gezeichneter Sattelschlepper mit etwas, das wohl ein Habicht sein sollte, auf der Seite und einem bizarren Fahrer mit

Wer mehr als die Begru?ungsseite sehen wollte, hatte die Wahl zwischen vier, funf Moglichkeiten, darunter Kontaktadresse, Frachttarife und Empfehlungen von zufriedenen Kunden. Tess ubersprang sie und klickte auf die letzte, die SEHEN SIE SICH DIE NEUESTE ERGANZUNG UN-SERER FLOTTE AN! lautete. Und als das Foto erschien, fiel das letzte Stuck des Puzzles an seinen Platz.

Die Aufnahme war viel besser als die andere, die Ramona Norville auf der Treppe vor der Bibliothek zeigte. Auf diesem Foto sa? Tess’ Vergewaltiger am Steuer eines auf Hochglanz polierten Frontlenkers, eines Sattelschleppers der Marke Peterbilt, auf dessen Tur in verschnorkelter Zierschrift RED HAWK TRUCKING COLEWICH, MASSACHUSETTS stand. Diesmal trug er seine braune Mutze mit den Bleichmittelflecken nicht, und der auf diese Weise sichtbare blonde Burstenhaarschnitt machte ihn seiner Mutter auf fast unheimliche Weise noch ahnlicher. Sein frohliches Mir-konnen-Sie-vertrauen-Grinsen kannte Tess von gestern Nachmittag nur allzu gut. Er hatte es noch zur Schau getragen, als er gefragt hatte: Wie war’s, wenn ich dich ficken wurde, statt deinen Reifen zu wechseln? Wie ware das?

Der Anblick des Fotos bewirkte, dass das unheimliche Wutserum rascher durch ihren Organismus kreiste. In ihren Schlafen pochte etwas, das eigentlich kein Kopfschmerz war; eigentlich war es sogar angenehm.

Er trug einen roten Glasring.

Die Bildunterschrift lautete: »Al Strehlke, Prasident von Red Hawk Trucking, am Steuer des neuesten Fahrzeugs der

Sie horte, wie er sie eine Schlampe nannte, eine weinerliche Hurenschlampe, und ballte die Hande zu Fausten. Sie grub die Fingernagel in die Handflachen, druckte noch fester zu, genoss den Schmerz.

Stolzer Papa. Dorthin kehrte ihr Blick immer wieder zuruck. Stolzer Papa. Der Zorn pulsierte schneller und immer schneller, kreiste durch ihren Korper, wie sie im Kreis durch die Kuche gelaufen war. Wie sie letzte Nacht den verlassenen Laden umkreist hatte: mal bei Bewusstsein, mal weggetreten - einer Schauspielerin gleich, die sich durch die Lichtkreise von Punktscheinwerfern bewegte.

Dafur wirst du bezahlen, Al. Und die Cops lassen wir au?en vor; ich komme selbst kassieren.

Und dann gab es noch Ramona Norville. Die stolze Mama des stolzen Papas. Obwohl Tess sich in Bezug auf sie noch nicht ganz sicher war. Teils weil sie nicht glauben wollte, dass eine Frau zulassen konnte, dass einer anderen Frau etwas so Schreckliches zustie?, aber auch weil eine harmlose Erklarung denkbar war. Chicopee war nicht allzu weit von Colewich entfernt, und Ramona wurde die Stagg Road standig als Abkurzung benutzen, wenn sie dorthin fuhr.

»Um ihren Sohn zu besuchen«, sagte Tess und nickte. »Um den stolzen Papa mit dem neuen Peterbilt- Frontlenker zu besuchen. Vielleicht hat sie sogar die Aufnahme von ihm am Steuer gemacht.« Und wieso sollte sie der Gastautorin nicht ihre Lieblingsroute empfehlen?

Aber warum hatte sie nicht gesagt: »Diese Strecke fahre ich oft, um meinen Sohn zu besuchen«? Ware das nicht irgendwie selbstverstandlich gewesen?

»Vielleicht spricht sie uber die Strehlke-Phase ihres Lebens nicht mit Fremden«, sagte Tess. »Die Phase, bevor sie kurze Haare und bequeme Schuhe entdeckt hat.« Das war moglich, aber es gab auch die mit Nageln gespickten verstreuten Bretter zu bedenken. Die Falle. Norville hatte sie dorthin geschickt, und die Falle war rechtzeitig aufgestellt worden. Weil sie ihn angerufen hatte? Weil sie angerufen und gesagt hatte: Ich schicke dir eine Leckere, verpass sie nicht?

Das hei?t noch immer nicht, dass sie beteiligt war … wissentlich beteiligt. Der stolze Papa kann verfolgt haben, wer bei ihr in der Bibliothek sprechen wurde - wie schwierig ware das?

»Gar nicht«, sagte Fritzy, nachdem er auf ihren Karteischrank gesprungen war. Er machte sich daran, eine Pfote zu putzen.

»Und wenn er ein Foto von einer gesehen hat, die ihm gefallen hat … eine halbwegs attraktive Frau … hat er wahrscheinlich gewusst, dass seine Mutter sie uber die Stagg Road heimschicken …« Sie hielt inne. »Nein, so kann’s nicht gewesen sein. Wie hatte er ohne Input von seiner Mama gewusst, dass ich nicht nach Boston heimfahre? Oder nach New York zuruckfliege?«

»Du hast nach ihm gegoogelt«, sagte Fritz. »Vielleicht hat er nach dir gegoogelt. Genau wie sie es getan hat. Heutzutage steht alles im Internet; das hast du selbst gesagt.«

Das hing logisch zusammen, wenn auch nur an einem hauchdunnen Faden.

Ihrer Ansicht nach gab es nur eine Moglichkeit, das zweifelsfrei festzustellen: durch einen Uberraschungsbesuch bei Ms. Norville. Ihr in die Augen zu sehen, wenn sie Tess sah. Wenn in ihnen nichts als Uberraschung und Neugier wegen der Ruckkehr der Willow-Grove-Autorin - in Ramonas Heim statt in ihre Bibliothek - stand, war das eine Wieso bist du hier statt in einem rostigen Durchlass unter der Stagg Road ausgelost haben konnte … nun, dann …

»Das ware etwas anderes, Fritzy? Oder nicht?«

Fritzy betrachtete sie mit cleveren grunen Augen und putzte sich weiter die Pfote. Sie sah harmlos aus, diese Pfote, aber sie besa? verborgene Krallen. Tess hatte sie nicht nur gesehen, sondern manchmal auch gespurt.

Sie hat herausbekommen, wo ich wohne; mal sehen, ob ich mich revanchieren kann.

Tess wandte sich wieder ihrem Computer zu und suchte diesmal die Website der Books & Brown Baggers. Sie war sich sicher, dass sie eine finden wurde - heutzutage hatte jeder eine Website, es gab zu »lebenslanglich« verurteilte Haftlinge, die eine Website hatten -, und wurde nicht enttauscht. Die Brown Baggers stellten Buchbesprechungen, interessante Nachrichten uber ihre Mitglieder und lockere Zusammenfassungen - nicht ganz Protokolle - ihrer Treffen ins Netz. Tess entschied sich fur Letztere und begann zu scrollen. Sie brauchte nicht lange, um herauszubekommen, dass das Treffen am 10. Juni in Ramona Norvilles Haus in Brewster stattgefunden hatte. Tess war noch nie dort gewesen, aber sie wusste, wo diese Kleinstadt lag, und war erst gestern auf der Fahrt zu ihrem Gig an einem grunen Turnpike-Wegweiser mit der Aufschrift »Brewster« vorbeigefahren. Es lag nur zwei oder drei Ausfahrten sudlich von Chicopee.

Als Nachstes rief sie die Steuerunterlagen der Brewster Township auf und scrollte nach unten, bis sie Ramonas Namen fand. Sie hatte im Vorjahr fur ihr Grundstuck 75 Lacemaker Lane eine Grundsteuer von 913,06 Dollar gezahlt.

»Hab dich, Schatzchen«, murmelte Tess.

»Du musst uberlegen, wie du diese Sache anfangen willst«, sagte Fritzy. »Und wie weit du zu gehen bereit bist.«

»Wenn ich recht habe«, sagte Tess, »vielleicht ziemlich weit.«

Als sie den Computer herunterfahren wollte, fiel ihr noch etwas ein, das sich zu uberprufen lohnte, obwohl vermutlich nichts dabei herauskommen wurde. Sie rief die Homepage des Weekly Reminder auf und klickte NACHRUFE an. Dort gab es ein Feld, in das man den Namen schreiben konnte, der einen interessierte, und Tess gab STREHLKE ein. Der einzige Treffer war ein gewisser Roscoe Strehlke. In dem Nachruf aus dem Jahr 1999 hie? es, er sei 48-jahrig ganz plotzlich zu Hause verstorben. Die trauernden Hinterbliebenen waren seine Frau Ramona und zwei Sohne: Alvin (23) und Lester (17). Fur eine Krimiautorin, selbst wenn sie nur unblutige Romane fur alte Ladys schrieb, die man gern »Hakel-Krimis« nannte, war plotzlich verstorben eine rote Flagge. Sie durchsuchte die allgemeine Datenbank des Reminder, ohne jedoch mehr zu finden.

Sie blieb einen Augenblick sitzen und trommelte mit den Fingern auf ihre Sessellehne, wie sie das immer tat, wenn ihr bei der Arbeit ein Wort, ein Satz oder ein treffender Ausdruck fehlte. Dann suchte sie eine Aufstellung von Zeitungen im Westen und Suden von Massachusetts und fand den Springfield Republican. Als sie den Namen von Ramona Norvilles Ehemann eingab, war die dazugehorige Schlagzeile knapp und pragnant: GESCHAFTSMANN AUS CHICOPEE VERUBT SELBSTMORD.

Strehlke war in seiner Garage an einem Dachbalken hangend aufgefunden worden. Er hatte keinen Abschiedsbrief hinterlassen, und Ramona wurde nicht zitiert, aber ein Nachbar sagte, Mr. Strehlke sei wegen

Вы читаете Zwischen Nacht und Dunkel
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату