»Die Sache ist erledigt, Mr. Streeter. Oder darf ich Dave zu Ihnen sagen, nachdem ich Ihren Krebs zumindest vorubergehend geheilt habe?«
»Sie sind total verruckt«, sagte Streeter - nicht ohne Bewunderung.
»Nein, Sir. Ich bin so normal wie eine Gerade. Aber beachten Sie, dass ich
»Es sei denn?«
Elvid beugte sich nach vorn und lachelte kumpelhaft. Seine Zahne schienen wieder zu zahlreich (und zu gro?) fur seinen harmlosen Mund zu sein. »Ich komme gelegentlich hierher«, sagte er. »Meistens um diese Tageszeit.«
»Kurz vor Sonnenuntergang.«
»Genau. Die meisten Leute bemerken mich nicht - sie sehen durch mich hindurch, als ware ich nicht da -, aber Sie halten Ausschau nach mir. Nicht wahr?«
»Wenn es mir bessergeht, bestimmt«, sagte Streeter.
»Und Sie bringen mir etwas mit.«
Elvids Lacheln wurde breiter, und Streeter sah etwas erschreckend Wunderbares: Seine Zahne waren nicht nur zu gro? oder zu zahlreich. Sie waren
Als er zuruckkam, legte Janet im Hauswirtschaftsraum Wasche zusammen. »Da bist du ja«, sagte sie. »Ich hab schon angefangen, mir Sorgen zu machen. War deine Ausfahrt schon?«
»Ja«, sagte er. Er betrachtete seine Kuche. Sie sah verandert aus. Sie sah wie eine Kuche in einem Traum aus. Dann machte er Licht, und das war besser. Elvid war der Traum.
Sie kam zu ihm und kusste ihn auf die Wange. Sie war vom Bugeln erhitzt und sehr hubsch. Sie war selbst funfzig, sah aber Jahre junger aus. Streeter glaubte, sie werde nach seinem Tod ein gutes Leben fuhren. Er vermutete, May und Justin konnten in Zukunft einen Stiefpapa bekommen.
»Du siehst gut aus«, sagte sie. »Du hast tatsachlich etwas Farbe bekommen.«
»Wirklich?«
»Aber sicher.« Sie bedachte ihn mit einem aufmunternden Lacheln, das dicht unter der Oberflache sorgenvoll war. »Komm und unterhalte mich, wahrend ich den Rest zusammenlege. Das ist so langweilig.«
Er folgte ihr und blieb in der Tur des Hauswirtschaftsraums stehen. Wohlweislich erbot er sich nicht, ihr zu helfen; sie behauptete immer, er lege sogar Geschirrtucher falsch zusammen.
»Justin hat angerufen«, erzahlte sie. »Carl und er sind in Venedig. In der Jugendherberge. Mit Englisch kommen sie uberall gut durch. Sie haben eine Menge Spa?.«
»Gro?artig.«
»Es war richtig, dass du die Diagnose fur dich behalten hast«, sagte sie. »Du hattest recht, und ich hatte unrecht.«
»Zum ersten Mal in unserer Ehe.«
Sie rumpfte die Nase. »Jus hat sich so auf diese Reise gefreut. Aber wenn er zuruckkommt, wirst du den Kindern reinen Wein einschenken mussen. May kommt aus Searsport zu Gracies Hochzeit, und das ware ein guter Zeitpunkt.« Gracie war Gracie Goodhugh, Toms und Normas Alteste. Carl Goodhugh, Justins Reisegefahrte, war der Mittlere.
»Mal sehen«, sagte Streeter. Er hatte eine Spucktute in der Hufttasche, aber ihm war noch nie weniger nach Erbrechen
»Wie mein Haaransatz«, sagte er.
»Was, Schatz?«
»Nichts.«
»Oh, und weil wir gerade von Gracie sprechen … Norma hat angerufen. Sie hat mich daran erinnert, dass sie am Donnerstag dran sind, uns zum Abendessen bei sich einzuladen. Ich habe versprochen, dich zu fragen, aber gleich gesagt, dass du in der Bank schrecklich viel zu tun hast und wegen der vielen geplatzten Hypotheken standig Uberstunden machst. Ich dachte, du wurdest sie nicht sehen wollen.«
Ihre Stimme klang ruhig und normal wie immer, aber plotzlich begann sie gro?e Bilderbuchtranen zu weinen, die aus ihren Augen quollen und ihr dann uber die Wangen kullerten. Nach vielen Ehejahren konnte Liebe eintonig werden, aber seine schwoll jetzt wieder so frisch an, wie sie anfangs gewesen war, als sie in einer schabigen Mietswohnung in der Kossuth Street gelebt und sich manchmal auf dem Teppich im Wohnzimmer geliebt hatten. Er trat ins Bugelzimmer, nahm ihr das Hemd, das sie zusammenlegte, aus den Handen und umarmte sie. Sie erwiderte seine Umarmung heftig.
»Dies ist einfach so hart und unfair«, sagte sie. »Aber wir stehen das durch. Ich wei? nicht, wie, aber wir schaffen es.«
»Richtig! Und wir fangen damit an, dass wir am Donnerstag wie immer bei Tom und Norma zu Abend essen.«
Sie trat einen halben Schritt zuruck und sah ihn mit nassen Augen an. »Willst du es ihnen etwa erzahlen?«
»Und allen den Abend verderben? Ach was.«
»Kannst du uberhaupt essen? Ohne …« Sie legte zwei Finger auf den geschlossenen Mund, blies die Backen auf und schielte dabei: eine komische Kotzpantomime, uber die Streeter lacheln musste.
»Was am Donnerstag ist, wei? ich nicht, aber jetzt konnte ich etwas vertragen«, sagte er. »Stort es dich, wenn ich mir einen Hamburger grille? Ich konnte naturlich auch zum McDonald’s fahren … und dir vielleicht einen Schokoladenshake mitbringen …«
»Mein Gott«, sagte sie und fuhr sich uber die Augen. »Ich erlebe ein Wunder.«
»Als ein Wunder wurde ich das nicht gerade bezeichnen«, erklarte Dr. Henderson Streeter am Mittwochnachmittag. »Aber …«
Es war zwei Tage her, dass Streeter unter Mr. Elvids gelbem Schirm uber Fragen von Leben und Tod diskutiert hatte, und einen Tag vor dem wochentlichen Dinner der Streeters mit den Goodhughs, das diesmal in der weitlaufigen Villa stattfinden sollte, die Streeter fur sich manchmal als das Herrenhaus aus Mull bezeichnete. Das Gesprach fand nicht in Dr. Hendersons Praxis statt, sondern in einem kleinen Sprechzimmer im Derry Home Hospital. Henderson hatte versucht, Streeter die Kernspintomographie mit dem Hinweis auszureden, seine Versicherung werde sie nicht bezahlen und das Ergebnis konne nur enttauschend sein. Aber Streeter hatte darauf bestanden.
»Aber was, Roddy?«
»Die Tumoren scheinen geschrumpft zu sein, und deine Lunge ist nicht mehr befallen. So etwas habe ich noch nie gesehen - und die beiden Kollegen, die ich hinzugezogen habe, ebenfalls nicht. Noch wichtiger ist, aber das muss unter uns bleiben, dass der Techniker, der die Aufnahme
»Aber ich fuhle mich gut«, sagte Streeter, »deshalb wollte ich doch auch diese Untersuchung. Handelt es sich wirklich um eine Fehlfunktion?«
»Musst du dich ubergeben?«
»Immer mal wieder«, gab Streeter zu, »aber das kommt von der Chemo, glaube ich. Die beende ich ubrigens ab sofort.«
Roddy Henderson runzelte die Stirn. »Das ist hochst unklug.«
»Unklug war es, uberhaupt damit zu beginnen, mein Freund. Du hast gesagt: ›Sorry, Dave, die Wahrscheinlichkeit, dass du stirbst, bevor du jemandem einen schonen Valentinstag wunschen kannst, liegen bei uber neunzig Prozent, deshalb werden wir dir die Zeit, die dir noch bleibt, dadurch verderben, dass wir dich mit Gift vollstopfen. Schlechter wurdest du dich vielleicht fuhlen, wenn ich dir Schlamm von Tom Goodhughs Mulldeponie injizieren wurde, wahrscheinlich aber nicht.‹ Und ich habe wie ein Idiot Okay gesagt.«
Henderson machte ein beleidigtes Gesicht. »Chemo ist die letzte gro?e Hoffnung fur …«
»Erzahl mir keinen Schei?«, sagte Streeter mit gutmutigem Grinsen. Er atmete tief durch und spurte den