genie?en? Stimmt's, Philip?

Rauchst du eigentlich noch immer Pfeife? An deiner Stelle wurde ich es aufgeben.

Er drehte sich um, ging erneut auf und ab und paffte blaue Wolkchen vor sich hin. Jedenfalls hab ich mein Geld ge-spart, bis ich genug hatte, um nach Mittelamerika zu fahren. Ich bin nicht dorthin gegangen, um was zu verdienen - obwohl es, wie ich zugeben muss, zu meinem Plan gehorte -, sondern weil ich eine Leidenschaft hatte, und ich habe sie gefunden. Ich habe meine versunkene Stadt gefunden.

Er fuhr herum, drehte sich, nahm seinen Marsch wieder auf.

Das war der Anfang. Damit ging alles los. Ich hab nur mit Kunst und Antiquitaten gehandelt, um meine Sammelei zu finanzieren. Und schaut mal...

Er blieb stehen, gestikulierte mit der offenen Handflache auf die unsichtbaren Sammlungen, die ihn in diesem Haus umgaben.

Schaut mal. Das ist das Ergebnis. Eine der gro?ten Kunst- und Antiquitatensammlungen, die es in privater Hand auf der Welt gibt. Es sind nicht nur Gegenstande. Jedes dieser Stucke hat seine Geschichte, ist fur mich eine Erinnerung. Wie ich es zum ersten Mal sah, wie ich mich in es verliebte, wie ich es erwarb. Jedes Teil ist ein Stuck von mir.

Er nahm einen Gegenstand aus Jade vom Schreibtisch und hielt ihn vor die Kamera.

Wie dieser Olmec-Schadel, den ich in einem Grab in Piedra Lumbre fand. Ich erinnere mich noch genau an den Tag ...an die Hitze, die Schlangen ... und ich wei? noch, wo ich ihn zum ersten Mal sah, dort in dem staubigen Grab, in dem er zweitausend Jahre lang geruht hatte.

Philip schnaubte. »Klauen muss Spa? machen.«

Broadbent legte den Gegenstand weg. Er lag zweitausend Jahre dort - ein Gegenstand von so erlesener Schonheit, dass man bei seinem Anblick am liebsten weinen mochte. Ich wurde euch gern erklaren, welche Gefuhle ich empfand, als ich diesen makello-sen Jadeschadel dort im Staub liegen sah. Er wurde nicht dazu erschaffen, in der Finsternis dahinzuvegetieren. Ich habe ihn gerettet und ihm das Leben zuruckgegeben.

Broadbents Stimme klang belegt. Er hielt inne, rausperte sich und neigte den Kopf. Dann tastete er nach der Lehne seines Sessels, setzte sich hin und legte die Zigarre in einen Aschenbecher. Schlie?lich wandte er sich wieder der Kamera zu und beugte sich uber den Tisch.

Ich bin euer Vater. Ich habe euch aufwachsen sehen. Ich kenne euch besser als ihr euch selbst.

»Kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Philip.

Wahrend eures Heranwachsens hat es mich besturzt, in euch einen gewissen Standesdunkel zu sehen. Privilegien, die Krankheit reicher Kinder. Das Gefuhl, dass man sich nicht allzu sehr anstrengen, nicht allzu viel lernen, sich nicht bemuhen muss, weil man ja der Sohn von Maxwell Broadbent ist. Denn irgendeines Tages ist man ja reich, ohne einen gottverdammten Finger ruhren zu mussen.

Broadbent stand energisch und ruhelos erneut auf. Hort zu, ich wei?, dass es hauptsachlich meine Schuld ist. Ich habe euren Launen nachgegeben. Ich habe euch alles gekauft, was ihr haben wolltet. Ich habe euch auf die besten Privatschulen geschickt und durch Europa geschleppt. Ich hatte ein schlechtes Gewissen - wegen der Scheidungen und so weiter. Ich bin wohl nicht furs Eheleben geschaffen. Aber was habe ich angerichtet?

Ich habe drei Jungs aufgezogen, die auf ihr Erbe warten, statt ein ausgefulltes Leben zu fuhren. Gro?e Erwartungen machen faul.

»Schei?dreck«, knurrte Vernon wutend.

Philip, du bist Assistent fur Kunstgeschichte an einem Junior College auf Long Island. Tom? Pferdedoktor in Utah. Und Ver-

non? Tja, ich wei? nicht mal, was du gerade machst. Wahrscheinlich lebst du ja in irgendeinem Ashram und verschenkst dein Geld an irgendeinen schragen Guru.

»Stimmt gar nicht!«, sagte Vernon. »Stimmt gar nicht! Leck mich doch!«

Tom konnte nichts sagen. Irgendwo in seinem Magen machte sich ein mulmiges Gefuhl breit.

Und als ware das noch nicht genug, fuhr Broadbent fort, kommt ihr drei auch nicht miteinander aus. Ihr habt nie gelernt, zu kooperieren oder Bruder zu sein. Also hab ich mich gefragt: Was habe ich angerichtet? Was habe ich getan? Was war ich nur fur ein Vater? Habe ich meine Sohne Unabhangigkeit gelehrt?

Habe ich sie den Wert der Arbeit gelehrt? Habe ich sie Selbstvertrauen gelehrt? Habe ich sie gelehrt, aufeinander Acht zu geben?

Er hielt inne, dann schrie er: Nein!

Mit all diesem Kram, mit den Schulen, Europa, den Angel- und Campingausflugen habe ich drei Quasi-Versager aufgezogen.

Herrgott, es ist meine Schuld, dass es so gekommen ist, aber so ist es nun mal. Als ich erfuhr, dass ich sterben muss, geriet ich in Panik. Wie sollte ich alles wieder gutmachen?

Er pausierte und drehte sich um. Er atmete nun schwer.

Sein Gesicht war gerotet.

Wenn der Sensenmann einem zuzwinkert, fangt man un-weigerlich an nachzudenken. Ich musste mir uberlegen, was aus meiner Sammlung wird. Eines stand fur mich fest: Museen oder Universitaten kriegen sie keinesfalls. Ich will nicht, dass sich spater so ein paar studierte Nullen die Hande reiben. Und ich wollte sie auch keinem schragen Auktionshaus oder Handler uberlassen, der sich an meiner Schwerarbeit bereichert, die Sammlung auseinander rei?t und in alle vier Windrichtungen verscherbelt, nachdem ich mein Leben damit zugebracht habe, sie zusammen-zutragen. Das kam auf keinen Fall in Frage.

Broadbent wischte sich die Stirn ab, zerknullte das Taschentuch mit der Hand und deutete auf die Kamera.

Ich hatte immer vor, euch die Sammlung zu hinterlassen. Aber als es dann so weit war, wurde mir klar, dass es das Schlimmste ist, was ich euch antun kann. Ich will euch auf keinen Fall eine halbe Milliarde Dollar aushandigen, die ihr nicht verdient habt.

Er kehrte hinter den Schreibtisch zuruck, wuchtete seine imposante Gestalt in den Sessel und entnahm dem Kastchen eine neue Zigarre.

Schaut mal. Ich rauche noch. Ist jetzt zu spat, um damit aufzuhoren.

Er knipste das Ende ab und zundete die Zigarre an. Die Rauchwolke brachte den Autofokus der Kamera durcheinander. Das Bild wurde abwechselnd scharf und unscharf.

Als die Wolke nach links aus dem Bild wehte, war das stattliche Gesicht von Maxwell Broadbent wieder deutlich zu sehen.

Dann hatte ich eine Idee. Eine geniale Idee. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, Graber auszubuddeln und mit den daraus stammenden Gutern zu handeln. Ich kenne jeden Trick, wie man Grabstatten verbirgt, und auch alle Todesfallen. Mir wurde schlagartig klar, dass auch ich meinen Reichtum mitnehmen kann. Au?erdem bin ich so in der Lage, euch so auch ein wirkliches Vermachtnis zu hinterlassen.

Er hielt inne, faltete die Hande und beugte sich vor.

Ihr musst euch das Geld verdienen. Ich habe dafur gesorgt, dass ich zusammen mit der Sammlung irgendwo auf der Welt in einer Gruft beigesetzt werde. Ich fordere euch hiermit auf, mich zu suchen. Wenn ihr mich findet, konnt ihr mein Grab ausrauben und alles behalten. Das ist die Aufgabe, die ich euch, meinen drei Sohnen, stelle.

Er inhalierte und versuchte zu lacheln.

Ich warne euch. Es wird schwierig und gefahrlich werden.

Nichts im Leben, was des Tuns wert ist, ist einfach. Und hier ist der Haken: Ihr werdet nur dann Erfolg haben, wenn ihr zusam-menarbeitet.

Er legte eine massive Faust auf den Tisch.

Das ist es, in aller Kurze. Ich habe zwar zu meinen Lebzeiten nicht viel fur euch getan, aber - bei Gott - ich werde es mit meinem Tod wieder gutmachen.

Er stand auf und kam auf die Kamera zu. Er streckte den Arm aus, um sie abzuschalten, doch dann, als sei

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