»Hor endlich auf, daruber nachzudenken, Fenton. Solche Dinge kommen eben vor.«
»Ich kann's nicht fassen.«
»Ich wei?, es ist vollig irrsinnig, dass dieser Typ sich mit einer halben Milliarde begraben lasst. Aber mach dir keine Sorgen. Irgendwann wird in dieser Stadt jemand ein Ding drehen, das dann auf der ersten Seite der
Fenton hielt seinen Kaffee und seine Enttauschung warm.
»Ich hab's gewusst, Fenton. Schon bevor ich das Video sah. Ich bin von allein drauf gekommen. Als mir klar wurde, dass es kein Versicherungsbeschiss war, ging mir plotzlich ein Licht auf. He, man konnte einen tollen Film aus dem Fall machen, meinst du nicht auch? Reicher Sack nimmt seine Kohle mit in die Kiste.«
Fenton schwieg.
»Wie, glaubst du, hat der alte Knabe es gemacht? Denk mal druber nach. Er hat Hilfe gebraucht. Er hatte 'ne Menge Zeug dabei. Man kann nicht ein paar Tonnen Kunstwerke durch die Welt schleppen, ohne dass es jemandem auffallt.«
Fenton nippte an seinem Kaffee.
Barnaby warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Dann wandte er sich den Papieren auf seinem Schreibtisch zu. »Noch zwei Stunden bis zur Mittagspause. Wieso passiert in dieser Stadt eigentlich nie was Interessantes? Schau dir mal das an: Drogen, nichts als Drogen. Warum rauben diese Saftsacke zur Abwechslung nicht mal 'ne Bank aus?«
Fenton leerte seinen Becher. »Es ist da drau?en.«
Schweigen.
»Was willst du damit sagen? Was soll dieser Kommentar bedeuten?
Fenton zerknullte seinen Becher.
»Das soll doch wohl keine Anspielung auf irgendwas sein, oder?«
Fenton warf den Becher in den Papierkorb.
»Du hast gesagt:
»Wir krallen es uns.«
»Und?«
»Dann behalten wir's.«
Barnaby lachte. »Fenton, du verbluffst mich. Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest: Wir
Ist dir diese kleine Tatsache etwa entfallen? Man erwartet von uns, dass wir
»Yeah«, sagte Fenton.
»Genau«, fuhr Barnaby kurz darauf fort. »Ehrlichkeit.
Wenn man die nicht hat, Fenton, was hat man dann?«
»'ne halbe Milliarde Dollar«, erwiderte Fenton.
6
Das Haus war kein alter brauner Sandsteinbau wie in einem Bogart-Film, sondern eine sich uber der West 57th Street in den Himmel schraubende Monstrositat aus Glas und Stahl. Einer der hasslichen Wolkenkratzer aus den Achtzigerjahren.
Schlenderte man durch die Lobby, kam man sich vor, als betrate man einen gigantischen glatten Granitwurfel. Das Gebaude stank formlich nach Reinigungsmitteln. In einer Ecke wuchs ein kranklich aussehender Bambushain. Ein Aufzug beforderte Philip in den drei?igsten Stock. Bald darauf stand er vor den Kirschholzturen, die ins Buro des Privatdetektivs Marcus Hauser fuhrten.
Philip hielt am Eingang inne. Was er sich auch immer unter dem Buro eines Privatdetektivs vorgestellt hatte, dieses farblose postmoderne Innere aus grauem Klinker, indus-triell gefertigten Teppichlaufern und glattem schwarzem Granit jedenfalls sicher nicht. Wie konnte man nur an einem so sterilen Ort arbeiten? Der Raum wirkte leer.
»Yeah?«, tonte eine Stimme hinter einer halbmondformi-gen Mauer aus Glasbausteinen hervor.
Philip umrundete sie und musterte den Rucken eines Mannes, der hinter einem gro?en nierenformigen Schreibtisch sa?.
Statt der Burotur zugewandt zu sein, blickte er in die Ge-genrichtung auf eine Wand voller nach Westen ausgerichte-ter Fenster, die uber den stumpfen Zinkglanz des Hudson River hinwegschauten. Ohne sich umzudrehen, deutete der Mann auf einen Lehnstuhl. Philip durchquerte den Raum, nahm Platz und machte es sich bequem, um Marcus Hauser zu mustern. Er war als Green Beret in Vietnam gewesen. Er war Ex-Grabrauber und Lieutenant im Manhattaner Stabs-quartier des Amtes fur Tabak, Alkohol und Schusswaffen gewesen.
In den Fotoalben seines Vaters hatte Philip unscharfe und verschwommene Bilder des jungen Hauser gesehen - in Dschungelkhaki gekleidet, irgendein Schie?eisen auf der Hufte balancierend. Er hatte standig gegrinst. Philip fuhlte sich etwas au?er Fassung, ihm nun personlich zu begegnen.
Hauser sah kleiner aus, als er ihn sich vorgestellt hatte, und war ubertrieben mit einem braunen Anzug mit Krawatten-nadel, Weste, Goldkettchen und Uhrkette bekleidet. Einer aus der Arbeiterklasse, der die Vornehmen nachaffte. Au-
?erdem roch er nach Rasierwasser. Die wenigen Haare, die er noch hatte, waren uberma?ig pomadisiert und gelockt, jede Strahne genau gelegt, um die kahle Stelle maximal zu tarnen. An Hausers Fingern blitzten nicht weniger als vier Goldringe. Seine Hande waren manikurt, seine Nagel sauber und poliert, seine Nasenlocher sorgfaltig von jeder Be-haarung befreit. Selbst die unter der Haartarnung glanzende Glatze sah aus, als habe man sie eingewachst und ge-wienert. Philip ertappte sich bei der Frage, ob dies der gleiche Marcus Hauser war, der sich mit seinem Vater auf der Suche nach versunkenen Stadten und uralten Grabern durch den Dschungel geschlagen hatte. Hatte er sich vielleicht geirrt?
Er rausperte sich. »Mr. Hauser?«
»Marcus«, kam die rasche Antwort. Sie knallte wie ein Tennis-Aufschlag. Auch Hausers Stimme brachte Philip aus der Fassung. Sie war hoch und nasal und wies den Akzent der Arbeiterklasse auf. Seine Augen waren so grun und kuhl wie die eines Krokodils.
Philip war irgendwie nervos. Er schlug die Beine ubereinander, zuckte, ohne um Erlaubnis zu bitten, seine Pfeife und stopfte sie mit Tabak. Als Hauser dies sah, lachelte er, offnete eine Schreibtischschublade, entnahm ihr einen Feuchtbehalter und zog eine riesige Churchill heraus. »Wie schon, dass Sie Raucher sind«, sagte er. Er rollte die Zigarre zwischen seinen vollkommenen Fingern, nahm eine goldene, mit seinem Monogramm versehene Schere aus der Tasche und knipste ein Ende ab. »Wir durfen nicht zulassen, dass die Barbaren die Welt erobern.« Als die Zigarre brannte, lehnte er sich in seinen Sessel zuruck und musterte Philip durch eine Rauchwolke. »Was kann ich fur den Sohn meines alten Partners Maxwell Broadbent tun?«
»Darf ich vertraulich mit Ihnen sprechen?«
»Naturlich.«
»Vor einem halben Jahr wurde bei meinem Vater Krebs diagnostiziert.« Philip hielt inne und betrachtete Hausers Gesicht, um zu erfahren, ob er davon wusste. Doch die Miene seines Gegenubers war so undurchdringlich wie die Platte seines Mahagonischreibtisches. »Lungenkrebs«, fuhr Philip fort. »Man hat ihn operiert und die ubliche Chemotherapie und Bestrahlung vorgenommen. Er hat den Stum-pen entsagt und um Vergebung gebeten. Eine Weile sah es so aus, als sei er uber den Berg, aber dann ging alles wieder los. Er hat sich zwar einer erneuten Chemotherapie unterzogen, allerdings nur widerwillig. Eines Tages hat er die Strippen rausgezogen, einen Krankenpfleger gemimt und ist geturmt. Er hatte damals noch sechs Monate. Davon sind jetzt drei vergangen.«