Sie lachte und horte erleichtert, dass das echt klang … wenigstens so real, dass kein Unterschied zu erkennen war. Und weshalb sollte ihr kein richtiges Lachen gestattet sein? Warum zum Teufel eigentlich nicht? Sie liebte ihn und wurde die Unschuldsvermutung fur ihn gelten lassen. Ruckhaltlos. Ihr blieb gar nichts anderes ubrig. Man konnte Liebe nicht abstellen - sogar die geistesabwesende, oft als selbstverstandlich vorausgesetzte Liebe nach siebenundzwanzig Ehejahren -, wie man einen Wasserhahn zudrehte. Liebe kam aus dem Herzen, und das Herz hatte seine eigenen Erfordernisse.

»Bobby, du rufst immer um halb acht an.«

»Schuldig im Sinne der Anklage. Ruf mich jederzeit an, wenn du …«

»… etwas brauchst, und wenn’s noch so spat ist«, erganzte Darcy fur ihn. Jetzt fuhlte sie sich fast wieder wie sie selbst. Wirklich erstaunlich, wie viele schwere Schlage die menschliche Psyche einstecken konnte, ohne am Boden zerstort zu sein. »Das tue ich.«

»Liebe dich, Schatz.« Die Schlussformel so vieler Telefongesprache uber die Jahre hinweg.

»Liebe dich auch«, sagte sie lachelnd. Dann legte sie den Horer auf, druckte die Stirn an die Wand und begann zu weinen, bevor das Lacheln ihr Gesicht verlassen konnte.

6

Ihr Computer, ein iMac, der alt genug war, um modisch retro zu wirken, stand im Hauswirtschaftsraum. Sie benutzte ihn selten fur etwas anderes als E-Mails und eBay, aber jetzt offnete sie Google und tippte den Namen Marjorie Duvall ein. Sie zogerte, bevor sie auch Beadie in das Suchfeld schrieb, aber nicht lange. Wozu die qualenden Zweifel kunstlich verlangern? Er wurde in diesem Zusammenhang ohnehin auftauchen, dessen war sie sich sicher. Sie druckte die Eingabetaste, und wahrend sie zusah, wie der kleine Wartekreis sich immer wieder um sich selbst drehte, kamen die Krampfe von vorhin zuruck. Sie lief ins Bad, sank aufs WC und bedeckte ihr Gesicht dort sitzend mit den Handen. Auf der Innenseite der Badezimmertur klebte ein gro?er Spiegel, in dem sie sich nicht sehen wollte. Wieso war er uberhaupt dort? Wieso hatte sie zugelassen, dass er dort war? Wer wollte sich auf dem Topf sitzen sehen? Selbst in besten Zeiten, zu denen dieser Abend ganz sicher nicht gehorte?

Darcy kehrte langsam an ihren Computer zuruck, schlurfte dahin wie ein Kind, das genau wusste, dass es eine Strafe fur etwas zu erwarten hatte, was ihre Mutter etwas gaaanz Schlimmes genannt hatte. Sie sah, dass Google uber funf Millionen Suchergebnisse geliefert hatte: O allmachtiges Google, so freigebig und so schrecklich. Uber das erste musste sie jedoch tatsachlich lachen; es forderte sie auf, Marjorie Duvall Beadie auf Twitter zu verfolgen. Darcy

Das zweite Ergebnis kam vom Portland Press-Herald, und als Darcy es anklickte, war das Foto, das sie begru?te (nur fuhlte diese Begru?ung sich wie eine Ohrfeige an), die Aufnahme, an die sie sich aus dem Fernsehen erinnerte - und vermutlich aus genau diesem Artikel, weil der Press- Herald ihre Zeitung war. Der Bericht war vor zehn Tagen erschienen und damals der Aufmacher gewesen. FRAU AUS NEW HAMPSHIRE KONNTE »BEADIES« ELFTES OPFER GEWESEN SEIN, verkundete die Schlagzeile. Und darunter: Polizeisprecher: »Wir sind uns zu 90 Prozent sicher.«

Auf dem Zeitungsfoto sah Marjorie Duvall viel hubscher aus: Es war eine Atelieraufnahme, die sie in klassischer Pose in einem schulterfreien schwarzen Chiffonabendkleid zeigte. Sie trug das Haar offen und war auf diesem Bild viel heller blond. Darcy fragte sich, ob ihr Ehemann dieses Foto zur Verfugung gestellt hatte. Sie vermutete, dass er es getan hatte. Sie vermutete, es habe im Haus 17 Honey Lane auf dem Kaminsims gestanden oder in der Diele gehangen. Die attraktive Dame des Hauses, die die Gaste mit ihrem ewigen Lacheln begru?te.

Gentlemen bevorzugen Blondinen, weil sie nicht warten wollen, bis sie schwarz werden.

Eine von Bobs Redensarten. Diese hatte sie nie sehr gemocht, und sie hasste es, sie jetzt im Kopf zu haben.

Marjorie Duvall war sechs Meilen von ihrem Haus in South Gansett entfernt in einer Schlucht knapp jenseits der Stadtgrenze von North Conway aufgefunden worden. Der County Sheriff spekulierte, der Tod sei wahrscheinlich durch Erwurgen eingetreten, aber das konne er nicht mit Bestimmtheit sagen; diese Feststellung sei Sache des Leichenbeschauers

Das ergab eine naturliche Uberleitung zu einer vollstandigen Aufzahlung der bisherigen Morde. Der erste hatte sich im Jahr 1977 ereignet. Im Jahr 1978 hatte es zwei gegeben, einen weiteren 1980 und zwei weitere 1981. Zwei der Morde waren in New Hampshire verubt worden, zwei in Massachusetts, der funfte und sechste in Vermont. Danach war eine Pause von sechzehn Jahren eingetreten. Die Polizei vermutete, dass eines von drei Ereignisse eingetreten war: Beadie war innerhalb Amerikas umgezogen und ging seinem Hobby nun andernorts nach, Beadie war wegen einer anderen Straftat verurteilt worden und sa? im Gefangnis, oder Beadie hatte Selbstmord verubt. Wie ein Psychiater ausfuhrte, den der Reporter fur seine Story befragt hatte, sei als Einziges nicht wahrscheinlich, dass Beadie seiner Verbrechen uberdrussig geworden sei. »Solche Kerle langweilen sich nicht«, sagte der Psychiater. »Das ist ihr Sport, ein fur sie unwiderstehlicher Drang. Mehr noch, es ist ihr geheimes Leben.«

Ihr geheimes Leben. Was fur ein vergiftetes Bonbon dieser Ausdruck war.

Beadies sechstes Opfer war eine Frau aus Barre gewesen, die der Fahrer eines Schneepflugs in der Woche vor Weihnachten in einer Schneewehe entdeckt hatte. Was fur ein Weihnachten das fur ihre Angehorigen gewesen sein muss, dachte Darcy. Nicht dass ihr eigenes Weihnachten in jenem Jahr viel erfreulicher gewesen ware. Sie hatte schrecklich

Dann war Bob Anderson mit einem Lacheln auf den Lippen in ihr Leben getreten - Bob, der sie zum Mitkommen eingeladen und sich nicht hatte abwimmeln lassen. Das musste kein Vierteljahr nach dem Tag gewesen sein, an dem der Schneepflugfahrer das letzte Opfer aus Beadies »erstem Zyklus« entdeckt hatte. Sie hatten sich verliebt. Und Beadie hatte sechzehn Jahre lang nicht mehr gemordet.

Ihretwegen? Weil er sie liebte? Weil er aufhoren wollte, gaaanz schlimme Dinge zu tun?

Oder nur ein Zufall? Auch das ware denkbar.

Netter Versuch, aber die Plastikkarten, die sie in der Garage versteckt gefunden hatte, machten die Vorstellung, alles konnte ein Zufall gewesen sein, weit weniger wahrscheinlich.

Beadies siebtes Opfer, das erste aus seinem »neuen Zyklus«, wie die Zeitung schrieb, war Stacey Moore gewesen, eine Frau aus Waterville, Maine. Ihr Mann hatte sie in ihrem Keller aufgefunden, als er aus Boston zuruckgekommen war, wo er sich mit Freunden ein paar Spiele der Red Sox angesehen hatte. Das war im August 1997 gewesen. Ihr Kopf hatte in einem Kasten mit Zuckermais gesteckt, den die Moores an der Route 106 frisch von der Farm verkauften.

Zwei Tage spater waren Stacey Moores Fuhrerschein und ihre Blue-Cross-Karte von einem Gummiband zusammengehalten in Augusta eingetroffen - in Druckschrift an BLODMANN JUSTIZMINNISTER ABT. KRINIMAL- ERMITTLUNGEN adressiert. Beigelegt war eine Mitteilung: HALLO! BIN WIEDER DA! BEADIE!

Diese Sendung erkannten die auf den Fall Moore angesetzten Kriminalbeamten sofort wieder. Ahnliche gestohlene Ausweiskarten - und ahnlich gut gelaunte Mitteilungen - waren nach allen bisherigen Morden eingetroffen. Der Tater wusste, wann seine Opfer allein waren. Er folterte sie, vor allem durch Bisse; er vergewaltigte oder missbrauchte sie sexuell; er ermordete sie; er schickte ihre Ausweise einige Wochen oder Monate spater an irgendeine Polizeidienststelle. Verspottete sie damit.

Um sicherzustellen, dass die Tat ihm zugeschrieben wird, dachte Darcy bedruckt.

Im Jahr 2004 hatte Beadie einen weiteren Mord verubt, dann seinen neunten und zehnten im Jahr 2007. Diese beiden waren die scheu?lichsten gewesen, weil eines der Opfer ein Kind gewesen war. Der zehnjahrige Sohn der Frau war wegen Magenschmerzen aus der Schule heimgeschickt worden und hatte Beadie offenbar bei der Arbeit uberrascht. Die Leiche des Jungen war mit der seiner Mutter in einem Bach aufgefunden worden. Als die Ausweise der Frau - zwei Kreditkarten und ein Fuhrerschein - bei der Massachusetts State Police eingegangen waren, hatte auf der beigelegten Karte gestanden: HALLO! DER JUNGE WAR EIN UNFALL! SORRY! ABER ES IST SCHNELL GEGANGEN, ER MUSSTE NICHT »LEIDEN«! BEADIE!

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