»Gut. Nimm den Lastwagen und fahr damit zu dem Erdhaufen am Westzaun …«

»Allein?« Er klang nur andeutungsweise unglaubig, aber es war ermutigend, uberhaupt irgendeine Gefuhlsregung zu horen.

»Du kennst alle Vorwartsgange und kannst den Ruckwartsgang finden, stimmt’s?«

»Ja …«

»Dann kommst du zurecht. Ich habe bis dahin genug zu tun, und wenn du zuruckkommst, ist das Schlimmste vorbei.«

Ich wartete darauf, dass er mir nochmals erklaren wurde, das Schlimmste werde nie vorbei sein, aber das tat er nicht. Ich schaufelte weiter. Ich konnte noch immer Arlettes Kopf und den Rupfensack mit dem grasslichen herausgezogenen Haarbuschel daruber sehen. Irgendwo dort unten gab es vielleicht schon einen Wurf neugeborener Ratten in ihrer Wiege zwischen den Schenkeln meiner toten Frau.

Ich horte den Motor des Lastwagens kurz stottern, dann noch einmal. Ich hoffte, dass die Kurbel nicht zuruckschlagen und Henry den Arm brechen wurde.

Beim dritten Versuch sprang unser alter Lastwagen schlie?lich rohrend an. Henry stellte die Zundung zuruck, gab ein paarmal Gas und fuhr davon. Er blieb fast eine Stunde weg, aber als er zuruckkam, war die Ladeflache voller Erde und Steine. Er stie? ruckwarts an den Brunnenrand heran, stellte den Motor ab und stieg aus. Er hatte das Hemd ausgezogen, und sein schwei?nasser Oberkorper war viel zu mager; ich konnte seine Rippen zahlen. Ich uberlegte, wann

Ich werde dafur sorgen, dass er heute ein gutes Abendessen bekommt, dachte ich. Ich werde dafur sorgen, dass wir beide eines bekommen. Zwar kein Rindfleisch, aber im Eisschrank liegt etwas Schweinefleisch …

Auf einmal sah ich eine lange Staubfahne naher kommen. Ich warf einen Blick in den Brunnen. Unsere bisherige Arbeit reichte nicht aus. Elpis war erst zur Halfte mit Erde bedeckt. Das war naturlich in Ordnung, aber auch eine Ecke der blutigen Matratze ragte noch aus dem Erdreich.

»Hilf mir«, sagte ich.

»Reicht uns die Zeit, Papa?« Das klang nur ma?ig interessiert.

»Das wei? ich nicht. Vielleicht. Steh nicht herum, hilf mir!«

Die zweite Schaufel lehnte neben den zersplitterten Resten der alten Brunnenabdeckung an der Stallwand. Henry ergriff sie, und wir machten uns daran, Erde und Steine von der Ladeflache des Lastwagens zu schaufeln, so schnell wir nur konnten.

Als der Wagen des County Sheriffs mit dem goldenen Stern auf der Tur und dem Suchscheinwerfer auf dem Dach vor dem Hackklotz hielt (und George und die Huhner wieder einmal in die Flucht trieb), sa?en Henry und ich ohne Hemd auf den Verandastufen und teilten uns das Letzte, was Arlette James in ihrem Leben zubereitet hatte: einen Krug Limonade. Sheriff Jones stieg aus, ruckte seinen Gurtel hoch, nahm den Stetson ab, fuhr sich uber sein ergrauendes Haar und setzte den Hut wieder entlang der Linie auf, an der die

»Guten Tag, Gents.« Er musterte unsere nackten Oberkoper, schmutzigen Hande und schwei?nassen Gesichter. »Heute Nachmittag wird schwer gearbeitet, was?«

Ich spuckte aus. »Meine eigene verdammte Schuld.«

»Ach, tatsachlich?«

»Eine von unseren Kuhe ist in den alten Trankbrunnen gefallen«, sagte Henry.

»Ach, tatsachlich?«, sagte Jones

»Genau«, sagte ich. »Wollen Sie ein Glas Limonade, Sheriff? Die ist von Arlette.«

»Von Arlette, was? Sie hat beschlossen, zuruckzukommen, wie?«

»Nein«, sagte ich. »Sie hat ihre liebsten Klamotten mitgenommen, aber die Limonade dagelassen. Trinken Sie ein Glas mit.«

»Das tue ich. Aber erst muss ich den Abort benutzen. Seit ich Mitte funfzig bin, kommt’s mir vor, als musste ich an jeden Busch pinkeln. Das ist gottverdammt lastig.«

»Der Abort ist hinter dem Haus. Sie mussen nur dem Trampelpfad folgen und Ausschau nach dem Halbmond in der Tur halten.«

Er lachte, als ware dies der beste Witz, den er letztens gehort hatte, und ging nach hinten. Wurde er unterwegs stehen bleiben, um durch die Fenster ins Haus zu spahen? Das wurde er tun, wenn er seinen Job verstand, und soviel ich gehort hatte, tat er das. Zumindest hatte er sich in jungeren Jahren darauf verstanden.

»Papa«, sagte Henry. Er sprach mit leiser Stimme.

Ich sah ihn an.

»Wenn er’s rauskriegt, will ich es nicht noch schlimmer machen. Ich kann lugen, aber es darf keinen weiteren Mord geben.«

»Ist recht«, sagte ich. Es war ein kurzes Gesprach, aber eines, uber das ich in den vergangenen acht Jahren oft nachgedacht habe.

Sheriff Jones kam zuruck und knopfte dabei den Hosenschlitz zu.

»Geh rein und hol dem Sheriff ein Glas«, wies ich Henry an.

Henry ging hinein. Jones war mit den Knopfen fertig, nahm seinen Hut ab, fuhr sich abermals ubers Haar und setzte den Stetson wieder auf. Der Stern an seiner Brusttasche glanzte in der Nachmittagssonne. Der Revolver an seiner Hufte war gro?kalibrig, und obwohl Jones zu alt war, um im Gro?en Krieg gekampft zu haben, schien das Holster aus Bestanden des Amerikanischen Expeditionskorps zu stammen. Vielleicht hatte es seinem Sohn gehort. Sein Sohn war druben gefallen.

»Gut riechender Abort«, sagte er. »An hei?en Tagen immer schon.«

»Arlette hat ziemlich regelma?ig ungeloschten Kalk reingestreut«, sagte ich. »Wenn sie nicht wiederkommt, will ich versuchen, das selbst zu tun. Kommen Sie auf die Veranda, dann konnen wir im Schatten sitzen.«

»Schatten klingt gut, aber ich glaube, ich stehe lieber. Muss mein Ruckgrat strecken.«

Wir gingen nach oben auf die Veranda. Ich setzte mich, und er stand neben mir und sah auf mich herab. Mir gefiel es nicht, in dieser Position zu sein, aber ich bemuhte mich, das Ganze geduldig zu ertragen. Henry kam mit einem Glas zuruck. Sheriff Jones schenkte sich selbst ein, kostete die Limonade, sturzte sie dann gro?tenteils in einem Zug hinunter und schmatzte anerkennend mit den Lippen.

»Ah, ist das gut, nicht wahr? Nicht zu sauer, nicht zu su?, gerade richtig.« Er lachte. »Ich rede wie Goldlockchen,

»Haben Sie Ihre Dienststelle verlegt?«, fragte ich. »Ich dachte, Sie sind gleich druben in Home.«

»Das bin ich auch! Der Tag, an dem sie mich dazu zwingen, das Sheriff’s Office in die Kreisstadt zu verlegen, ist der Tag, an dem ich kundige und meinen Job Hap Birdwell uberlasse, der schon scharf darauf ist. Nein, nein, ich muss nur zu einer gerichtlichen Anhorung in die City. Eigentlich blo? Papierkram, aber was will man machen? Und Sie wissen ja, wie Richter Cripps ist … oder nein, vermutlich nicht, weil Sie ein gesetzestreuer Burger sind. Er ist ein ubellauniger Zeitgenosse, und seine Laune wird noch schlechter, wenn man sich mal verspatet. Jedenfalls muss ich mich hier drau?en ein bisschen beeilen, obwohl es in der City blo? darum geht, ›so wahr mir Gott helfe‹ zu sagen und dann einen Stapel Schriftstucke zu unterschreiben, nicht wahr? Hoffentlich halt mein gottverdammter Maxie auf der Ruckfahrt durch.«

Ich au?erte mich nicht dazu. Er redete irgendwie nicht wie jemand, der es eilig hat, aber vielleicht war das nur seine Art.

Er nahm den Hut ab und fuhr sich erneut ubers Haar, aber diesmal setzte er den Hut nicht wieder auf. Er betrachtete mich ernst, dann Henry, dann wieder mich. »Sie wissen wahrscheinlich, dass ich nicht aus eigenem Antrieb hergekommen bin. Was sich zwischen einem Mann und einer Frau abspielt, ist denen ihre Angelegenheit, finde ich. So muss es sein, nicht wahr? Das Weib sei dem Manne untertan, steht in der Bibel, und wenn sie etwas lernen soll, dann soll der Mann zu Hause ihr Lehrer sein. Korintherbrief.

»Mich uberrascht, dass Mr. Lester nicht mitgekommen ist«, sagte ich.

»Oh, er wollte mitkommen, aber das habe ich gleich unterbunden. Er wollte auch, dass ich einen Durchsuchungsbefehl beantrage, aber ich habe ihm gesagt, dass ich keinen brauche. Ich habe gesagt, Sie wurden zulassen, dass ich mich hier umsehe, oder eben nicht.« Er zuckte mit den Achseln. Zwar hatte er einen gelassenen Gesichtsausdruck aufgesetzt, aber die Augen in diesem freundlichen Gesicht waren scharf und unablassig in Bewegung: spahen und wittern, wittern und spahen.

Auf Henrys Frage nach dem Brunnen hatte ich gesagt: Wir beobachten ihn und stellen fest, wie

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