»Das finde ich ungehorig.«

»Kann ich Ihnen nicht verubeln. Sie mussen es als einen … nein, nicht als einen Vergleich, das ist nicht richtig, sondern als eine Art Parabel sehen.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Na ja, Sie haben auf der Ruckfahrt in die Stadt eine Stunde Zeit, um daruber nachzudenken … zwei, wenn Lars’ Red Baby eine Reifenpanne hat. Und ich kann Ihnen versichern, Mr. Lester, wenn ich Sie in meinem Haus - in meinem Privatbesitz, meiner Burg, meinen Kronjuwelen - herumschnuffeln lie?e, wurden Sie meine Frau nicht tot im Kleiderschrank oder …« Dann kam ein schrecklicher Augenblick, in dem ich beinahe oder im Brunnen liegend sagte. Ich spurte, dass ich plotzlich Schwei?perlen auf der Stirn hatte. »Oder unter dem Bett auffinden.«

»Ich habe nie behauptet …«

»Henry!«, rief ich. »Komm einen Augenblick her!«

Henry kam mit gesenktem Kopf durch den Staub geschlurft. Er wirkte besorgt, vielleicht sogar schuldbewusst, aber das war in Ordnung. »Ja, Sir?«

»Erzahl diesem Mann, wo deine Mama ist.«

»Das wei? ich nicht. Als du mich am Freitagmorgen zum Fruhstuck gerufen hast, war sie fort. Zusammengepackt und fort.«

Lester starrte ihn durchdringend an. »Sohn, ist das die Wahrheit?«

»Ja, Sir.«

»Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr dir Gott helfe?«

»Papa, kann ich wieder ins Haus? Ich muss doch Hausaufgaben nachmachen, weil ich krank war.«

»Gut, dann geh«, sagte ich, »aber trodele nicht. Denk daran, dass du heute mit dem Melken dran bist.«

»Ja, Sir.«

Er stapfte die Stufen der Veranda hinauf und verschwand im Haus. Lester sah ihm nach, dann wandte er sich wieder an mich. »Da steckt mehr dahinter.«

»Ich sehe, dass Sie keinen Ehering tragen, Mr. Lester. Wenn Sie erst mal einen so lange getragen haben wie ich,

Er stand auf. »Diese Sache ist noch nicht erledigt.«

»Doch, das ist sie«, sagte ich. Obwohl ich wusste, dass sie es nicht war. Aber wenn alles klappte, waren wir dem Ende ein Stuck naher als zuvor. Wenn.

Er ging uber den Hof davon, dann drehte er sich noch mal um. Er benutzte sein Seidentaschentuch, um sich abermals das Gesicht abzuwischen, dann sagte er: »Wenn Sie glauben, dass die 70 Hektar Ihnen gehoren, nur weil Sie Ihre Frau vertrieben haben … sie zu ihrer Tante in Des Moines oder einer Schwester in Minnesota fortgejagt haben …«

»Suchen Sie sie in Omaha«, sagte ich lachelnd. »Oder in Sain’-Loo. Mit ihrer Verwandtschaft konnte sie nie viel anfangen, aber sie war verruckt danach, in Sain’-Loo zu leben. Gott wei?, warum.«

»Wenn Sie glauben, dort drau?en saen und ernten zu konnen, irren Sie sich gewaltig. Wenn Sie auch nur ein einziges Saatkorn ausbringen, sehen wir uns vor Gericht wieder.«

»Ich bin mir sicher, dass Sie von ihr horen werden, sobald sie abgebrannt ist«, sagte ich.

In Wirklichkeit wollte ich sagen: Nein, das Land gehort nicht mir … aber auch nicht Ihnen. Es wird einfach dort drau?en liegen. Und das ist in Ordnung, denn in sieben Jahren wird es mir gehoren, wenn ich zum Gericht gehe, um sie amtlich fur tot erklaren zu lassen. Ich kann warten. Sieben Jahre, ohne Schweinemist zu riechen, wenn der Wind aus Westen kommt? Sieben Jahre, ohne die Schreie verendender Schweine (die den Schreien einer Sterbenden so ahnlich sind) zu horen oder ihre Eingeweide einen von ihrem Blut roten Bach hinabtreiben zu sehen? Das kommt mir wie sieben wundervolle Jahre vor.

»Noch einen schonen Tag, Mr. Lester, und nehmen Sie sich auf der Ruckfahrt vor der Sonne in Acht. Sie brennt am Spatnachmittag ziemlich herunter, und Sie haben sie genau im Gesicht.«

Er stieg wortlos in den Lieferwagen. Lars winkte mir zu, und Lester blaffte ihn an. Lars bedachte ihn mit einem Blick, der zu sagen schien: Du kannst knurren und fauchen, so viel du willst, nach Hemingford City zuruck sind’s trotzdem zwanzig Meilen.

Als von ihnen nur noch eine Staubfahne zu sehen war, kam Henry wieder auf die Veranda heraus. Er sah alter aus, wie ein junger Mann statt eines Jungen. »Hab ich es richtig gemacht, Papa?«

Ich ergriff sein Handgelenk, druckte es und tat so, als merkte ich nicht, wie das Fleisch unter meiner Hand sich vorubergehend versteifte, als musste er den Impuls unterdrucken, es mir zu entziehen. »Genau richtig. Perfekt.«

»Fullen wir den Brunnen morgen auf?«

Ich dachte sorgfaltig daruber nach, weil unser Leben davon abhangen konnte, wie ich mich entschied. Sheriff Jones wurde allmahlich alter und schwergewichtiger. Er war nicht faul, aber es war schwierig, ihn ohne guten Grund dazu zu bringen, sich in Bewegung zu setzen. Lester wurde Jones irgendwann davon uberzeugen, dass er zu uns hinausfahren musse, aber vermutlich nicht, bevor Lester dafur sorgte, dass einer der beiden quirligen Sohne Cole Farringtons den Sheriff anrief und ihn daran erinnerte, welche Firma der gro?te Steuerzahler in der Hemingford County war (von den benachbarten Countys Clay, Fillmore, York und Seward ganz zu schweigen). Trotzdem glaubte ich, dass uns noch mindestens zwei Tage blieben.

»Nicht morgen«, sagte ich. »Ubermorgen.«

»Warum erst dann, Papa?«

»Weil der Sheriff rauskommen wird. Sheriff Jones ist zwar alt, aber nicht dumm. Ein bereits aufgefullter Brunnen konnte ihn neugierig machen, warum er erst kurzlich aufgefullt wurde und so. Aber einer, der gerade erst aufgefullt wird … und das noch aus gutem Grund …«

»Welcher Grund? Sag schon!«

»Bald«, sagte ich. »Bald.«

Den ganzen nachsten Tag warteten wir auf eine auf unserer Stra?e heranbrodelnde Staubwolke, die nicht von Lars Olsens Lieferwagen, sondern vom Dienstwagen des County Sheriffs stammte. Aber sie kam nicht. Stattdessen kam Shannon Cotterie vorbei - die in ihrer Baumwollbluse und dem karierten Rock recht hubsch aussah -, um zu fragen, ob Henry wieder gesund sei und ob er mit ihr und ihrer Mama und ihrem Papa zu Abend essen konne, wenn er’s sei.

Henry sagte, er fuhle sich wohl, und ich beobachtete mit gro?er Sorge, wie sie Hand in Hand die Stra?e entlang davongingen. Er hutete ein schreckliches Geheimnis, und schreckliche Geheimnisse wiegen schwer. Sie mit anderen teilen zu wollen ist die naturlichste Sache der Welt. Und er liebte das Madchen (oder glaubte sie zu lieben, was aufs Gleiche herauskommt, wenn man noch keine 15 ist). Zu allem Ubel musste er eine Luge erzahlen, und sie wurde vielleicht erkennen, dass es eine Luge war. Liebende Augen sind angeblich blind, aber das ist eine torichte Annahme. Manchmal sehen sie viel zu viel.

Ich jatete im Garten (und zog mehr Erbsen heraus als Unkraut), dann setzte ich mich auf die Veranda, rauchte eine Pfeife und wartete darauf, dass er zuruckkam. Was kurz vor Mondaufgang der Fall war. Sein Kopf war gesenkt, seine Schultern hingen herab, und er schlurfte mehr, als er ging. Es tat mir weh, ihn so zu sehen, aber ich war

»Du hast es so erzahlt, wie wir es beschlossen haben?«, fragte ich ihn, als er sich setzte.

»Wie du es beschlossen hast. Ja.«

»Und sie hat versprochen, ihren Eltern nichts zu sagen?«

»Ja.«

»Aber wird sie’s tun?«

Er seufzte. »Wahrscheinlich, ja. Sie liebt ihre Eltern, und die lieben sie. Sie werden etwas auf ihrem Gesicht sehen, schatze ich, und es aus ihr rauskriegen. Und selbst wenn sie’s nicht tun, wird sie’s vermutlich dem Sheriff erzahlen. Das hei?t, wenn er sich uberhaupt die Muhe macht, mit den Cotteries zu reden.«

»Lester wird dafur sorgen, dass er das tut. Er wird Sheriff Jones anklaffen, weil seine Bosse in Omaha ihn anklaffen. So geht’s rundum im Kreis weiter, und wo alles endet, wei? niemand.«

»Wir hatten es nie tun sollen.« Er uberlegte, dann wiederholte er den Satz, wobei er grimmig flusterte.

Ich sagte nichts. Eine Zeit lang schwieg auch er. Wir beobachteten, wie der Mond rot und schwanger aus dem Mais aufstieg.

»Papa? Kann ich ein Glas Bier haben?«

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