ihm nichts. Im Lauf der Jahre waren eine Menge Kunstwerke durch seine Hande gegangen, und er hatte nur das Allerbeste fur sich behalten.
Er wechselte die Position und streckte seine verkrampften Beine aus. Die Sonne war hell und hei?. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Funf vor zehn. Er hatte sich vorgenommen, um zehn in Aktion zu treten. Hier drau?en war die Zeit zwar von geringer Bedeutung, doch er hatte irgendwie Freude an der gewohnten Disziplin. Seiner Ansicht nach war Disziplin mehr eine Lebensphilosophie als alles andere. Er stand auf, reckte sich und atmete mehrmals tief durch. Dann uberprufte er schnell seine Steyr AUG. Sie war, wie ublich, im Bestzustand. Hauser glattete sein Haar, dann warf er einen kritischen Blick auf seine Fingernagel.
Unter einem Nagel entdeckte er einen Schmutzrand. Er kratzte ihn mit der Spitze seiner Nagelfeile ab und schnippte ihn weg. Dann begutachtete er seine Handrucken. Sie waren glatt, haarlos und wei? und zeigten nur einen ganz feinen Anflug von Adern. Es waren die Hande eines Drei-
?igjahrigen, nicht die eines Mannes von sechzig. Er hatte seine Hande stets gepflegt. Die Sonne funkelte auf einer Phalanx dicker Gold- und Diamantringe. Er bewegte mehrmals seine Finger, dann schuttelte er die Falten aus der Khakihose, lie? die Fu?knochel spielen, drehte den Kopf funfmal hin und her, streckte die Arme weit aus und holte wieder Luft. Er atmete aus. Und ein. Er begutachtete sein frisches wei?es Hemd. Wenn die Sache uber die Buhne gegangen war, ohne dass sein Hemd Flecken aufwies, konnte man das Unternehmen als Erfolg betrachten. Es war tatsachlich eine Plage, seine Klamotten im Dschungel sauber zu halten.
Hauser hangte sich die Steyr AUG wieder uber die Schulter und ging den Pfad hinab.
70
Die vier Bruder und ihr Vater ruhten sich im Schatten einer Felswand neben dem Eingang der Grabkammer aus. Sie hatten den gro?ten Teil ihres Proviants verzehrt, und Tom lie? eine Feldflasche mit Wasser herumgehen, aus der alle tranken. Er hatte seinem Vater gern so vieles gesagt und zweifelte nicht daran, dass es seinen Brudern ebenso ging - doch nach dem ersten Wortschwall waren sie in Schweigen verfallen. Irgendwie war es ihnen genug, nur zusammen zu sein. Sie tranken vom Wasser, und die Feldflasche lie? gurgelnde Gerausche horen. Schlie?lich war der Behalter wieder bei Tom angelangt. Er verschraubte ihn und schob ihn in seinen kleinen Rucksack hinein.
Schlie?lich ergriff Maxwell Broadbent das Wort: »Marcus Hauser ist also hier und darauf aus, meine Gruft zu plundern.« Er schuttelte den Kopf. »Was fur eine Welt!«
»Tut mir Leid«, wiederholte Philip.
»Es war meine Schuld«, erwiderte Broadbent. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Es ist alles meine Schuld.«
»Im Moment mochte ich nur eines, und zwar, dass meine Sohne lebendig hier rauskommen. Ich bin nur eine Last fur euch. Lasst mich hier. Seht zu, dass ihr Land gewinnt. Ich kann schon fur mich sorgen. Ich werde diesem Hauser einen Empfang bereiten, den er nie vergisst.«
»Was?«, rief Philip. »Nach allem, was wir getan haben, um dich zu retten?« Er war wirklich emport.
»Na, hor mal. In ein, zwei Monaten bin ich ohnehin tot.
Seht zu, dass ihr hier wegkommt. Ich knopfe mir Hauser schon vor.«
Philip stand auf. Er war au?er sich. »Wir haben den ganzen langen Weg doch nicht gemacht, um dich ihm jetzt einfach so auszuliefern, Vater.«
»Ich bin kein guter Grund, dass ihr euer Leben riskiert.«
»Wir nicht gehen ohne dich«, sagte Borabay. »Wind kommt von Osten und bringen heute Abend Gewitter. Wir hier warten, bis dunkel ist, dann gehen. Gehen uber Brucke bei Gewitter.«
Broadbent atmete aus und fuhr sich ubers Gesicht.
Philip rausperte sich. »Vater?«
»Ja, mein Sohn?«
»Ich spreche das Thema zwar nicht gern an, aber was wird aus dem Zeug in der Grabkammer?«
Tom fiel sofort der Codex ein. Er musste mit. Doch nicht, weil er ihn selbst haben wollte. Er wollte ihn fur Sally und die Welt mitnehmen.
Bevor Broadbent das Wort ergriff, schaute er kurz zu Boden. »Ich habe noch keinen Gedanken daran verschwendet.
Die Sachen sind mir einfach nicht mehr wichtig. Aber ich bin froh, dass du es angesprochen hast, Philip. Ich schatze, wir sollten den Lippi und alles mitnehmen, was leicht genug zum Tragen ist. So konnen wir wenigstens verhindern, dass dem gierigen Schei?kerl
»Wenn wir hier rauskommen, benachrichtigen wir das FBI und Interpol ...«
»Hauser kommt trotzdem straflos davon, Philip. Das ist dir doch wohl klar. Da fallt mir was ein. Mit den Kisten in der Gruft stimmt was nicht. Ich hab schon vorher druber nachgedacht. So ungern ich auch noch mal da reingehe ...
Ich muss was uberprufen.«
»Ich helfe dir«, sagte Philip und sprang auf die Beine.
»Nein, ich muss da allein rein. Borabay, gib mir ein Licht.«
Borabay zundete ein Bundel Riedgras an und reichte es ihm.
Broadbent schob sich durch den Turrahmen. Tom sah, wie der gelbe Lichtschein zwischen Kisten und Kasten tan-zelte. Die Stimme seines Vaters drohnte zu ihnen heraus:
»Nur Gott wei?, warum mir dieser ganze Schei? fruher so wichtig war.«
Das Licht bewegte sich weiter in die Finsternis hinein, um sich schlie?lich in ihr zu verlieren.
Philip stand auf. Er ging in einem engen Kreis herum, streckte die Beine durch und zundete seine Pfeife an. »Es wurde mir gar nicht gefallen, wenn der Lippi Hauser in die Hande fiele.«
Eine kuhle, erheitert klingende Stimme drang plotzlich an ihre Ohren.
»Na, so was ... Hat da gerade jemand meinen Namen genannt?«
71
Hauser sprach leise und besanftigend. Seine Waffe war auf sie gerichtet; sie konnte bei der kleinsten Bewegung losgehen. Die drei Bruder und der Indianer sa?en vor der offenen Grabkammer und wandten sich zu ihm um. In ihren Augen stand blankes Entsetzen.
»Machen Sie sich nicht die Muhe aufzustehen. Am besten bewegen Sie uberhaupt nichts - au?er den Lidern.« Hauser hielt inne. »Freut mich, dass Sie sich erholt haben, Philip.
Der affektierte kleine Blodmann mit der lacherlichen Bruyere-Pfeife, der vor zwei Monaten in mein Buro gestiefelt kam, hat sich ganz gut gemacht.«
Er machte einen lassigen Schritt nach vorn und blieb wieder stehen. Er war bereit, sie bei der geringsten Bewegung abzuknallen. »Wie nett von Ihnen, mich zur Gruft zu fuhren. Und Sie haben auch noch die Tur fur mich geoffnet!
Sehr zuvorkommend. Horen Sie jetzt genau zu: Wenn Sie meinen Anweisungen folgen, wird keinem etwas passieren.«
Er musterte die vier Gesichter. Keiner verfiel in Panik; keiner schien darauf erpicht, den Helden zu spielen.