Es waren fruchtlose Auseinandersetzungen, die zu nichts fuhrten und sie nur gegeneinander aufbrachten. Beide waren sexuell frustriert. Norman versuchte, damit fertig zu werden, indem er noch harter arbeitete. Elsie schwankte zwischen Stimmungen dumpfer Niedergeschlagenheit und romantischer Schwarmerei, der sie in ihren Liebesbriefen Luft machte.

Ach, mein liebster Schatz… unsere Liebe ist wie ein Marchen, und eines Tages wird es von uns hei?en, „sie lebten glucklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende”… Ich bete dich an, mein Geliebter… Du bist mein Ein und Alles. Ich wei?, wir werden in Deiner kleinen Hutte zurechtkommen… und Elsie verspricht Dir, Dich immer zu lieben… Ach, mein Liebster, Du ahnst ja nicht, wie viel Du mir bedeutest… Ich traume von dem Tag, an dem wir zusammen sind. Auf immer und ewig, Deine einzige wahre Liebe, Elsie

Norman wusste nicht, was er von solchen Briefen halten sollte. Er hatte den Eindruck, dass Elsie sich, sicher daheim in London, in die Rolle einer Marchenprinzessin hineinsteigerte. Vergessen war das harte Leben auf der Farm, sie sah nur idyllische Schonheit. Aber wie sollte er sie glucklich machen, wenn die Wirklichkeit — Schmutz, Gestank und Schulden — so anders aussah?

Die standigen Schwankungen in der Beziehung belasteten Norman. Aber noch mehr belasteten ihn seine fortwahrenden Geldsorgen. So sehr er sich anstrengte, er kam auf keinen grunen Zweig.

Seine Konkurrenten waren Bauern und Zuchter mit lange bestehenden Vertragen, und es gab keine Nachfrage nach Geflugel und Eiern von der Wesley Farm. Hatte er das Unternehmen besser geplant, so hatte er erst einmal die Gegend abgefahren und die ortlichen Geflugelfarmen gezahlt. Und dazu die Hofe, auf denen Huhner gehalten wurden. Aber er hatte das Gelande an der Blackness Road vollig blind gekauft.

Er machte Schulden bei den Futtermittelherstellern. Lieh sich Geld, um sie zu bezahlen. Er versuchte sich einzureden, es ware gut angelegtes Geld, wenn es am Ende Gewinn brachte. Er brauchte nur einen einzigen guten Vertrag mit einem Metzger, den er allwochentlich beliefern konnte.

Aber er musste immer an die Worte seines Vaters denken. „Wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tur steht, hilft dir die ganze Liebe nichts.”

Wahrend das Weihnachtsfest 1923 langsam naher ruckte, wurde Elsie immer verzweifelter. Sie war seit Monaten arbeitslos und, seit ihr Bruder und ihre Schwester geheiratet hatten, allein mit ihren Eltern. Jetzt machten auch Mr. und Mrs. Cameron Norman die Holle hei?. Sie waren so unnachgiebig wie ihre Tochter. Wann wurde er Elsie endlich heiraten und zur ehrbaren Frau machen?

Ebenso gut hatten sie fragen konnen: Wann nimmst du uns Elsie endlich ab? So sah es jedenfalls Norman. Je weniger er sich bereit zeigte, einen Termin festzulegen, desto harter setzten Elsies Eltern ihm zu.

»Sie brechen unserer Tochter das Herz«, sagte Mr. Cameron am ersten Weihnachtsfeiertag kalt. »Darf ich Sie daran erinnern, dass mittlerweile zwolf Monate seit der Verlobung vergangen sind.«

»Das wei? ich ja, Sir.« Norman holte tief Atem, um Ruhe zu bewahren. »Aber wie ich mehrmals erklart habe, kann ich im Moment nicht heiraten. Ich brauche -«

»Warum«, unterbrach Mr. Cameron, »haben Sie ein Versprechen gegeben, wenn Sie nicht daran dachten, es einzulosen?«

Mir wurde ja keine Wahl gelassen… Elsie hat mich da hineingetrieben… Ich hatte auf meinen Vater horen sollen… »Ich dachte, die Farm wurde dieses Jahr etwas abwerfen. «

»Hat sie aber nicht?«

»Es kann sich nur noch um Monate handeln, Sir. Wenn Sie Elsie uberreden konnten, noch ein wenig zu warten -«

»Es ist nicht meine Aufgabe, Elsie zu irgendetwas zu uberreden«, fuhr Mr. Cameron Norman an. »Meine einzige Pflicht ist es, Sie daran zu erinnern, dass Sie gesetzlich verpflichtet sind, sie zu heiraten, oder wegen Bruch des Eheversprechens vor Gericht landen werden.«

Normans Miene wurde trotzig. »Elsie war doch diejenige, die sich unbedingt verloben wollte. Mir war's recht so wie's war. Au?erdem habe ich nicht gesagt, dass ich nicht mehr will. Ich bitte nur um ein wenig mehr Zeit.«

»Aber die hat Elsie nicht, Norman. Sie wird im April sechsundzwanzig.«

»Das sieht man ihr doch nicht an.«

»Schon, aber darum geht es nicht. Sie hat das Gefuhl, dass das Leben an ihr vorbeigeht. Ihr Bruder und ihre Schwester sind jetzt verheiratet.« Mr. Cameron seufzte. »Sie behauptet, dass alle uber sie lachen, weil sie sitzen geblieben ist.«

Norman verspurte einen Anflug von Mitleid mit dem Mann. Er wusste, wie schwierig Elsie sein konnte, wenn sie glaubte, man mache sich uber sie lustig. Aber das Mitleid legte sich schnell wieder. Seiner Meinung nach hatten Mr. und Mrs. Cameron selbst Schuld daran, wie Elsie geworden war. Wenn sie sie nicht so verwohnt und ihr immer ihren Willen gelassen hatten, ware Elsie nie so launisch geworden.

Doch er selbst verhielt sich nicht viel anders. Was sollte ein Mann auch tun, wenn seine Freundin sich weinend in den Schmollwinkel zuruckzog und drohte, sich das Leben zu nehmen?

Sein Vater bemerkte schnell sein abflauendes Interesse. »Du bist aber fruh wieder da«, sagte er mit einem Blick auf seine Armbanduhr, als Norman am Weihnachtstag am Nachmittag nach Hause kam. »Verbringst du den Abend nicht mit Elsie?«

»Nein.« Norman setzte sich in einen Sessel am Feuer. »Ich muss zeitig ins Bett. Ich muss ja morgen zuruckradeln. «

»Ich dachte, du wolltest langer bleiben.«

»Hab's mir anders uberlegt.«

Sein Vater musterte ihn einen Moment. »Hast du dich mit Elsie uberworfen?«

»Nicht direkt.«

»Was gibt's dann fur Schwierigkeiten?«

»Das Ubliche. Ich kann mir die Heirat noch nicht leisten.«

Ein kurzes Schweigen folgte.

»Ist das der wahre Grund dafur, dass du die Hochzeit immer wieder aufschiebst?«, fragte sein Vater dann.

»Was fur einen Grund sollte es sonst haben?«

»Dass du sie nicht mehr liebst.« Er beugte sich vor, um seinen Sohn genau anzusehen. »Wenn es so ist, ware es anstandiger, gleich ehrlich mit ihr zu sein. Dann findet sie vielleicht noch einen anderen.«

»Sie will keinen anderen, Dad. Sie ist verruckt nach mir. Sagt immer, sie bringt sich um, wenn ich sie sitzen lasse. Sie verfallt manchmal in solche Stimmungen, wo sie sich einbildet, die ganze Welt ware gegen sie.« Er lie? seine Arme zwischen seinen gespreizten Knien abwarts gleiten und hob einen Fussel vom Teppich auf. »Mr. Cameron hat gesagt, dass er mich wegen Bruchs des Eheversprechens verklagt, wenn ich sie nicht heirate.«

Mr. Thorne lachelte dunn. »Lass dir mal davon keine Angst machen, mein Junge. Das ist nichts als leere Drohung. Kein Mensch schleppt jemanden vor Gericht, wenn dabei kein Geld herauszuschlagen ist. Und Geld hast du nun wei? Gott keines.«

»Ich mochte nicht gemein zu ihr sein, Dad. Ich mag sie immer noch gern.«

»Sicher, das glaube ich dir, mein Junge. Aber es ware grausam, sie zu heiraten — und dann ein Leben lang zu wunschen, du hattest es nicht getan.«

Der Gedanke, dass es anstandiger ware, Elsie schonend beizubringen, dass es aus war, nistete sich bei Norman ein. Er sagte, sie solle ihn wegen der Winterkalte vorlaufig nicht besuchen, und schrieb ihr nicht mehr so oft. Seine Briefe waren jetzt kuhl und formlich und sprachen nie von Liebe. Er hoffte, sie wurde den Wink verstehen und von selbst Schluss machen.

Das tat sie nicht.

Wahrend seine Leidenschaft nachlie?, nahm die ihre zu. Ihre Antworten auf seine Briefe gluhten vor Liebe. „Ich bete Dich an… Ich vergottere Dich… Ich kann den Fruhling nicht erwarten…” Es war, als glaubte sie, das Feuer ihrer Gefuhle konnte sich durch das Papier hindurchbrennen und lodernd Normans Herz erfassen. Wie hatte ein Mann einer Frau, die ihn so hei? liebte, widerstehen konnen?

Вы читаете Der Schrei des Hahns
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×