war. Trotzdem

Tess dachte auch kurz daran, vorzuschlagen, zweitausend Dollar seien vielleicht angemessener fur etwas, das tatsachlich eine Art Nothilfe war, kam aber wieder davon ab. Au?erdem bezweifelte sie, ob alle Strickclub- Bucher zusammen (genau ein Dutzend) sich so gut verkauft hatten wie eines von Stephanie Plums Abenteuern. Ob es ihr gefiel oder nicht - und Tess war das im Grund genommen egal -, war sie Ramona Norvilles Plan B. Ein Honoraraufschlag ware fast Erpressung gewesen. Funfzehnhundert waren mehr als fair. Als sie dann in dem Durchlass unter der Stra?e lag und aus geschwollenem Mund und gebrochener Nase Blut hustete, kam ihr das naturlich gar nicht mehr fair vor. Aber waren zweitausend denn fairer gewesen? Oder zwei Millionen?

Ob man Schmerzen und Entsetzen mit einem Preisschild versehen konnte, war eine Frage, mit der die Damen des Strickclubs sich nie befasst hatten. Die Verbrechen, die sie losten, waren eigentlich nicht mehr als die Idee von Verbrechen. Aber als Tess sich gezwungen sah, daruber nachzudenken, fand sie, die Antwort laute nein. Als sie sich wirklich dazu gezwungen sah, hatte sie das Gefuhl, fur solch ein Verbrechen sei nur eine Vergeltung denkbar. Sowohl Tom als auch Fritzy stimmte ihr da zu.

3

Ramona Norville erwies sich als breitschultrige, vollbusige, joviale Frau Anfang sechzig mit gerotetem Gesicht, Kurzhaarfrisur und kompromisslosem Handedruck. Sie erwartete Tess vor der Bibliothek - mitten auf dem fur den Beruhmten Autor des Tages reservierten Parkplatz. Statt Tess einen guten Morgen zu wunschen (es war Viertel vor elf) oder ihr ein Kompliment zu ihren Ohrringen zu machen (tropfenformige Brillanten, eine Extravaganz, die fur ihre wenigen Abendeinladungen oder Vortrage wie heute reserviert blieb), stellte sie eine Mannerfrage: War Tess auf der 84 hergekommen?

Als Tess das bejahte, machte Ms. Norville gro?e Augen und blies die Backen auf. »Dann bin ich froh, dass Sie heil angekommen sind. Meiner bescheidenen Meinung nach ist die 84 der schlimmste Highway Amerikas. Au?erdem ein ziemlicher Umweg. Aber die Ruckfahrt lasst sich optimieren, wenn das Internet recht hat und Sie in Stoke Village leben.«

Tess bestatigte, dass das zutraf, obwohl sie nicht recht wusste, ob es ihr gefiel, dass Fremde - selbst eine freundliche Bibliothekarin - wussten, wo sie ihr mudes Haupt zur Ruhe bettete. Aber es hatte keinen Zweck, sich daruber zu beschweren; heutzutage stand alles im Internet.

»Ich kann Ihnen zehn Meilen sparen«, sagte Ms. Norville, als sie die Treppe zur Bibliothek hinaufstiegen. »Haben Sie ein Navi? Das ist besser als eine auf einen alten Umschlag gekritzelte Wegbeschreibung. Wundervolle Dinger.«

Tess, die die Ausstattung ihres Ford Expedition tatsachlich um ein Navi erganzt hatte (es nannte sich TomTom und wurde in die Buchse des Zigarettenanzunders eingesteckt), sagte, zehn auf der Ruckfahrt eingesparte Meilen waren sehr nett.

»Lieber geradeaus durch Robin Hoods Scheune als ganz au?en herum«, sagte Ms. Norville mit einem leichten Klaps auf Tess’ Rucken. »Hab ich recht oder nicht?«

»Absolut«, bestatigte Tess, und damit war ihr Schicksal entschieden - einfach so. Aber sie hatte Abkurzungen naturlich nie widerstehen konnen.

4

Les affaires du livre bestanden im Allgemeinen aus vier klar definierten Akten, und Tess’ Auftritt bei der Monatsversammlung von Books & Brown Baggers war geradezu prototypisch. Die einzige Abweichung von der Norm war Ramona Norvilles Einfuhrung, die ungewohnlich kurz und bundig war. Sie brachte keinen entmutigenden Stapel Karteikarten mit aufs Podium, hielt es nicht fur notig, Tess’ Kindheit auf einer Farm in Nebraska zu schildern, und machte sich nicht die Muhe, ein Bukett aus lobenden Besprechungen der Kriminalromane uber den Strickclub Willow Grove zu prasentieren. (Das war gut, denn sie wurden selten besprochen, und wenn es dazu kam, wurde meistens auch Miss Marple erwahnt, nicht immer in vorteilhafter Weise.) Ms. Norville sagte einfach, die Bucher seien ungeheuer popular (eine verzeihliche Ubertreibung) und es sei au?erst gro?zugig von der Verfasserin, dass sie ihre Zeit so kurzfristig geopfert habe (obgleich bei funfzehnhundert Dollar Honorar kaum von einem Opfer die Rede sein konnte). Dann uberlie? sie das Podium Tess unter dem enthusiastischen Beifall der etwa vierhundert Personen in dem kleinen, aber ausreichend gro?en Vortragssaal der Bibliothek. Die meisten waren Ladys von der Sorte, die nie ohne Hut ausgingen.

Die Einfuhrung hatte jedoch mehr von einem Zwischenspiel an sich. Der erste Akt war der Empfang um elf Uhr, bei dem die besser zahlenden Gaste bei Kase, Crackern und scheu?lichem Kaffee Tess personlich kennenlernen konnten (bei Abendveranstaltungen gab es Plastikglaser mit scheu?lichem Wein). Manche baten um Autogramme; viel mehr baten um Fotos, die sie im Allgemeinen mit ihren Handys machten. Sie wurde gefragt, woher sie ihre Ideen nehme, und gab die erwarteten hoflichen und humorvollen Antworten. Ein halbes Dutzend Leute fragte sie, wie man einen Agenten bekomme, wobei das Glitzern in ihren Augen suggerierte, sie hatten die zusatzlichen zwanzig Dollar eigens dafur gezahlt, um diese Frage stellen zu konnen. Tess sagte, man schreibe Briefe, bis einer der Hungrigeren sich bereiterklare, sich das eingesandte Zeug anzusehen. Das war nicht die ganze Wahrheit - in Bezug auf Agenten gab es keine ganze Wahrheit -, aber es kam ihr immerhin nahe.

Der zweite Akt war der Vortrag selbst, der ungefahr eine Dreiviertelstunde dauerte. Er bestand im Wesentlichen aus Anekdoten (keine zu personlich) und der Schilderung, wie sie ihre Storys ausarbeitete (von hinten nach vorn). Dabei war es wichtig, mindestens dreimal den Titel ihres letzten Romans zu erwahnen, der in diesem Herbst Der Strickclub Willow Grove und der Spelaologe lautete (fur alle, die das Fremdwort nicht kannten, ubersetzte sie es mit »Hohlenforscher«).

Der dritte Akt war die Frageperiode, in der sie gefragt wurde, woher sie ihre Ideen habe (humorvolle, vage Antworten), ob ihre Figuren aus dem realen Leben stammten (»meine Tanten«) und wie man einen Agenten fur seine Arbeit interessiere. Heute wurde sie auch gefragt, wo sie ihren Haargummi gekauft habe (JCPenney, eine Antwort, die ihr unerklarlichen Beifall einbrachte).

Der letzte Akt war die Signierstunde, in der sie pflichtbewusst Bitten erfullte: Geburtstagsgluckwunsche, Gluckwunsche zu Hochzeitstagen, Fur Janet, einen Fan aller meiner Bucher und Fur Leah - ho f fentlich sehen wir uns im Sommer alle am Lake Toxaway wieder! (ein etwas seltsamer Wunsch, weil Tess - anders als vermutlich die Autogrammjagerin - noch nie dort gewesen war).

Als alle Bucher signiert und die letzten Trodler mit weiteren Handyfotos zufriedengestellt waren, nahm Ramona Norville Tess auf eine Tasse echten Kaffee mit in ihr Buro mit. Ms. Norville trank ihren schwarz, was Tess nicht im Geringsten wunderte. Ihre Gastgeberin war eine Schwarzer-Kaffee-Powerfrau, wenn jemals eine uber die Erde gestiefelt war (an ihrem freien Tag vermutlich in Doc Martens). Das einzig Uberraschende in ihrem Buro war das gerahmte signierte Foto an der Wand. Das Gesicht kam Tess bekannt vor, und nach kurzem Nachdenken kam sie auch auf den Namen.

»Richard Widmark?«

Ms. Norville lachte auf verlegene, aber zugleich erfreute Art. »Mein Lieblingsschauspieler. Als Madchen war ich ein bisschen in ihn verknallt, wenn ich ganz ehrlich sein soll. Dieses Foto habe ich mir zehn Jahre vor seinem Tod signieren lassen. Er war schon damals ziemlich alt, aber das ist eine echte Unterschrift, kein Stempel. Das gehort Ihnen.« Einen verruckten Augenblick lang dachte Tess, Ms. Norville meine das signierte Foto. Dann sah sie den Umschlag in ihren dicken Fingern. Es war ein Fensterumschlag, damit man sehen konnte, dass er einen Scheck enthielt.

»Danke«, sagte Tess und nahm ihn.

»Nichts zu danken. Sie haben sich jeden Cent verdient.«

Tess widersprach nicht.

»Nun zu der Abkurzung.«

Tess beugte sich aufmerksam nach vorn. In einem ihrer Strickclub-Krimis hatte Doreen Marquis gesagt: Die beiden besten Dinge im Leben sind warme Croissants und ein schneller Weg nach Hause. Das war so eine Stelle, wo die Schriftstellerin die eigenen liebsten Uberzeugungen dazu benutzte, ihre Erzahlung lebendiger zu machen.

»Konnen Sie auf Ihrem Navi Kreuzungen eingeben?«

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