mit einigen verruckten jungen Yanquis in die Sierra Azul<, erwiderte ich. ->Und bist du dort angekommen? <, fragte er. - >Nein<, antwortete ich. - >Tja, Don Alfonso<, sagte er, >dann musst du wieder zuruck, alter Schlawiner.<«

Don Alfonso schaute auf und fugte hinzu: »Deswegen bin ich wieder hier.«

Tom wusste nicht genau, wie er reagieren sollte. Einen Moment lang hielt er den Traum fur einen von Don Alfonsos Scherzen, doch dann sah er die ernste Miene des Greises. Er wechselte einen Blick mit Sally.

»Und was bedeutet der Traum?«, erkundigte sich Sally.

Don Alfonso schob sich ein Stuck Mattawurzel in den Mund und kaute nachdenklich, dann beugte er sich vor und spuckte den Brei aus. »Er bedeutet, dass ich nur noch ein paar Tage bei euch sein kann.«

»Nur noch ein paar Tage? Das ist ja wohl wahnwitzig.«

Don Alfonso verzehrte seine Portion und stand auf. »Am besten reden wir nicht mehr daruber. Gehen wir lieber in die Sierra Azul.«

Der Tag war schlimmer als zuvor, denn mit dem Ende des Regens kehrten die Insekten zuruck. Die Reisenden kampften sich eine Reihe steiler Grate und schlammiger Pfade hinauf, wobei sie standig abrutschten und hinfielen, wahrend Insektenschwarme sie fortwahrend verfolgten. Am Nachmittag stiegen sie wieder in eine Klamm hinunter, die vom Echo eines rauschenden Flusses erfullt war. Je tiefer sie gelangten, desto lauter wurde das Getose, und schlie?lich sah Tom ganz unten einen gro?eren Fluss. Am Flussufer, wo das Dickicht endete, blieb ihr Fuhrer Don Alfonso stehen.

Er wich verwirrt zuruck und gab ihnen mit ein paar Gesten zu verstehen, dass sie zwischen den Baumen bleiben sollten.

»Stimmt was nicht?«, fragte Tom.

»Auf der anderen Seite des Flusses, unter einem Baum, liegt ein Toter.«

»Ein Indianer?«

»Nein, er tragt nordamerikanische Kleidung.«

»Konnte das ein Hinterhalt sein?«

»Nein, Tomas. Wenn es ein Hinterhalt ware, waren wir langst tot.«

Tom folgte Don Alfonso ans Flussufer. Auf der anderen Seite, ungefahr funfzig Meter von einer Furt entfernt, befand sich eine naturliche kleine Lichtung, in deren Mitte ein hoher Baum wuchs. Hinter dem Baum konnte Tom einen Farbton erkennen, der irgendwie nicht recht in die Umgebung passte. Er borgte sich Vernons Fernglas, um ihn genauer zu betrachten. Ein nackter, furchterlich angeschwol-lener Fu? war zu erkennen, au?erdem ein teilweise zerfetztes Hosenbein. Der Rest des Leichnams war durch den Baum verborgen. Wahrend Tom die Gestalt musterte, sah er hinter dem Baum eine blauliche Wolke aufsteigen, dann noch eine.

»Der Mann lebt«, sagte Tom. »Es sei denn, Tote rauchen.«

»Bei der heiligen Jungfrau - Sie haben Recht.«

Sie fallten einen Baum. Das Gerausch der schlagenden Axt schallte durch den Wald, doch der Mann hinter dem Baum ruhrte sich nicht.

Als der Baum umgesturzt war und eine federnde Brucke uber den Fluss bildete, schaute Don Alfonso argwohnisch uber das Wasser hinweg. »Vielleicht ist es ein Damon.«

Sie uberquerten die wacklige Brucke, wobei sie den Stab zu Hilfe nahmen. Am anderen Ufer konnten sie den Mann nicht mehr sehen.

»Wir mussen weitergehen und so tun, als hatten wir ihn nicht bemerkt«, sagte Don Alfonso leise. »Ich bin mir jetzt ganz sicher, dass es ein Damon ist.«

»Das ist doch absurd«, erwiderte Tom. »Ich schau mir den Kerl mal an.«

»Bitte, Tomas, gehen Sie nicht. Er wird Ihnen die Seele rauben und sie auf den Grund des Flusses mitnehmen.«

»Ich komme mit«, erklarte Vernon.

»Curandera, Sie bleiben hier. Ich mochte nicht, dass der Damon euch alle erwischt.«

Tom und Vernon bahnten sich einen Weg durch die blan-ken Findlinge am Flussufer und lie?en den besorgt vor sich hin murmelnden Don Alfonso mit Sally allein. Kurz darauf erreichten sie die Lichtung und machten einen Schritt um den Baum herum.

Was sie sahen, war ein menschliches Wrack. Der Mann lehnte mit dem Rucken an dem Baum, hielt eine Bruyere-Pfeife zwischen den Zahnen und musterte die beiden mit festem Blick. Seine Haut war fast schwarz, aber ein Indianer war er wohl nicht. Seine Kleidung bestand nur noch aus Fetzen, sein Gesicht war zerkratzt und blutig von Insektenstichen. Seine nackten Fu?e waren zerschnitten und geschwollen. Er war so dunn, dass ihm die Knochen auf groteske Weise aus dem Leib hervorstachen. Sein Haar war strahnig. Er hatte einen kurzen Bart voller Reisigstuckchen und Blatter.

Als Tom und Vernon auftauchten, zeigte er keine Reaktion. Er schaute nur aus tief in den Hohlen liegenden Augen zu ihnen auf. Er wirkte eher tot als lebendig. Dann zuckte er zusammen, als musse er sich schutteln. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und sprach. Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flustern.

»Wie geht's, Bruder?«

41

Tom war so uberrascht, die Stimme seines Bruders Philip aus dieser lebenden Leiche zu horen, dass er zusammenzuckte. Er buckte sich, um sich das Gesicht des Mannes genauer anzusehen, doch er fand keine Spur von Ahnlichkeit mit Philip. Von Grauen geschuttelt wich er zuruck. In einer Wunde am Hals seines Gegenubers wanden sich Maden.

»Philip?«, hauchte Vernon.

Die Stimme krachzte eine Bestatigung.

»Was machst du hier?«

»Ich sterbe.« Philip vermittelte Fakten.

Tom kniete sich hin, um das Gesicht seines Bruders genauer zu mustern. Er war noch immer zu entsetzt, um etwas zu sagen oder eine Reaktion zu zeigen. Er legte Philip eine Hand auf die knochige Schulter. »Was ist passiert?«

Philip schloss einen Moment die Augen, dann offnete er sie wieder. »Spater.«

»Naturlich. Was habe ich nur im Kopf?« Tom wandte sich an Vernon. »Geh zu Don Alfonso und Sally. Sag ihnen, dass wir Philip gefunden haben und hier ein Lager aufschlagen.«

Tom musterte seinen Bruder erneut. Er war zu erschuttert, um etwas zu sagen. Philip war so eigenartig gelassen ...

Hatte er sich etwa schon mit seinem Tod abgefunden? Es war unnaturlich. In seinem Blick lag abgeklarte Gleichgul-tigkeit.

Dann tauchte Don Alfonso auf. Nachdem er nun wusste, dass der Flussdamon ein Mensch war, hackte er ein Stuck Boden frei, um das Lager aufzuschlagen.

Als Philip Sally erblickte, nahm er die Pfeife aus dem Mund und blinzelte.

»Ich bin Sally Colorado.« Sally ergriff seine Hand.

Philip gelang ein Nicken.

»Wir mussen Sie saubern und verarzten.«

»Danke.«

Sie trugen Philip zum Fluss, legten ihn auf einen Stapel Bananenblatter und zogen ihn aus. Alles war voller wunder Stellen. Viele waren infiziert und von Maden befallen. Die Maden - das wurde Tom klar, als er die Wunden untersuchte - waren anfangs ein Segen gewesen, denn sie hatten das septische Gewebe verzehrt und die Gefahr eines Wund-brands verringert. In einigen Wunden, in denen die Maden tatig gewesen waren, hatte sich schon frisches Granulati-onsgewebe gebildet. Andere sahen weniger gut aus.

Tom betrachtete seinen Bruder mit einem mulmigen Gefuhl. Sie hatten keine Medikamente, keine Antibiotika, keine Verbande, sondern nur Sallys Krauter. Sie wuschen Philip vorsichtig ab, dann trugen sie ihn auf die Lichtung zuruck, wo sie ihn splitternackt neben dem Feuer auf einen Stapel Palmwedel betteten.

Sally sortierte die unterwegs gesammelten Krauter und Wurzeln.

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