Sogar eine kleine Spur an dem Pfosten zurucklassen, naturlich konnte sie das. Vielleicht mit dem Fleischklopfer aus einer ihrer Kuchenschubladen. Nichts Auffalliges, nur ein, zwei leichte Schlage, um die Farbe abplatzen zu lassen. Ein Arzt (oder eine clevere alte Detektivin wie Doreen Marquis, Doyenne des Strickclubs) hatte sich von dieser Geschichte nicht tauschen lassen, aber es wurde die liebe Patsy McC tauschen, deren Mann in ihren zwanzig Ehejahren bestimmt kein einziges Mal die Hand gegen sie erhoben hatte.
»Es ist nicht so, dass ich mich wegen irgendwas schamen musste«, flusterte sie der Frau im Spiegel zu. Der Neuen Frau mit der schiefen Nase und den geschwollenen Lippen. »Ganz und gar nicht.« Gewiss, aber eine offentliche Blo?stellung wurde sie
Uber die wurde sie nachdenken mussen, aber nicht heute Nacht. Heute Nacht war sie mude, hatte Schmerzen und war in tiefster Seele bekummert.
In ihrem Innersten (in ihrer bekummerten Seele) spurte sie wie Glut unter der Asche Zorn auf den Mann, der das alles verschuldet hatte. Auf den Kerl, der sie in diese Lage gebracht hatte. Sie betrachtete den neben dem Waschbecken liegenden Revolver und wusste, dass sie auf ihn geschossen hatte, ohne einen Augenblick zu zogern, wenn er hier gewesen ware. Dieses Wissen bewirkte, dass sie sich schlecht fuhlte. Zugleich fuhlte sie sich etwas starker.
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Sie schlug mit dem Fleischklopfer etwas Farbe von dem Endpfosten des Gelanders ab - inzwischen war sie so mude, dass sie sich wie ein Traum im Kopf einer anderen Frau fuhlte. Sie begutachtete die Delle, fand, sie sah zu absichtlich erzeugt aus, und glattete die Rander mit ein paar leichten Schlagen. Als die Stelle wie etwas aussah, was sie mit einer Seite ihres Gesichts - wo die schlimmste Prellung war - erzeugt haben konnte, stieg sie langsam die Treppe hinauf und ging mit dem Revolver in der Hand den Flur entlang.
Vor der halb geoffneten Schlafzimmertur zogerte sie kurz. Was war, wenn
»Du magst es, es mag dich«, sagte Tess mit ihrer neuen, rauen Stimme. Ja. Genau das war es. Er wurde es nicht verstehen, aber
Sie merkte, dass sie sich geradezu wunschte, er ware in ihrem Zimmer. Was vermutlich bedeutete, dass die Neue Frau mehr als nur ein bisschen verruckt war, aber wenn schon? Wenn danach alles herauskam, war es das wert gewesen. Ihn zu erschie?en wurde die offentliche Demutigung ertraglich machen. Und sieh dir die positive Seite an! Es wurde vermutlich den Absatz steigern!
Ihre tastende Hand schien eine Ewigkeit zu brauchen, bis sie den Lichtschalter fand, und naturlich erwartete sie, dass jemand ihre Finger packen wurde, wahrend sie herumfummelte. Sie zog sich langsam aus und lie? ein triefendes, jammerliches Schluchzen horen, als sie den Rei?verschluss der Hose offnete und in ihrem Schamhaar angetrocknetes Blut sah.
Sie stellte die Dusche so hei?, wie sie es aushalten konnte, wusch die Stellen, die das Waschen vertrugen, und spulte alles andere nur ab. Mit sauberem hei?em Wasser. Sie wollte seinen Geruch loswerden, auch den Schimmelgeruch des Teppichrests. Danach setzte sie sich aufs WC. Diesmal tat das Pinkeln nicht mehr so weh, aber der Schmerzstrahl, der ihren Kopf durchzuckte, als sie - ganz vorsichtig - versuchte,
Sie zog einen Flanellpyjama an, schlurfte zum Bett und lag dann da: alle Lampen eingeschaltet, mit dem Smith & Wesson.38 auf dem Nachttisch. Sie befurchtete, nicht schlafen zu konnen, weil ihre uberreizte Phantasie jedes Gerausch von der Stra?e herauf in die Annaherung des Giganten verwandeln wurde. Aber dann sprang Fritzy aufs Bett, rollte sich neben ihr zusammen und begann zu schnurren. Das war besser.
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Als sie aufwachte, fiel das unbestreitbar nuchterne Licht von sechs Uhr morgens durch die Fenster herein. Es gab Dinge, die getan werden mussten, und Entscheidungen, die getroffen werden mussten, aber vorerst genugte es, zu leben und im eigenen Bett zu liegen, statt drau?en auf dem Land in eine Wellblechrohre gestopft zu sein.
Diesmal fuhlte das Pinkeln sich fast normal an, und sie sah kein Blut mehr. Sie trat unter die Dusche, stellte das Wasser wieder so hei?, wie sie es aushalten konnte, schloss die Augen und lie? es auf ihr pochendes Gesicht trommeln. Als sie davon genug hatte, massierte sie Shampoo in ihr Haar, arbeitete langsam und systematisch, benutzte ihre Finger, um die Kopfhaut zu massieren, und sparte die schmerzende Stelle aus, wo seine Faust sie getroffen haben musste. Anfangs brannte die tiefe Schramme auf
Die Dusche war schon immer der Ort, an dem sie am besten nachdenken konnte, eine Umgebung wie im Mutterleib, und wenn sie jemals angestrengt und gut hatte nachdenken mussen, dann war es heute.
»Vergiss den Aidstest nicht«, sagte sie, und dieser Gedanke lie? sie so stark das Gesicht verziehen, dass ihr der Mund wehtat. Ein beangstigender Gedanke. Trotzdem wurde sie den Test machen lassen mussen. Um ihrer eigenen Seelenruhe willen. Aber nichts von alledem ging auf die Frage ein, die sie jetzt als das Hauptproblem dieses Morgens erkannte. Was sie wegen ihrer Vergewaltigung tat oder nicht, war allein ihre Sache, aber das galt nicht fur die Frauen in der Rohre.
»Au?erdem meine Brillantohrringe«, sagte sie und senkte den Kopf, um sich die Haare zu spulen. »Der gottverdammte perverse Schei?kerl hat meine Ohrringe gestohlen.«
Selbst wenn sie die Stagg Road fur einige Zeit mied, gehorten diese Frauen jetzt zu ihr. Sie fielen in ihre Verantwortung,
Im stillen Licht eines Stadtrandmorgens in Connecticut war die Antwort lacherlich einfach: ein anonymer Anruf bei der Polizei. Die Tatsache, dass eine Krimiautorin mit zehn Jahren Berufserfahrung nicht gleich darauf gekommen war, verdiente fast eine Gelbe Karte. Sie wurde den Tatort angeben - den verlassenen »DU MAGST ES ES MAG DICH«-Laden an der Stagg Road - und den Riesen beschreiben. Wie schwierig konnte es sein, einen solchen Mann aufzuspuren? Oder einen blauen Ford F-150 mit Bondo-Spachtel um die Scheinwerfer?
Kinderleicht.
Aber wahrend sie sich die Haare trocknete, fiel ihr Blick auf den Smith & Wesson Kaliber.38, und sie dachte:
»Was bringt mir das?«, fragte sie Fritzy, der in der Tur sa? und sie mit seinen gro?en grunen Augen beobachtete. »Was ist dann fur
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Eineinhalb Stunden spater stand Tess in der Kuche. Ihre Muslischale war im Ausguss eingeweicht. Ihre zweite Tasse Kaffee wurde auf der Arbeitsplatte kalt. Sie telefonierte.