bist.« Und obwohl die Vorstellung, ihn neben sich liegen zu haben, sie mit Abscheu und Entsetzen erfullte, zwang sie sich dazu, den Rest zu sagen.

»Jetzt zieh dich aus und komm ins Bett. Wir brauchen beide etwas Schlaf.«

10

Er war praktisch in dem Augenblick weg, in dem sein Kopf das Kissen beruhrte, aber lange nachdem sein leises, zuruckhaltendes Schnarchen eingesetzt hatte, lag Darcy noch wach, weil sie befurchtete, von seinen Handen um den Hals aufzuwachen, wenn sie zulie?, dass sie eindoste. Schlie?lich teilte sie sich das Bett mit einem Wahnsinnigen. Wenn er sie mit dazunahm, hatte er genau ein Dutzend Morde verubt.

Aber er meint es ernst, dachte sie. Das war um die Zeit, als der Himmel im Osten hell zu werden begann. Er hat gesagt, dass er mich liebt, und meinte es ernst. Und als ich versprochen habe, sein Geheimnis zu bewahren - darum geht’s namlich, sein Geheimnis soll bewahrt werden -, hat er mir geglaubt. Wieso auch nicht? Ich hab es beinahe selbst geglaubt.

War es nicht vorstellbar, dass er sein Versprechen halten wurde? Schlie?lich misslang es nicht allen Drogenabhangigen, clean zu werden. Und war es nicht moglich, sein Geheimnis vor den Kindern zu bewahren, wenn sie es schon nicht fur sich behalten konnte?

Das kann ich nicht. Das will ich nicht. Aber welche Wahl bleibt mir denn?

Welche gottverdammte Wahl?

Wahrend sie uber diese Frage nachdachte, gab ihr verwirrter, ubermudeter Verstand endlich auf, und sie schlief ein.

Sie traumte davon, ins Esszimmer zu kommen, in dem auf dem langen Ethan-Allen-Tisch eine Frau angekettet war. Die Frau war bis auf eine schwarze Lederkapuze, die ihre obere Kopfhalfte bedeckte, nackt. Ich kenne diese Frau nicht, diese Frau ist eine Fremde, dachte sie im Traum, und dann fragte Petra unter der Kapuze hervor: »Mama, bist du’s?«

Darcy wollte schreien, aber in Albtraumen kann man das manchmal nicht.

11

Als sie muhsam zu sich kam - mit Kopfschmerzen, elend, irgendwie verkatert -, war die andere Betthalfte leer. Bob hatte seinen Wecker wieder umgedreht, und sie sah, dass es Viertel nach zehn war. So lange hatte sie seit Jahren nicht mehr geschlafen, aber sie war naturlich auch erst in der Dammerung eingedost, und ihr unruhiger, oft unterbrochener Schlaf war mit Schrecken bevolkert gewesen.

Sie ging auf die Toilette, nahm ihren Hausmantel vom Haken an der Badezimmertur und putzte sich dann die Zahne. Sie hatte einen scheu?lichen Geschmack im Mund. Wie der Boden eines Vogelkafigs, hatte Bob an den seltenen Morgen gesagt, nachdem er beim Abendessen ein zusatzliches Glas Wein oder bei einem Baseballspiel eine zweite Flasche Bier getrunken hatte. Sie spuckte aus, wollte ihre Zahnburste schon ins Glas zuruckstellen, erstarrte in der Bewegung und betrachtete ihr Spiegelbild. Heute Morgen sah sie eine Frau in mittleren Jahren, die alt aussah: fahle Haut, tiefe Falten auf beiden Seiten des Mundes, dunkle Ringe unter den Augen, das vollig zerzauste Haar, das man nur bekam, wenn man sich ruhelos im Bett walzte. Aber das alles interessierte sie nur am Rande; ihr Aussehen beschaftigte sie am wenigsten. Sie spahte uber die Schulter ihres Spiegelbilds und durch die offene Badezimmertur in ihr Schlafzimmer. Nur war es nicht ihr eigenes; es war das Dunklere Schlafzimmer. Sie konnte seine Pantoffeln sehen, die aber nicht seine waren. Sie waren eindeutig zu gro? fur Bob, fast die eines Riesen. Und das Doppelbett mit den verknitterten

Darcy beugte sich nach vorn, bis sie mit der Nasenspitze das Glas beruhrte. Sie hielt den Atem an und legte beide Hande seitlich ans Gesicht, wie sie es als Madchen in grasfleckigen Shorts und rutschenden wei?en Socken getan hatte. Sie sah in den Spiegel, bis sie die Luft nicht langer anhalten konnte, und atmete schlie?lich prustend aus, so dass der Spiegel beschlug. Sie wischte ihn mit einem Handtuch ab und ging dann unten, um sich ihrem ersten Tag als Frau des Ungeheuers zu stellen.

Er hatte eine Nachricht fur sie unter die Zuckerdose geklemmt.

Darce,

ich werde die Dokumente beseitigen, wie

Du’s verlangt hast. Ich liebe Dich, Schatz.

Bob

Um seinen Namen hatte er ein kleines Valentinsherz gemalt, was er seit Jahren nicht mehr getan hatte. Sie fuhlte eine Woge der Liebe fur ihn, samig und su?lich wie der Duft verwelkender Blumen. Sie hatte am liebsten wie die Klageweiber des Alten Testaments laut geschrien, erstickte diesen Laut aber mit einer Serviette. Der Kuhlschrank schaltete sich ein und begann sein herzloses Summen. Wasser tropfte in den Ausguss und zahlte die Sekunden auf Geschirr platschend ab. Ihre Zunge fullte ihren Mund wie ein mit Essig getrankter Schwamm aus. Sie spurte, wie die Zeit -

Der Kuhlschrank summte, das Wasser tropfte in den Ausguss, und die grausamen ersten Sekunden verstrichen. Dies war das Dunklere Leben, in dem jede Wahrheit ruckwarts geschrieben wurde.

12

In den Jahren, in denen Donnie im Cavendish Hardware Team Baseball gespielt hatte, hatte ihr Mann auch die Little League trainiert (ebenfalls mit Vinnie Eschler, diesem Meister polnischer Witze und barenhaft tollpatschiger Umarmungen), und Darcy wusste noch gut, was Bob zu den Jungen - von denen viele weinten - gesagt hatte, nachdem sie das Endspiel des Jahresturniers im Bezirk 19 verloren hatten. Das musste 1997 gewesen sein, wahrscheinlich nur einen Monat bevor er Stacey Moore ermordete und sie mit dem Kopf voraus in ihren eigenen Maiskasten stopfte. Seine Ansprache vor dieser Horde enttauscht schniefender Jungen war kurz, klug und (das hatte sie damals gefunden und dachte es heute noch) unglaublich gutig gewesen.

Ich wei?, wie schlecht ihr euch fuhlt, Jungs, aber trotzdem geht die Sonne morgen wieder auf. Und wenn sie es tut, dann werdet ihr euch wieder besser fuhlen. Wenn sie ubermorgen aufgeht, noch ein bisschen besser. Was heute passiert ist, war nur ein Teil eures Lebens, der jetzt vorbei ist. Ein Sieg ware besser gewesen, aber so oder so ist es vorbei. Das Leben geht weiter.

Wie ihr eigenes nach dem verhangnisvollen Trip in die Garage, um Batterien zu holen. Als Bob nach ihrem ersten langen Tag zu Hause (sie konnte den Gedanken, selbst auszugehen, nicht ertragen, weil sie befurchtete, ihr Wissen musse in Gro?buchstaben auf ihrer Stirn zu lesen sein) aus dem Buro heimkam, sagte er: »Schatz, wegen letzter Nacht …«

»Letzte Nacht ist nichts passiert. Du bist vorzeitig zuruckgekommen, das war alles.«

Er senkte auf seine jungenhafte Art den Kopf, und als er ihn langsam wieder hob, leuchtete auf seinem Gesicht ein breites dankbares Lacheln. »Also gut«, sagte er. »Fall abgeschlossen?«

»Zu den Akten gelegt.«

Er breitete die Arme aus. »Gib uns einen Kuss, Schatz.«

Das tat Darcy - und fragte sich dabei, ob er auch die Frauen gekusst hatte.

Gib dir richtig Muhe, lass deine flinke Zunge spielen, dann steche ich nicht zu, glaubte sie ihn sagen zu horen. Leg dein hochnasiges kleines Herz rein.

Er legte ihr die Hande auf die Schultern und hielt sie auf Armeslange von sich weg. »Weiter Freunde?«

»Weiter Freunde.«

»Bestimmt?«

»Ja. Ich habe nicht gekocht, will aber auch nicht ausgehen. Hast du nicht Lust, schnell deine Freizeitklamotten anzuziehen und uns eine Pizza zu holen?«

»Klar doch.«

»Und vergiss nicht, dein Prilosec zu nehmen.«

Er strahlte sie an. »Wird gemacht.«

Sie beobachtete, wie er die Treppe hinaufsturmte, und war kurz davor, ihm nachzurufen: Tu das nicht, Bobby, das belastet dein Herz.

Aber nein.

Nein.

Sollte er es doch belasten, so viel er wollte.

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