gleich tanken konnte.«
»Aber du konntest dich irren. Ware es nicht besser, hinter dem Shop zu warten und ihm zu folgen, wenn er wegfahrt?«
Aber das wollte Tess nicht. Die Vorderfront der Raststatte war ganz verglast. Er konnte sie beim Hereinfahren zufallig sehen. Auch wenn ihr Gesicht in den Schlagschatten der grellen Beleuchtung schlecht zu sehen war, konnte er ihr Auto wiedererkennen. Schwarze Ford-Gelandewagen waren haufig, aber seit Freitagnacht musste Al Strehlke fur schwarze Ford Expedition besonders sensibilisiert sein. Und ihr Kennzeichen … als er auf dem verunkrauteten Parkplatz des verlassenen Ladens neben ihr gehalten hatte, musste er gesehen haben, dass ihr Wagen in Connecticut zugelassen war.
Und es gab noch etwas zu bedenken. Etwas noch Wichtigeres. Sie fuhr weiter, so dass Richie’s Rasthof Township Road im Ruckspiegel zuruckblieb.
»Ich will nicht hinter ihm sein«, sagte sie. »Ich will vor ihm sein. Ich will ihm auflauern.«
»Was ist, wenn er verheiratet ist, Tess?«, fragte Tom. »Wenn er eine Frau hat, die auf ihn wartet?«
Dieser Gedanke verbluffte sie im ersten Augenblick. Dann lachelte sie, was aber nicht nur daran lag, dass der einzige Ring, den er getragen hatte, zu gro? gewesen war, um einer mit einem Rubin zu sein. »Kerle wie der haben keine Frau«, sagte sie. »Jedenfalls keine, die es bei ihnen aushalt. In Als Leben hat es nur eine einzige Frau gegeben, und die ist jetzt tot.«
37
Anders als die Lacemaker Lane hatte die Township Road nichts Vorstadtisches an sich; sie war so landlich wie Alan Jackson. Im Licht des Mondes glichen die Hauser schimmernden Inseln aus elektrischem Licht.
»Tess, du bist bald am Ziel«, sagte Tom mit seiner nicht imaginaren Stimme.
Sie fuhr uber eine kleine Kuppe und sah links voraus einen Briefkasten mit dem Namen Strehlke und der Nummer 23. Der Asphaltbelag der Zufahrt, die in einer langen ansteigenden Kurve verlief, war glatt wie schwarzes Eis. Tess bog, ohne zu zogern, auf sie ab, aber sobald die Township Road hinter ihr lag, bekam sie es mit der Angst zu tun. Sie musste sich beherrschen, um nicht scharf zu bremsen und wieder auf die Stra?e zuruckzusto?en. Wenn sie jetzt weiterfuhr, gab es kein Zuruck mehr. Dann glich sie einem Kafer in einer Flasche. Und was war, wenn er zwar nicht verheiratet war, aber heute Abend Besuch hatte? Zum Beispiel von Bruder Lester? Was war, wenn Big Driver bei Richie’s Rasthof nicht nur fur einen, sondern fur zwei Kerle Bier und Snacks gekauft hatte?
Tess schaltete die Scheinwerfer aus und fuhr im Mondlicht weiter.
In ihrer Nervositat erschien ihr die Zufahrt endlos lang, aber sie war bestimmt keine zweihundert Meter weit gefahren, als sie die Lichter von Strehlkes Haus sah. Es stand auf einem Hugel: ein gepflegtes Gebaude, gro?er als ein Cottage, aber kleiner als ein Farmhaus. Kein Haus aus Ziegeln, aber auch keine bescheidene Strohhutte. In der Geschichte von den drei kleinen Schweinchen und dem gro?en bosen Wolf ware dies das Haus aus Stocken gewesen, schatzte Tess.
Links neben dem Haus war ein langer kastenformiger Auflieger mit dem Schriftzug RED HAWK TRUCKING auf seiner Flanke abgestellt. Vor der Garage am Ende der Zufahrt parkte ein Peterbilt, die Zugmaschine von der Website. Im Mondschein sah sie gespenstisch aus. Tess fuhr langsamer, als sie sich ihr naherte, und geriet im nachsten Augenblick in eine wei?e Lichtflut, die sie blendete und Rasen und Zufahrt strahlend hell beleuchtete. Es waren Halogenstrahler mit Bewegungsmeldern auf einem Lichtmast,
Sie bremste scharf und kam sich vor wie damals, als sie als Teenager einmal getraumt hatte, in der Schule vollig nackt zu sein. Sie horte eine Frau stohnen. Das musste sie selbst sein, aber es klang nicht wie sie, fuhlte sich auch nicht an wie sie.
»Das ist nicht gut, Tess.«
»Schnauze, Tom.«
»Er kann jeden Augenblick zuruckkommen, und du wei?t nicht, wie lange das Licht jeweils brennt. Du hast schon mit der Mutter deine liebe Muhe gehabt. Und er ist
»
Sie wollte nachdenken, aber das war in dem grellen Licht schwierig. Die Schatten der geparkten Zugmaschine und des langen silbrigen Kastens links neben ihr schienen mit spitzen schwarzen Fingern - Butzemannfingern - nach ihr zu greifen. Dieser gottverdammte Lichtmast!
Und o Gott, um alles noch schlimmer zu machen, fing auf einmal ein Hund an zu bellen. Im Haus war ein Hund. Sie stellte sich einen heiser knurrenden Pitbull mit gefletschten Rei?zahnen vor.
»Wenn du hierbleiben willst, musst du zusehen, dass du au?er Sicht kommst«, sagte Tom … und nein, das klang nicht wie ihre Stimme. Nicht
Sie sah in den Ruckspiegel und biss sich auf die nach wie vor geschwollene Unterlippe. Noch keine naher kommenden Scheinwerfer. Aber wurde sie die in der Helligkeit des Mondlichts
»Zu der Beleuchtung gehort eine Zeitschaltuhr«, sagte Tom, »aber ich wurde etwas tun, bevor sie ablauft, Tess. Wenn du danach weiterfahrst, dann lost du sie nur wieder aus.«
Sie schaltete den Allradantrieb des Expedition zu und wollte um die Zugmaschine herumfahren, bremste aber gleich wieder. Dahinter wuchs hohes Gras. Im unbarmherzigen Licht der Halogenscheinwerfer musste er die Spuren sehen, die sie hinterlassen wurde. Selbst wenn die schei? Scheinwerfer jetzt ausgingen, bei seiner Ruckkehr wurden sie erneut aufflammen, und er wurde die Spuren sehen.
Drinnen im Haus machte der Hund sich weiterhin bemerkbar:
»Fahr uber den Rasen und stell ihn hinter den Auflieger«, sagte Tom.
»Aber die Spuren! Die
»Irgendwo musst du dich verstecken«, antwortete Tom. Er sprach zuruckhaltend, aber energisch. »Wenigstens ist das Gras dort gemaht. Die meisten Leute sind namlich schlechte Beobachter. Das sagt Doreen Marquis dauernd.«
»Strehlke ist keine alte Lady aus dem Strickclub, er ist ein gottverdammter Irrer.«
Aber weil sie effektiv keine andere Wahl hatte - nicht mehr, seit sie hier oben war -, fuhr Tess in dem glei?end hellen Licht, das wie die Mittagssonne blendete, uber den
»Selbst wenn das Licht bei seiner Ruckkehr noch brennt, wird er vielleicht nicht misstrauisch«, sagte Tom. »Ich wette, dass der Bewegungsmelder oft durch Wild ausgelost wird. Vielleicht hat er sogar weitere Scheinwerfer, um es aus seinem Gemusegarten zu verscheuchen.«
Das klang vernunftig (und wieder wie ihre spezielle Tom-Stimme), aber es beruhigte sie nicht sonderlich.
Der Boden hinter dem silbernen Kasten war abgefahren und holperig - anscheinend waren dort schon oft Auflieger abgestellt worden -, aber durchaus fest. Sie parkte den Expedition moglichst tief im Schatten des kastenformigen Aufliegers und stellte den Motor ab. Sie schwitzte stark und produzierte einen scharfen Geruch, gegen den kein Deodorant angekommen ware.
Sie stieg aus, und die Scheinwerfer mit Bewegungsmelder erloschen just in dem Moment, als sie die Tur zuknallte. Einen aberglaubischen Moment lang glaubte Tess, das hatte an ihr gelegen, aber dann erkannte sie, dass nur die Schaltuhr von dem Schei?ding abgelaufen war. Sie lehnte sich auf die warme Motorhaube des Expedition, holte schnaufend tief Luft und stie? sie wieder wie ein Laufer auf dem letzten halben Kilometer eines Marathons aus. Wie lange es gebrannt hatte, hatte eine nutzliche Information sein konnen, aber diese Frage konnte sie nicht beantworten. Sie hatte zu viel Angst gehabt. Es war ihr stundenlang vorgekommen.
Als sie sich wieder im Griff hatte, machte sie Inventur und zwang sich dazu, langsam und systematisch vorzugehen.