest mit den Fu?en auf und geno? den Schmerz, der ihm zeigte, da? noch Gefuhl in seinen Beinen war.
»Na endlich«, stohnte Rohlfing, als Jacob das Paket vom Sattel loste und die Decke wegzog. »Ich dachte schon, Sie wollten mich erfrieren lassen, Mann. Es war.«
Weiter kam er nicht, weil ihm Jacob ein Taschentuch als Knebel in den Mund stopfte.
Jacob legte den eingeschnurten Mann uber seine Schulter und ging ins Haus. Er horte Mrs. Fly in der Kuche hantieren. Leise schlich er nach oben und klopfte an Irenes Tur.
»Wer ist da?« fragte sie etwa eine halbe Minute spater.
»Ich, Jacob. Zieh dich schnell an und komm in mein Zimmer!«
Er ging voraus, warf Rohlfing auf sein Bett und deckte ihn soweit zu, da? nur noch seine Haare hervorschauten.
Als Irene, in einen schwarzen Rock und eine blaue Bluse gekleidet, eintrat, sah sie erst Jacob und dann den Mann im Bett verwirrt an.
»Wer ist das?« fragte sie, den Blick auf Rohlfing gerichtet. .
»Er nannte sich Franz Pape, aber eigentlich hei?t er Alwin Rohlfing.«
»Carls Freund?«
»Sagen wir, der Freund des Mannes, der sich Carl Dilger nannte und der jetzt auf dem Friedhof von Hoodsville liegt. Der wirkliche Carl Dilger ist nicht nach Oregon gereist, sondern hat in den Rockies den California Trail eingeschlagen.«
Irene starrte Jacob unglaubig an.
»Das hei?t.«
Jacob nickte.
»Das hei?t, da? Carl noch lebt«, erganzte er. »Er ist nach Kalifornien gegangen, um Gold zu schurfen.«
Irene fiel ihm um den Hals und ku?te ihn auf beide Wangen.
»Danke«, stammelte er verwirrt, als sie ihn wieder loslie?. »Wofur war das?«
»Fur diese Nachricht, Jacob.«
»Gern geschehen«, sagte er nur und fuhlte sich seltsam dabei.
Das gluckliche Leuchten in Irenes Augen war fur ihn nicht mit allem Gold Kaliforniens aufzuwiegen. Und trotzdem hatte die Nachricht, da? nicht der wirkliche Carl Dilger hier begraben lag, auch eine dunkle Saite in Jacob zum Klingen gebracht. Mit einem Mal war Irene fur ihn wieder in unerreichbare Ferne geruckt.
Hastig berichtete er ihr, was auf der Farm geschehen war. Irene war sehr besturzt uber den Tod des Reverends, auch wenn Haggard die junge Frau nur fur seine Zwecke ausgenutzt hatte.
»Was hast du jetzt vor?« fragte Irene.
»Rohlfing dem Sheriff ubergeben, sobald er zuruckkehrt. Solange der Sturm tobt, konnen wir die Stadt eh nicht verlassen. Hoffen wir, da? sich Eric Hood nicht auf die Seite seines Bruders und seines Neffen schlagt.«
»Und wenn doch?«
Jacob zuckte mit den Schultern.
Dann zog er den Webley des Reverends aus einer Tasche seiner Jacke und reichte ihn Irene.
»Ich bringe die Pferde in den Mietstall. Bevor der Sheriff heimkommt, soll mein Ausflug nicht mehr Leuten bekannt werden als unbedingt notig. Ich hoffe, da? mich bei dem Sturm niemand sieht. Du bleibst hier und bewachst Rohlfing. La? den Knebel in seinem Mund und lockere auf keinen Fall seine Fesseln! Falls sich Mrs. Fly meldet, soll sie das Fruhstuck fur uns beide herauf bringen. Sag ihr, es geht mir sehr schlecht und du mochtest mich nicht allein lassen!«
Irene nickte.
»Ich verstehe.«
»Pa? gut auf dich auf!« sagte Jacob, druckte ihr einen Ku? auf die Stirn und verlie? das Zimmer.
Es gelang ihm, ein zweites Mal ungesehen an der in der Kuche herumklappernden Witwe vorbeizukommen.
Die beiden Pferde standen noch im Hinterhof der Pension. Er fuhrte sie durch Nebenstra?en zum Mietstall, wo er niemanden antraf. Die beiden Stuhle, auf denen Willard Croy gesessen hatte, standen verlassen im Eingangsbereich.
Er uberlegte, ob er hier auf Eric Hood warten sollte. Nein, er wollte Irene nicht zu lange mit Rohlfing allein lassen. Au?erdem wurde sie sich Sorgen um ihn machen, wenn er langer wegblieb.
Also verlie? er den Mietstall und tauchte wieder in den Schneesturm ein.
*
Diesmal bemerkte ihn die Witwe Fly, als er in die Pension zuruckkehrte. Fast hatte sie die Pfanne mit den Bratkartoffeln fallengelassen.
»Mr. Adler!« rief sie entsetzt aus. »Ich habe Ihnen doch gerade das Fruhstuck hochgebracht. Sie. Sie liegen doch oben im Bett. mit Schuttelfrost.«
»Ich war nur kurz drau?en, um den Frost abzuschutteln«, meinte Jacob verlegen und eilte auch schon die Treppe hinauf, sich uber seine blode Ausrede argernd; aber in der Eile war ihm nichts Besseres eingefallen.
Als er Irene davon erzahlte, konnte sie sich ein Lachen nicht verkneifen.