13
Die Sonne ging am nachsten Tag auf. Und am ubernachsten. Eine Woche verstrich, dann zwei, dann ein Monat. Langsam und allmahlich kehrten sie zu ihren alten Gewohnheiten zuruck, den kleinen Angewohnheiten einer langen Ehe. Darcy putzte sich die Zahne, wahrend er unter der Dusche stand (und meistens irgendeinen Hit aus den Achtzigern sang - tonartgetreu, aber mit nicht sonderlich melodischer Stimme), aber sie tat es nicht mehr nackt, weil sie sofort nach ihm unter die Dusche gehen wollte; sie duschte jetzt, nachdem er zu B, B & A abgefahren war. Falls ihm diese kleine Veranderung ihres
Tagsuber, wahrend er fort war, stellte sie jetzt nur noch selten den Fernseher an. Ohne ihn war es leichter, dem Kuhlschrank zuzuhoren und auf das leise Knacken und Knarren zu lauschen, mit dem ihr hubsches Haus in Yarmouth sich auf einen weiteren strengen Winter in Maine einrichtete. Zudem konnte sie besser nachdenken. Und es war leichter, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Er wurde es wieder tun. Er wurde sich so lange wie irgend moglich beherrschen, das gestand sie ihm gern zu, aber fruher oder spater wurde Beadie die Oberhand gewinnen. Die Ausweiskarten seines nachsten Opfers wurde er nicht einschicken, weil er glaubte, sie damit tauschen zu konnen; andererseits wurde er sich nicht viel daraus machen, wenn sie diesen Trick durchschaute.
Donnie rief aus Ohio an. Die Agentur lief gro?artig; sie hatten einen weiteren Kunden: einen Buroartikelhersteller, der vielleicht landesweit expandieren wurde. Darcy begluckwunschte ihn (und das tat auch Bob, der unbekummert zugab, Donnies Chancen auf beruflichen Erfolg in so jungen Jahren falsch eingeschatzt zu haben). Petra rief an,
Wenn ihr Mann seinen Aktenkoffer gepackt hatte und ins Buro gefahren war, ging Darcy in ihrem Haus durch die Zimmer, blieb zwischendurch stehen und sah in die verschiedenen Spiegel. Oft sehr lange. Um die Frau in jener anderen Welt zu fragen, was sie tun solle.
Die Antwort schien zusehends zu lauten, sie werde nichts tun.
14
Zwei Wochen vor Weihnachten kam Bob an einem fur die Jahreszeit zu warmen Tag schon am fruhen Nachmittag nach Hause und rief laut ihren Namen. Darcy war oben, hatte sich hingelegt und las ein Buch. Sie warf es auf den Nachttisch (neben den Handspiegel, der jetzt standig dort lag), sprang auf und sturmte den Flur entlang zur Treppe. Ihr erster Gedanke (voller Entsetzen, in das sich Erleichterung mischte) war, dass endlich alles vorbei sei. Er war enttarnt
Nur lag in seiner Stimme keine Angst; was es war, wusste sie schon, bevor er unten an der Treppe stand und zu ihr hochsah. Es war Aufregung. Vielleicht sogar Jubel.
»Bob? Was …«
»Das glaubst du nie!« Sein Mantel stand offen, das Gesicht war bis zur Stirn hinauf gerotet, und das zerzauste schuttere Haar stand nach allen Richtungen ab. Als hatte er auf der Nachhausefahrt alle Autofenster offen gehabt. Weil es drau?en so fruhlingshaft warm war, traute Darcy ihm das sogar zu.
Sie ging vorsichtig hinunter und blieb auf der untersten Stufe stehen, so dass sie auf gleicher Augenhohe waren. »Was gibt’s?«
»Ein unglaublicher Gluckstreffer! Echt! Hatte ich jemals ein Zeichen dafur gebraucht, dass ich wieder auf dem richtigen Weg bin … dass
»Bob, ich habe keine Lust auf Spie…«
»Such dir eine aus!«
Sie deutete auf die rechte Hand, nur um es hinter sich zu haben. Er lachte. »Du hast meine Gedanken gelesen - aber das konntest du ja schon immer, oder?«
Er drehte die Faust um und offnete sie. Auf der Handflache lag eine einzelne Munze mit der Ruckseite nach oben,
»Gro?er Gott, Bobby! Woher …? Hast du sie gekauft?« Erst vor kurzem war in Miami eine unzirkulierte Doppelpragung aus dem Jahr 1955 fur uber achttausend Dollar versteigert worden - ein neuer Rekord. Diese hier war naturlich nicht so gut erhalten, aber kein Munzhandler, der bei Verstand war, hatte sie fur weniger als viertausend verkauft.
»Von wegen! Ein paar Kollegen wollten, dass ich mit ins Thairestaurant Eastern Promise gehe, und ich ware auch fast mitgegangen, aber ich habe an der Abrechnung fur die gottverdammten Vision Associates gesessen - du wei?t schon, die Privatbank, von der ich dir erzahlt habe -, also habe ich Monica zehn Dollar gegeben und sie gebeten, mir vom Subway ein Sandwich und ein Fruitopia zu holen. Als sie damit zuruckgekommen ist, war das Wechselgeld in der Tute. Ich habe sie ausgeleert … und da war er!« Er schnappte sich den Penny aus ihrer Hand, hielt ihn uber dem Kopf hoch und lachte zu ihm hinauf.
Sie lachte mit ihm, dann dachte sie (was sie inzwischen oft tat):
»Ist das nicht gro?artig, Schatz?«
»Ja«, sagte sie. »Ich freue mich fur dich.« Und das tat sie wirklich, merkwurdig oder nicht (
Er schloss sie in die Arme. Sie erwiderte seine Umarmung kurz und schob ihn dann sanft von sich fort. »Was hast du damit vor, Bobby? In einen Acrylglas-Wurfel eingie?en?«
Damit wollte sie ihn necken, das wusste er. Er legte mit dem Zeigefinger wie mit einer Pistole auf sie an und schoss ihr in den Kopf. Was in Ordnung war, denn wer mit einer Fingerpistole erschossen wurde, brauchte nicht zu »leiden«.
Sie lachelte ihn weiter an, aber jetzt sah sie ihn wieder (nach diesem kurzen liebevollen Intermezzo) als das, was er war: der Dunklere Ehemann. Gollum mit seinem Schatz.
»Ganz sicher nicht! Ich fotografiere ihn, hange das Foto an die Wand und lege den Penny in unser Bankschlie?fach. Wie wurdest du ihn einschatzen - als ›schon‹ oder ›sehr schon‹?«
Sie begutachtete ihn noch einmal und sah dann mit einem bedauernden Lacheln zu ihm auf. »Ich wurde gern ›sehr schon‹ sagen, aber …«
»Genau, ich wei?, ich wei? - und eigentlich musste mir das auch egal sein. Einem geschenkten Gaul soll man nicht
»Eindeutig besser als ›sehr gut‹.«
Sein Lacheln verblasste. Einen Augenblick lang befurchtete sie, er habe erraten, was sie dachte, aber das konnte nicht sein; auf dieser Seite des Spiegels verstand auch sie sich darauf, Geheimnisse zu bewahren.
»Es geht ohnehin nicht um die Erhaltung. Das Finden ist wichtig. Nicht beim Handler kaufen oder aus einem Katalog heraussuchen, sondern tatsachlich einen in die Hande bekommen, wenn man es am wenigsten erwartet.«
»Ja, ich wei?.« Sie lachelte. »Ware mein Dad jetzt hier, wurde er eine Flasche Champagner aufmachen.«
»Diese Kleinigkeit erledige ich heute Abend beim Essen«, sagte er. »Aber nicht in Yarmouth. Wir fahren nach Portland. Ins Pearl of the Shore. Was haltst du davon?«
»Ach, Schatz, ich wei? nicht recht …«