immerzu wiederholten. Aber das war nur der Verstarkerstrom. Die Heterodinlampe erzeugte einfach zu schwache Schwingungen.
Sax rollte die Leitungsdrahte zusammen und stopfte sie in die Tasche. Nygren nahm ein Laken und warf es uber Korper und Gesicht des Toten. Dessen Mund war bisher geschlossen gewesen und hatte sich jetzt leicht geoffnet, wohl unter der Warmeeinwirkung (im Hibernator war es inzwischen hei? geworden — Rohan zumindest rann der Schwei? uber den Rucken), und das Gesicht hatte einen ungeheuer erstaunten Ausdruck angenommen. So verschwand er unter dem wei?en Tuch.
„Sagt doch was… Warum sagt ihr denn nichts?“ stie? Rohan hervor.
Sax zog die Riemen an der Apparathulle fest, erhob sich und trat einen Schritt an ihn heran. „Beherrschen Sie sich, Navigator!“
Rohan kniff die Augen zusammen und ballte die Fauste — doch vergebens. Wie ublich in solchen Augenblicken, erwachte in ihm der Jahzorn, den zu bandigen ihm besonders schwerfiel.
„Verzeihung“, stammelte er. „Aber was bedeutet das nun?“
Sax knopfte den Skaphander auf, der zu Boden glitt, und von seiner Stattlichkeit war nichts mehr vorhanden. Er war wieder der hagere, gebeugte Mann mit den schmalen Schultern und den feinnervigen Handen.
„Ich wei? nicht mehr als Sie“, antwortete er. „Vielleicht sogar weniger.“
Rohan begriff nichts mehr, aber er klammerte sich an Sax' letzte Worte.
„Wieso? Warum weniger?“
„Weil ich nicht hier war. Ich habe au?er diesem Leichnam nichts gesehen. Sie sind doch heute morgen hier gewesen.
Sagt Ihnen dieses Bild nichts?“
„Nein. Die. die haben sich bewegt. Ob sie da noch gelebt haben? Was war das nur an ihnen? Diese Flecke?“
„Sie haben sich nicht bewegt. Das war eine Tauschung. Die Engramme werden wie eine Fotografie festgehalten. Manchmal ist es ein ubereinander von mehreren Bildern. In diesem Fall war es das nicht.“
„Aber die Flecke? Sind sie auch eine Tauschung?“
„Ich wei? nicht. Alles ist moglich. Aber ich glaube es nicht.
Was meinen Sie, Nygren?“
Der kleine Arzt hatte sich schon aus seinem Skaphander gepellt.
„Ich wei? nicht“, antwortete er. „Vielleicht war es auch kein Artefakt. An der Decke waren keine, nicht wahr?“
„Solche Flecke? Nein. Nur an den Leichen und auf dem Fu?boden. Und ein paar an den Wanden…“
„Wenn das die zweite Projektion gewesen ware, dann hatten sie wohl das ganze Bild bedeckt“, meinte Nygren.
„Aber das ist nicht sicher. Bei solchen Engrammen hangt =viel vom Zufall ab.“
„Und die Stimme? Dieses… Gestammel?“ forschte Rohan verzweifelt.
„Ein Wort war deutlich zu verstehen: Mama. Haben Sie es gehort?“
„Ja. Aber da war noch etwas. ›Ala… lala‹. Das wiederholte sich unablassig.“
„Ja, weil ich die ganze Hinterhauptlappenrinde abgesucht habe“, brummte Sax. „Das hei?t die ganze Gegend des akustischen Gedachtnisses“, erklarte er Rohan. „Das war das Ungewohnliche.“
„Diese Worter?“
„Nein, die nicht. Ein Sterbender kann an alles mogliche denken. Wenn er an seine Mutter gedacht hatte, dann ware das durchaus normal. Aber sein Horbereich ist leer. Verstehen Sie?“
„Nein, keine Ahnung. Wieso leer?“
„Meistens ist die Untersuchung der Hinterhauptlappen ergebnislos“, erlauterte Nygren. „Dort sind zu viele Engramme, zu viele gespeicherte Worter. Das ist so, als wollten Sie hundert Bucher auf einmal lesen. Ein Chaos entsteht. Aber er…“ — er warf einen Blick auf die langliche Gestalt unter dem wei?en Laken — „hatte dort gar nichts. Keine Worter, nur die paar Silben.“
„Ja, stimmt. Ich habe vom sensorischen Sprachzentrum bis zum Sulcus Rolandi alles abgesucht“, sagte Sax. „Deswegen sind die Silben immer wiedergekehrt. Es waren die einzigen phonematischen Strukturen, die erhalten geblieben sind.“
„Und der Rest, die anderen?“
„Sind nicht da.“ Sax hob, als.hatte er die Geduld verloren, den schweren Apparat so heftig vom Boden auf, da? der Ledergriff knirschte. „Sie sind nicht da, und fertig. Fragen Sie mich bitte nicht, was damit geschehen ist. Dieser Mann hat das ganze akustische Gedachtnis verloren.“
„Und das Bild?“
„Das ist etwas anderes. Das hat er gesehen. Er brauchte nicht einmal zu verstehen, was er sah. Ein Fotoapparat versteht auch nichts und halt doch fest, worauf man ihn richtet. Ubrigens wei? ich nicht, ob er es verstanden hat oder nicht.“
„Wurden Sie mir helfen, Herr Kollege?“ Die beiden Arzte gingen mit den Apparaten hinaus, die Tur fiel hinter ihnen zu.
Rohan war allein. Da packte ihn eine solche Verzweiflung, da? er an den Tisch trat, das Laken beiseite schleuderte, dem Toten das Hemd aufknopfte, das bereits aufgetaut und weich geworden war, und aufmerksam die Brust untersuchte.
Er zitterte bei der Beruhrung, denn sogar die Haut war geschmeidig geworden. Mit dem Auftauen des Gewebes war eine Muskelerschlaffung eingetreten. Der bis dahin unnaturlich angehobene Kopf war kraftlos hinuntergesunken, als schliefe der Mann wirklich. Rohan suchte an dem toten Korper Spuren einer ratselhaften Epidemie, einer Vergiftung oder Insektenstiche, aber er fand nichts. Zwei Finger der linken Hand spreizten sich, so da? eine kleine, leicht geoffnete Wunde zu sehen war, die zu bluten begann. Die roten Tropfen fielen auf den wei?en Schaumgummibezug des Tisches. Das war zuviel fur Rohan. Ohne auch nur das Tuch wieder uber den Toten zu decken, sturzte er aus der Kajute, stie? die Leute drau?en zur Seite und lief dem Hauptausgang zu, als ware jemand hinter ihm her. An der Schleusenkammer hielt Jarg ihn an, half ihm, den Sauerstoffapparat umzuschnallen und steckte ihm sogar das Mundstuck zwischen die Lippen.
„Nichts gefunden, Navigator?“
„Nein, Jarg. Nichts. Nichts!“
Er merkte nicht, mit wem er im Fahrstuhl war. Drau?en heulten die Motoren. Der Sturm war starker geworden, Sandwolken fegten vorbei und prasselten auf die rauhe, unebene Oberflache des Schiffskorpers, die Rohan ganz und gar vergessen hatte. Er ging ans Heck, reckte sich auf die Zehenspitzen und tastete das dicke Metall ab. Der Panzer fuhlte sich an wie Gestein, verwittertes, altes Gestein, mit harten Knotchen ubersat. Zwischen den Transportern erblickte er die hohe Gestalt des Ingenieurs Ganong, versuchte aber gar nicht erst, ihn zu fragen, was er uber dieses Phanomen dachte. Der Ingenieur wu?te ebensoviel wie er selbst, das hei?t nichts. Gar nichts.
In dem gro?ten Transporter fuhr er mit einem Dutzend Leuten zuruck. Er sa? in einer Ecke der Kabine und horte ihre Stimmen wie von fern. Bootsmann Terner sprach von Vergiftung, wurde aber uberschrien.
„Vergiftung? Womit? Alle Filter sind in ausgezeichnetem Zustand, die Wasservorrate unangeruhrt, die Sauerstoffbehalter voll. Lebensmittel im Uberflu?…“
„Habt ihr gesehen, wie der aussah, den wir in der kleinen Navigationskajute gefunden haben?“ fragte Blank. „Ich habe ihn gekannt.. Doch ich hatte ihn nicht wiedererkannt, wenn er nicht wie immer einen Siegelring getragen hatte.“
Keiner antwortete. In der Basis begab sich Rohan unverzuglich zu Horpach. Der wu?te schon Bescheid durch die Fernsehubertragung und die Berichte der Gruppe, die fruher zuruckgekommen war und einige hundert Fotos mitgebracht hatte. Rohan fuhlte sich unwillkurlich erleichtert, da? er dem Kommandanten nicht zu schildern brauchte, was er gesehen hatte.
Der Astrogator musterte ihn aufmerksam und stand vom Tisch auf, wo eine von Fotokopien bedeckte Gelandekarte lag. Sie waren allein in der gro?en Navigationskajute.
„Nehmen Sie sich zusammen, Rohan“, sagte er. „Ich verstehe, wie Ihnen zumute ist, aber wir brauchen vor allem Vernunft. Und Beherrschung. Wir mussen dieser verruckten Geschichte auf den Grund kommen.“
„Sie verfugten uber alle Schutzvorrichtungen: Energoboter, Lasergerate und Teilchenwerfer. Der gro?e Antimat steht unmittelbar bei dem Raumschiff. Alles, was wir auch haben“, sagte Rohan mit tonloser Stimme. Er