seit drei Jahren nicht einmal mehr einen One-Night-Stand erlebt, au?er man zahlte heute Nacht mit -, aber Gluck hatte sich heute rar gemacht, und sie war fur diesen glucklichen kleinen Zufall dankbar. Bestimmt hatte Manuel irgendwo entlang

»Keine Zwischenstopps, bringen Sie mich bitte einfach nur nach Hause.«

Bald waren sie auf der I-84, auf der reger Freitagnachtverkehr herrschte. Die Stagg Road mit dem verlassenen Geschaft lag hinter ihr. Was vor ihr lag, war ihr eigenes Haus mit einer Alarmanlage und Schlossern an allen Turen. Und das war gut.

17

Alles lief genauso ab, wie sie es sich vorgestellt hatte: die Ankunft, das auf der Kreditkartenabrechnung hinzugefugte Trinkgeld, ihr Weg zwischen den Blumenrabatten zur Haustur (sie bat Manuel, noch zu warten und ihr mit seinen Scheinwerfern zu leuchten, bis sie drinnen war), Fritzys Miauen, als sie den Briefkasten hochkippte und den Reserveschlussel von seinem Haken angelte. Dann war sie drinnen, und Fritzy strich ihr ungeduldig um die Beine, wollte hochgehoben und gestreichelt werden, wollte gefuttert werden. Das alles tat Tess, aber als Erstes sperrte sie die Haustur hinter sich ab und schaltete erstmals seit Monaten die Alarmanlage ein. Als sie auf dem kleinen grunen Display uber dem Tastenfeld das Wort SCHARF blinken sah, begann sie endlich, sich annahernd wieder wie sie selbst zu fuhlen. Sie sah auf die Kuchenuhr und war verblufft, weil es erst Viertel nach elf war.

Wahrend Fritzy sein Fancy Feast fra?, kontrollierte sie die Turen zum Garten und der seitlich angebauten Veranda und uberzeugte sich davon, dass beide abgesperrt waren. Danach die Fenster. Die Steuereinheit der Alarmanlage sollte melden, wenn eines offen war, aber sie traute ihr nicht. Als sie bestimmt wusste, dass alles sicher war, trat sie an den Dielenschrank und holte eine Schachtel herunter, die schon so lange im obersten Fach stand, dass sie eine dunne Staubschicht angesetzt hatte.

Vor funf Jahren hatte es im Norden von Connecticut und im Suden von Massachusetts eine Welle von Einbruchen und Uberfallen auf Hausbesitzer gegeben. Die bosen Jungs waren vor allem Drogenabhangige, die nach Eighties suchtig waren, wie OxyContin bei seinen vielen Fans in Neuengland hie?. Die Bevolkerung wurde aufgefordert, besonders vorsichtig zu sein und »angemessene Vorsichtsma?nahmen zu ergreifen«. Tess hegte keine starken Gefuhle fur oder gegen Handfeuerwaffen und war nicht sehr besorgt gewesen, fremde Manner konnten nachts bei ihr einbrechen (nicht damals), aber eine Schusswaffe schien in die Rubrik »angemessene Vorsichtsma?nahmen« zu fallen, und sie hatte ohnehin vorgehabt, sich fur den nachsten Willow-Grove-Roman mit Revolvern vertraut zu machen. Die Einbruchshysterie war ihr als perfekte Gelegenheit erschienen.

Sie ging in das im Internet am besten beurteilte Waffengeschaft in Hartford, und der Verkaufer empfahl ihr einen Smith & Wesson Kaliber.38, den er »Lemon Squeezer« nannte. Tess kaufte ihn vor allem deshalb, weil ihr dieser Name gefiel. Er nannte ihr auch einen guten Schie?stand am Ortsrand von Stoke Village. Als sie den Revolver nach Ablauf der 48-stundigen Wartezeit tatsachlich erhielt, war sie pflichtbewusst mit ihm dort hinausgefahren. Innerhalb einer Woche hatte sie rund vierhundert Schuss abgegeben;

Sie lud die Waffe und fuhlte sich mit jeder vollen Kammer besser, sicherer. Sie legte den Revolver auf die Arbeitsplatte in der Kuche, dann sah sie nach dem Anrufbeantworter. Nur eine Nachricht. Von Patsy McClain, ihrer Nachbarin. »Ich habe heute Abend kein Licht gesehen und vermutet, dass du dich entschlossen hast, in Chicopee zu ubernachten. Oder bist du vielleicht nach Boston gefahren? Jedenfalls habe ich den Schlussel hinter dem Briefkasten benutzt und Fritzy gefuttert. Oh, und ich habe deine Post auf den Tisch in der Diele gelegt. Lauter Werbung, sorry. Ruf mich morgen an, bevor ich in die Arbeit fahre, falls du zuruck bist. Ich will nur wissen, dass du heil wieder da bist.«

»He, Fritz«, sagte sie und buckte sich, um ihn zu streicheln. »Heute Abend hat’s doppelte Portionen gegeben, was? Ziemlich clever von…«

Grauschleier schoben sich vor ihren Blick, und wenn sie sich nicht am Kuchentisch festgehalten hatte, ware sie der Lange nach aufs Linoleum geschlagen. Sie stie? einen uberraschten Schrei aus, der schwach klang und aus weiter Ferne zu kommen schien. Fritzy legte die Ohren an, musterte sie mit schmalen Augen, schien zu dem Schluss zu gelangen, sie werde nicht fallen (zumindest nicht auf ihn), und machte sich wieder uber sein zweites Abendessen her.

Tess richtete sich langsam auf, hielt sich sicherheitshalber am Kuchentisch fest und offnete den Kuhlschrank. Thunfischsalat gab es keinen, aber es gab Erdbeerquark. Sie verschlang ihn gierig und kratzte den Plastikbehalter dann mit dem Loffel aus, um an den letzten Rest heranzukommen. Der Quark glitt kuhl und glatt durch ihre schmerzende

Sie trank Apfelsaft direkt aus der Flasche, rulpste und schleppte sich dann ins Bad im Erdgeschoss. Sie nahm den Revolver mit und lie? dabei die Finger aus dem Schutzbugel um den Abzug, wie sie es gelernt hatte.

Auf der Ablage uber dem Waschbecken stand ein ovaler Vergro?erungsspiegel, ein Weihnachtsgeschenk ihres Bruders in New Mexico. Am oberen Rand standen in goldener Schreibschrift die Worte Mein hubsches Ich. Die Alte Tess hatte ihn benutzt, um sich die Augenbrauen zu zupfen oder rasch das Make-up nachzubessern. Die Neue Tess begutachtete darin ihre Augen. Sie waren naturlich blutunterlaufen, aber die Pupillen schienen gleich gro? zu sein. Sie schaltete das Licht im Bad aus, zahlte bis zwanzig, schaltete es dann wieder ein und beobachtete, wie ihre Pupillen sich verengten. Auch das schien in Ordnung zu sein. Also wahrscheinlich kein Schadelbruch. Vielleicht eine Gehirnerschutterung, eine leichte Gehirnerschutterung, aber …

Als ob ich das wusste. Ich habe einen B. A. von der University o f Connecticut und einen hoheren Abschluss in Detektiv spielenden alten Ladys, die mindestens ein Viertel jedes Buchs damit verbringen, Rezepte auszutauschen, die ich aus dem Internet herunterlade und dann so abandere, dass mich niemand als Plagiatorin verklagen kann. Ich konnte nachts ins Koma fallen oder an einer Gehirnblutung sterben. Patsy wurde mich au f finden, wenn sie wiederkame, um die Katze zu futtern. Du musst zum Arzt, Tessa Jean. Und das wei?t du.

Sie wusste jedoch, dass ihr Ungluck erst recht offentlich bekanntwerden konnte, wenn sie zu ihrem Arzt ging. Arzte garantierten Verschwiegenheit, das gehorte zu ihrem Eid, und eine Frau, die von Beruf Anwaltin, Putzfrau oder Immobilienmaklerin war, konnte vermutlich darauf zahlen.

Ich habe mehr getan, als nur zuzuhoren, dachte sie, wahrend sie ihr zerschlagenes Gesicht im Vergro?erungsspiegel betrachtete. Ich habe dieses Happchen weitergegeben, sobald ich nur konnte.

Selbst wenn der Arzt und seine Sprechstundenhilfen nichts uber die Krimiautorin erzahlten, die auf der Heimfahrt von einer Lesung zusammengeschlagen, vergewaltigt und ausgeraubt worden war … was war mit den anderen Patienten, die Tess vielleicht im Wartezimmer sehen wurden? Fur einige von ihnen wurde sie nicht nur irgendeine misshandelte Frau mit Gesichtsverletzungen sein; sie wurde diese in Stoke Village lebende Schriftstellerin sein, du wei?t schon, welche ich meine, vor ein, zwei Jahren haben sie einen Film uber ihre alten Detektiv-Ladys gedreht, der ist im Lifetime Channel gezeigt worden, und o Gott, du hattest sie sehen sollen!

Die Nase sah nicht allzu schlecht aus. Schief und geschwollen (naturlich, armes Ding) und schmerzend, aber sie konnte durch sie atmen, und oben hatte sie etwas Vicodin, das sie nachts gegen Schmerzen nehmen konnte. Sie glaubte, dass sie zurechtkommen wurde, ohne sich die Nase richten zu lassen, und wenn sie in ein, zwei Monaten noch komisch aussah, konnte sie sich ja einer kleinen Rhinoplastik-OP - oder wie man das nannte - unterziehen. Aber sie eine Weise bekam. Au?erdem hatte sie verschiedene Blutergusse, Kratzer und Prellungen an Rucken, Beinen und Hintern. Aber Kleidung und Strumpfe waren als Tarnung Trumpfe.

Klasse. Ich bin eine Dichterin, ohne es zu ahnen.

»Der Hals … ich konnte einen Rollkragenpulli tragen …«

Klar. Oktober war Rollkragenwetter. Und Patsy konnte sie erzahlen, sie sei nachts die Treppe hinuntergefallen und habe sich im Gesicht verletzt. Sie konnte sagen …

»Dass ich geglaubt habe, ein Gerausch zu horen, und Fritzy mir zwischen die Fu?e gekommen ist, als ich runtergehen und nachsehen wollte.«

Fritzy horte seinen Namen und miaute von der Badezimmertur her.

»Dass ich mit meinem dummen Gesicht auf dem unteren Endpfosten gelandet bin. Ich konnte sogar …«

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