Er legte den Horer auf und wandte sich zu Graff um. »Ich kann nur fur uns beide hoffen, dass dieser Bursche kein schrager Vogel ist.«
»Er ist in Ordnung«, sagte Graff. »Glaub mir, ich habe mir alles uberaus grundlich angesehen. Der Codex existiert, und die Musterseite ist echt.«
Kurz darauf stand Hauser wieder im Turrahmen.
»Sie kriegen Ihre funfzig Millionen«, sagte Skiba schroff.
»Nehmen Sie jetzt Platz und erzahlen Sie uns von Ihrem Plan.«
10
Charlie Hernandez fuhlte sich ausgelaugt. Die Messe hatte lange gedauert, die Bestattung noch langer. Er spurte noch die Erdklumpchen an seiner rechten Hand. Es war immer furchtbar, wenn sie einen Kollegen zu Grabe tragen mussten, geschweige denn zwei. Au?erdem hatte er noch einen Auftritt vor Gericht und musste noch eine halbe Schicht herunterrei?en. Er warf einen Blick auf seinen Partner Willson, der sich um den Papierkram kummerte. Er hatte etwas auf dem Kaste».Schade nur, dass seine Handschrift aussah wie die einer Rotznase aus dem Kindergarten.
Der Summer ertonte, und Doreen sagte: »Hier sind zwei Leute, die ... ahm ... Barnaby und Fenton sprechen wollen.«
Herrgott, schlimmer konnte es nicht mehr kommen. »Um was geht's denn?«
»Wollen sie nicht sagen. Sie wollen nur mit Barnaby und Fenton reden.«
Hernandez seufzte schwer. »Schicken Sie sie rein.«
Willson hatte mit dem Schreiben aufgehort und schaute auf. »Soll ich ...?«
»Bleib hier.«
Sie standen schon im Turrahmen: eine atemberaubende Blondine und ein gro?er Kerl mit Cowboy-Stiefeln. Hernandez grunzte, richtete sich auf dem Stuhl auf und fuhr sich mit der Hand ubers Haar, um es zu glatten. »Nehmen Sie Platz.«
»Wir mochten Lieutenant Barnaby sprechen; nicht ...«
»Ich wei?, wen Sie sprechen wollen. Bitte, setzen Sie sich.«
Sie nahmen zogernd Platz.
»Ich bin Officer Hernandez.« Hernandez sprach die Blondine an. »Darf ich fragen, was Sie von Officer Barnaby wollen?« Er redete mit der eingeubten Stimme einer Behorde: langsam, gleichmutig, keinen Widerspruch duldend.
»Wir wurden lieber mit Officer Barnaby personlich reden«, sagte der Mann.
»Das geht nicht.«
»Und warum nicht?« Der Mann blitzte Hernandez an.
»Weil er tot ist.«
Das Paar starrte ihn an. »Wie ist das passiert?«
Gott, Hernandez war so mude. Barnaby war ein guter Mann gewesen. Welch eine Verschwendung. »Autounfall.«
Er seufzte. »Wenn Sie mir sagen, wer Sie sind, kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen.«
Die beiden schauten sich an. Dann sagte der Mann: »Ich bin Tom Broadbent. Vor etwa zehn Tagen hat Lieutenant Barnaby einen moglichen Einbruch in unser Haus in der Nahe des alten Santa-Fe-Trails untersucht. Da er mit dem Fall betraut war, habe ich mich gefragt, ob er auch Meldung uber die Sache erstattet hat.«
Hernandez warf Willson einen kurzen Blick zu.
»Er hat keine Meldung geschrieben«, sagte Willson.
»Hat er irgendwas erzahlt?«
»Er hat gesagt, es sei ein Missverstandnis gewesen. Mr. Broadbent hatte irgendwelche Kunstgegenstande verlagert und seine Sohne hatten versehentlich angenommen, sie sei-
en gestohlen worden. Wie ich Ihrem Bruder vor einer Woche erlautert habe, lag kein Verbrechen vor, deswegen gab es auch keinen Grund, eine Akte anzulegen.«
»Meinem Bruder? Welchem?«
»Der Name fallt mir jetzt nicht ein. Er war langhaarig und hatte einen Bart. Sah aus wie ein Hippie ...«
»Vernon.«
»Stimmt.«
»Konnen wir uns mit Barnabys Partner Fenton unterhalten?«
»Er ist bei dem gleichen Unfall ums Leben gekommen.«
»Wie ist es passiert?«
»Ihr Wagen ist auf der Sky Basin Road an der Nun's Corner von der Stra?e abgekommen.«
»Tut mir Leid.«
»Uns auch.«
»Dann gibt es also keine Akte - nichts uber die Ermittlungen in unserem Haus?«
»Nichts.«
Schweigen. Dann sagte Hernandez: »Kann ich sonst noch mit was dienen?«
11
Mull verbrannte in einer Reihe von 200-Liter-Fassern am schmutzigen Strand von Puerto Lempira. Jedes sandte einen Schwall atzenden Rauches in die Ortschaft. Eine dicke Frau briet etwas uber einem Fass auf einem Grillrost. Der Duft knuspriger Schweinefleischkruste wehte durch eine ubel riechende Brise auf Vernon zu. Er ging mit dem Lehrer uber die unbefestigte, parallel zum Strand verlaufende Stra?e. Eine drangelnde Horde von Kindern jagte hinter ihnen her, denen wiederum ein Rudel Hunde folgte. Die Kinder klebten ihnen nun seit fast einer Stunde an den Fersen und schrien unaufhorlich: »Haste Su?igkeiten?« und
»Haste 'nen Dollar?« Bei dem Versuch, sie loszuwerden, hatte Vernon mehrere Tuten mit Bonbons verteilt und alle seine Dollarscheine hergegeben, doch seine Gro?zugigkeit hatte nur dazu gefuhrt, dass die Menge zu noch hysteri-scheren Ausma?en anschwoll.
Vernon und der Lehrer erreichten eine wacklige Holzpier, die sich in die verschlammte Lagune schraubte. An ihrem Ende waren mehrere Einbaumkanus ohne Au?enbordmotor angebunden. Manner lungerten in Hangematten herum; dunkelaugige Frauen warfen ihnen aus Hauseingangen Blicke zu. Ein Mann schob sich auf sie zu. Um seinen Hals war eine Boa drapiert.
»Schlange«, sagte er. »Funfzig Dollar.«
»Wir wollen keine Schlange«, sagte der Lehrer. »Wir wollen ein Boot.
Der Mann fing an, die Schlange zu entrollen, und hielt sie ihm hin, als bote er ihm eine Wurst an. »Schlange. Drei?ig Dollar.«
Der Lehrer schob sich an ihm vorbei.
»Schlange!«, rief der Mann und eilte hinter ihm her.
»Zwanzig Dollar!« Sein Hemd war so durchlochert, dass es ihm fast vom Korper fiel. Als er an Vernon vorbeikam, grabschte er mit langen braunen Fingern nach ihm. Vernon, der in der Tasche nach Kleingeld und Scheinen kramte, fand nur einen Funfer. Er gab ihn dem Mann. Die Kinder drangten sich heran und verdoppelten die Lautstarke ihres Gejohles. Sie stromten nun auch aus den ubervolkerten Bar-rios an den Kai hinab.
»Hor mit dem Geldverteilen auf, verdammt«, sagte der Lehrer. »Sie werden uns noch ausrauben.«
»Verzeihung.«
Der Lehrer packte eins der alteren Kinder am Kragen. »Ju-an Freitag, Charterfirma!«, rief er ungeduldig. »Wo?