Er fasste sie leicht an den Schultern, so wie er es immer tat, wenn sie begreifen sollte, dass etwas wirklich sein Ernst war. »Komm schon … heute Abend ist es so warm, dass du dein schonstes Sommerkleid tragen konntest. Ich hab auf der Ruckfahrt den Wetterbericht gehort. Und du bekommst so viel Champagner, wie du willst. Wie konntest du zu diesem Vorschlag Nein sagen?«

»Tja …« Sie uberlegte, dann lachelte sie. »Das kann ich wohl nicht.«

15

Sie tranken nicht nur eine sundteure Flasche Moet et Chandon, sondern zwei, und Bob trank das meiste davon. Folglich war es Darcy, die seinen leise summenden kleinen Prius nach Hause lenkte, wahrend Bob auf dem Beifahrersitz sa? und - tonartgetreu, aber nicht sonderlich melodisch - »Pennies from Heaven« sang. Sie merkte, dass er betrunken war. Nicht nur angeheitert, sondern tatsachlich betrunken. Es war das erste Mal seit zehn Jahren, dass sie ihn so erlebte. Normalerweise beobachtete er seinen Alkoholkonsum mit Argusaugen, und wenn er manchmal auf Partys gefragt wurde, warum er nichts trinke, antwortete er mit einem Zitat aus dem Westernfilm Der Marshal: »Ich wurde keinen Dieb in meinen Mund tun, damit er mir den Verstand stiehlt.« Heute Abend hatte er in seiner Euphorie uber den Munzfund zugelassen, dass ihm der Verstand gestohlen wurde, und sobald er die zweite Flasche Schampus bestellte, wusste Darcy, was sie tun wurde. Im Restaurant war sie im Zweifel gewesen, ob sie es schaffen wurde, aber als sie ihn auf der Heimfahrt singen horte, war sie sich ihrer Sache sicher. Naturlich konnte sie es schaffen. Sie war jetzt die Dunklere Ehefrau, und die Dunklere Ehefrau wusste, dass sein vermeintliches Gluck in Wirklichkeit ihres gewesen war.

16

Im Haus warf er sein Sportsakko uber den Garderobenstander in der Diele und zog sie zu einem langen Kuss in die Arme. Sein Atem schmeckte nach Champagner und su?er Creme brulee. An sich keine schlechte Kombination,

»Ich gehe rauf und ziehe dieses Kleid aus«, sagte sie. »Im Kuhlschrank steht eine Flasche Perrier. Wenn du mir ein Glas davon bringst - mit einer Scheibe Limone -, konntest du Gluck haben, Mister.«

Daraufhin grinste er - sein altes Grinsen, das sie immer so geliebt hatte. Weil es ein lange bestehendes Eheritual gab, das sie seit der Nacht, in der er ihre Entdeckung gewittert hatte (ja, sie gewittert hatte, wie ein schlauer alter Wolf einen vergifteten Koder wittern wurde) und eilig aus Montpelier zuruckgekommen war, nicht wieder aufgenommen hatten. Tag fur Tag hatten sie immer mehr zugemauert, was er war - ja, so gewiss, wie Montresor seinen alten Freund Fortunato eingemauert hatte -, und Sex im Ehebett wurde der letzte Ziegelstein sein.

Er knallte die Hacken zusammen und salutierte auf britische Art: Finger an der Schlafe, Handflache nach au?en gekehrt. »Jawohl, Ma’am.«

»Aber komm bald«, sagte sie freundlich. »Mama will, was Mama braucht.«

Auf dem Weg die Treppe hinauf dachte sie: Das klappt niemals. Es endet nur damit, dass er dich ermordet. Er glaubt vielleicht nicht, dazu imstande zu sein, aber du wei?t das naturlich besser.

Aber vielleicht war das dann in Ordnung. Unter der Voraussetzung, dass er sie vorher nicht qualte, wie er diese Frauen gequalt hatte. Vielleicht war jede Losung in Ordnung. Sie konnte den Rest ihres Lebens nicht damit verbringen, in Spiegel zu starren. Sie war kein Kind

Sie ging ins Schlafzimmer, warf dort aber nur ihre Handtasche neben den Handspiegel auf den Nachttisch. Dann ging sie wieder hinaus und rief: »Kommst du, Bobby? Ich konnte wirklich eine Erfrischung brauchen!«

»Kommt sofort, Ma’am, tue nur noch Eis rein!«

Und schon trat er aus dem Wohnzimmer in den Flur hinaus, hielt eines ihrer teuren Kristallglaser wie ein Ober aus einer Komodie in Augenhohe vor sich hoch und machte sich leicht schwankend auf den Weg zur Treppe. Als er die Stufen heraufkam, hielt er das Glas mit der obenauf schwimmenden Limonenscheibe weiter hoch. Die freie Hand lag locker auf dem Gelander; auf seinem Gesicht leuchteten Gluck und Frohlichkeit. Einen Augenblick lang ware sie fast schwach geworden, aber dann standen ihr Helen und Robert Shaverstone wieder hollisch klar vor Augen: der Junge und seine gefolterte, sexuell missbrauchte Mutter, die in Massachusetts nebeneinander in einem Bach trieben, der an den Ufern schon Eis anzusetzen begonnen hatte.

»Ein Glas Perrier fur die Lady, kommt so…«

Im letzten Moment sah sie das Wissen - etwas Uraltes und Vergilbtes und Unheimliches - in seinen Augen aufblitzen. Das war mehr als nur Uberraschung; es war schockierte Wut. In diesem Augenblick verstand sie ihn endlich ganz. Er liebte nichts und niemanden, am wenigsten sie. Jede Freundlichkeit, jede Liebkosung, jedes jungenhafte Grinsen und jede rucksichtsvolle Geste - alles nur Tarnung. Er war eine leere Hulse, die nichts als heulende Leere enthielt.

Sie schubste ihn.

Der Sto? war so kraftig, dass Bob einen Dreiviertelsalto in der Luft machte, bevor er auf die Stufen krachte: erst mit

Darcy lief die Treppe hinunter. Auf halbem Weg trat sie auf einen Eiswurfel, rutschte aus und musste sich am Gelander festklammern. Unten sah sie, dass in seinem Genick eine riesige Beule entstanden war, uber der sich die wei? werdende Haut spannte, und sagte: »Nicht bewegen, Bob, ich glaube, du hast dir einen Halswirbel gebrochen.«

Sein Auge rollte nach oben, um sie anzustarren. Aus der Nase, die ebenfalls gebrochen zu sein schien, sickerte Blut, und aus dem Mund kam noch weitaus mehr. Es stromte in einem breiten Schwall heraus. »Du hast mich geschubst«, sagte er undeutlich. »Oh, Darcy, warum hast du mich geschubst?«

»Wei? ich nicht«, sagte sie, obwohl sie dachte: Das wissen wir beide. Sie begann zu weinen. Dass sie weinte, war nur naturlich: Er war ihr Mann, und er war schwer verletzt. »O Gott, ich wei? es nicht. Irgendwas ist uber mich gekommen. Tut mir leid. Beweg dich nicht, ich rufe die 911 an, damit sie einen Krankenwagen schicken.«

Sein linker Fu? scharrte uber den Boden. »Gelahmt bin ich nicht«, sagte er. »Gott sei Dank nicht. Aber es tut weh

»Ich wei?, Schatz.«

»Ruf den Krankenwagen! Schnell!«

Sie ging in die Kuche, sah kurz zu dem Telefon in seiner Ladestation hinuber und offnete dann den Schrank unter dem Ausguss. »Hallo? Hallo? Ist dort die 911?« Sie griff nach der Schachtel Plastikbeutel - die mit den gro?en, in denen sie sonst immer die Reste von Roastbeef oder Geflugel aufbewahrte - und zog einen heraus. »Hier ist Darcellen Anderson, ich rufe aus der 24 Sugar Mill Lane in Yarmouth an! Haben Sie das?«

Sie zog eine Schublade auf und nahm ein Geschirrtuch von dem dort liegenden Stapel. Sie weinte noch immer. Sie hat nah am Wasser gebaut, hatte man in ihrer Kindheit von solchen Leuten gesagt. Weinen war gut. Sie musste weinen, und das nicht nur, weil es spater besser aussehen wurde. Er war ihr Mann, er war verletzt, sie musste weinen. Sie erinnerte sich an fruher, als er noch volles Haar gehabt hatte. Sie erinnerte sich an seinen eleganten Breakaway, als sie zu »Footloose« getanzt hatten. Er hatte ihr zu jedem Geburtstag rote Rosen geschenkt. Das hatte er nie vergessen. Sie waren auf den Bermudas gewesen, wo sie vormittags geradelt waren und nachmittags miteinander geschlafen hatten. Sie hatten ein gemeinsames Leben aufgebaut, und nun war dieses Leben voruber, und sie musste weinen. Sie wickelte sich das Geschirrtuch um die Hand, dann stopfte sie die Hand in den Plastikbeutel.

»Ich brauche einen Krankenwagen. Mein Mann ist die Treppe runtergefallen. Ich befurchte, dass er sich einen Halswirbel gebrochen hat … Ja! Ja! Sofort!«

Dann kam sie mit hinter dem Rucken gehaltener Hand auf den Flur zuruck. Sie sah, dass er etwas weiter von der Treppe entfernt lag; er schien auch versucht zu haben, sich auf den Rucken zu walzen, aber das war ihm nicht gelungen. Sie kniete neben ihm nieder.

»Ich bin nicht gefallen«, sagte er. »Du hast mich geschubst. Warum hast du mich geschubst?«

»Wegen Robert Shaverstone, glaube ich«, sagte Darcy und brachte ihre hinter dem Rucken gehaltene Hand zum Vorschein. Sie weinte jetzt heftiger als je zuvor. Er sah den Plastikbeutel. Er sah die darin steckende Hand mit dem zusammengeknullten Geschirrtuch. Er begriff, was sie vorhatte. Vielleicht hatte er das selbst schon einmal getan. Das war sogar wahrscheinlich.

Er begann zu kreischen … nur waren seine Schreie keine richtigen Schreie. Sein Mund war voller Blut, und

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