Sie kam in einem gro?en schattigen Raum zu sich, der nach feuchtem Holz, uraltem Kaffee und prahistorischen Essiggurken roch. Genau uber ihr hing ein alter Deckenventilator schief herab. Er sah wie das defekte Karussell in dem Hitchcock-Film Der Fremde im Zug aus. Sie lag auf dem Fu?boden, war von der Taille abwarts nackt, und er vergewaltigte sie. Die Vergewaltigung erschien ihr weniger schlimm als sein Gewicht: Er erdruckte sie auch. Sie bekam kaum Luft. Bestimmt war alles nur ein Traum. Aber ihre Nase war geschwollen, an ihrem Hinterkopf schien sich eine Beule von der Gro?e eines kleinen Berges gebildet zu haben, und Holzsplitter bohrten sich in ihre Gesa?backen. Einzelheiten dieser Art nahm man in Traumen nicht wahr. Und in Traumen empfand man keine wirklichen Schmerzen; man wachte immer auf, bevor richtige Schmerzen einsetzten. Das hier passierte wirklich. Er vergewaltigte sie. Er hatte sie in den alten Gemischtwarenladen geschleppt und vergewaltigte sie, wahrend goldene Sonnenstaubchen trage im schrag einfallenden Licht der Nachmittagssonne tanzten. Woanders horten Leute Musik und kauften online ein und machten ein Nickerchen und telefonierten, aber hier drinnen wurde eine Frau vergewaltigt, und diese Frau war sie. Er hatte ihren Slip eingesteckt; sie sah die Ruschen aus der Brusttasche seiner Latzhose quellen. Dabei musste sie an den Film Beim Sterben ist jeder der Erste denken, den sie einst, als sie als Kinogangerin noch abenteuerlustiger gewesen war, im Rahmen einer College-Filmretrospektive gesehen hatte. Runter mit der Unterhose, hatte einer der Hinterwaldler gesagt, bevor er sich darangemacht hatte, den dicken Stadter zu vergewaltigen. Komisch, was einem durch den Kopf ging, wenn man unter hundertdrei?ig Kilo Bauernfleisch lag und das Glied eines Vergewaltigers

»Bitte«, sagte sie. »O bitte, nicht mehr.«

»Schlampe«, sagte er, und dann kam wieder diese Faust, die ihr Blickfeld ausfullte. Eine Seite ihres Gesichts wurde hei?, mitten in ihrem Kopf klickte es wieder, und sie wurde abermals bewusstlos.

7

Als sie das nachste Mal wieder zu sich kam, tanzte er in seiner Latzhose um sie herum, schwenkte dabei die Arme und sang mit quiekender, atonaler Stimme »Brown Sugar«. Die Sonne ging unter, und die beiden nach Westen hinausfuhrenden Fenster des Ladens - das Glas staubig, aber wie durch ein Wunder nicht von Vandalen eingeworfen - waren mit Feuer angefullt. Sein Schatten tanzte hinter ihm, glitt uber den Bretterfu?boden und die Wand hinauf, an der hellere Rechtecke zeigten, wo einmal Reklameschilder gehangen hatten. Das Poltern seiner derben Arbeitsstiefel klang apokalyptisch.

Sie konnte ihre Gabardinehose zusammengeknullt unter der Theke liegen sehen, auf der einst die Registrierkasse gestanden haben musste (wahrscheinlich neben einem Steinguttopf mit gekochten Eiern und einem weiteren mit eingelegten Schweinsfu?en). Sie konnte Moder riechen. Und o Gott, ihr tat alles weh. Ihr Gesicht, ihre Brust, am meisten dort unten, wo sie sich aufgerissen fuhlte.

Stell dich tot. Das ist deine einzige Chance.

Sie schloss die Augen. Das Singen horte auf, und sie roch naher kommenden Mannerschwei?. Scharfer als zuvor.

Weil er sich Bewegung gemacht hat, dachte sie. Sie verga?, dass sie sich tot stellen wollte, und versuchte zu schreien. Bevor sie das konnte, packte er sie mit seinen riesigen Pranken am Hals und begann sie zu wurgen. Sie dachte: Jetzt ist es aus. Mit mir ist es aus. Das waren ruhige Gedanken, voller Erleichterung. Wenigstens wurde sie keine Schmerzen mehr haben und nicht wieder aufwachen mussen, um den Vergewaltiger im blutroten Sonnenuntergangslicht tanzen zu sehen.

Sie wurde bewusstlos.

8

Als Tess zum dritten Mal aus einer Ohnmacht auftauchte, war die Welt schwarz und silbern geworden, und sie schwebte.

So ist das also, wenn man tot ist.

Dann spurte sie Hande unter sich - gro?e Hande, seine Hande - und einen Stacheldrahtreif aus Schmerzen um ihren Hals. Er hatte sie nicht stark genug gewurgt, um sie umzubringen, aber sie trug die Abdrucke seiner Hande wie eine Halskette: vorn die Handflachen, seitlich und im Nacken die Finger.

Es war Nacht. Der Mond war aufgegangen. Ein Vollmond. Er trug sie quer uber den Parkplatz des verlassenen Ladens. Er trug sie an seinem Pick-up vorbei. Sie konnte ihren Expedition nicht sehen. Ihr Expedition war weg.

Wo bist du, Tom?

Er blieb am Stra?enrand stehen. Sie konnte seinen Schwei? riechen und das Heben und Senken seines Brustkorbs spuren. Sie konnte die Nachtluft kuhl an ihren nackten Beinen

Halt er mich fur tot? Er kann mich nicht fur tot halten. Ich blute noch.

Oder vielleicht nicht? Das lie? sich nicht sicher feststellen. Sie lag schlaff in seinen Armen und kam sich vor wie ein Madchen in einem Horrorfilm, das eine, das von Jason oder Michael oder Freddy oder wie immer er hie?, fortgeschleppt wird, nachdem er alle anderen abgeschlachtet hat. Zu seinem verwahrlosten Schlupfwinkel tief im Wald, in dem sie an einen Haken in der Decke gekettet werden wurde. In diesen Filmen gab es immer Ketten und Haken in der Decke.

Er setzte sich wieder in Bewegung. Sie konnte seine Arbeitsstiefel auf dem ausgebesserten Asphalt der Stagg Road horen: stampf-polter-stampf. Auf der anderen Seite der Stra?e folgten dann scharrende, klappernde Gerausche. Er raumte die Holzstucke, die sie sorgfaltig eingesammelt und in den Stra?engraben geworfen hatte, mit Fu?tritten beiseite. Das tickende Blechschild war nicht mehr zu horen, aber sie vernahm jetzt flie?endes Wasser. Nicht viel, kein Schwall, nur ein Rinnsal. Er kniete sich hin und lie? dabei ein leises Grunzen horen.

Jetzt bringt er mich bestimmt um. Und ich muss wenigstens niemals wieder sein schreckliches Singen horen. Das ist das Schone daran, wurde Ramona Norville sagen.

»He, Madchen«, sagte er mit freundlicher Stimme.

Sie gab keine Antwort, aber sie konnte sehen, wie er sich uber sie beugte und in ihre halb geschlossenen Augen starrte. Sie gab sich gro?te Muhe, sie still zu halten. Wenn er die kleinste Bewegung entdeckte … oder Tranen glitzern sah …

»He.« Er klatschte mit der Handflache an ihre Wange. Sie lie? den Kopf zur Seite rollen.

»He!« Diesmal gab er ihr eine richtige Ohrfeige, allerdings auf die andere Wange. Tess lie? den Kopf auf die andere Seite rollen.

Er kniff sie in eine Brustwarze, aber weil er sich nicht die Muhe gemacht hatte, ihr Bluse und BH auszuziehen, tat das nicht allzu weh. Sie blieb schlaff liegen.

»Tut mir leid, dass ich dich eine Schlampe genannt hab«, sagte er, weiterhin mit freundlicher Stimme. »Du warst ein guter Fick. Und ich mag sie ein bisschen alter.«

Tess erkannte, dass er sie vielleicht wirklich fur tot hielt. Das war erstaunlich, aber es schien zu stimmen. Und auf einmal spurte sie den unbandigen Wunsch, weiterzuleben.

Er hob sie wieder hoch. Der Geruch von Mannerschwei? war plotzlich uberwaltigend stark. Bartstoppeln kitzelten die Seite ihres Gesichts, und sie musste sich gewaltig anstrengen, um nicht davor zuruckzuzucken. Er kusste ihren Mundwinkel.

»Tut mir leid, wenn ich ein bisschen grob war.«

Dann trug er sie weiter. Das Murmeln von laufendem Wasser wurde lauter. Das Mondlicht wurde blockiert. Es gab den Geruch - nein, den Gestank - von verfaulendem Laub. Er legte sie in knocheltiefem Wasser ab. Es war so eiskalt, dass sie fast aufgeschrien hatte. Als er ihre Fu?e an sie druckte, lie? sie die Knie nach oben gehen. Knochenlos, dachte sie. Muss knochenlos bleiben. Ihre Knie kamen nicht weit, bevor sie gegen Wellblech stie?en.

»Fuck«, sagte er in nachdenklichem Ton. Dann schob er sie hinein.

Tess blieb schlaff, auch als etwas - ein Ast - schmerzhaft ihr Ruckgrat hinunterschrammte. Ihre Knie holperten das Wellblech uber ihr entlang. Ihr Gesa? grub sich in eine schwammige Masse, und der Gestank nach verfaulendem pflanzlichem Material wurde starker. Der Gestank schnurte ihr die Kehle zu. Sie spurte den schrecklichen Drang, ihn

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