„Aber was sagen Sie zu der Insektenhypothese?“

„Zu dieser Frage mag sich Lauda au?ern.“

Lauda war der Chefpalaobiologe des Raumschiffs. Er stand auf und wartete, bis sich alle beruhigt hatten.

„Es ist kein Zufall, da? wir nicht uber die sogenannten Fliegen gesprochen haben. Wer sich auch nur ein bi?chen in der Biologie auskennt, der wei?, da? au?erhalb eines bestimmten Biotops, das hei?t einer ubergeordneten Einheit, die sich aus dem Milieu und allen darin auftretenden Arten zusammensetzt, keinerlei Organismen leben konnen. So ist es im ganzen bisher erforschten Kosmos. Das Leben erzeugt entweder eine riesige Formenvielfalt, oder es entsteht uberhaupt nicht. Insekten konnten also nicht entstehen, ohne da? sich gleichzeitig Pflanzen auf dem Lande, andere symmetrische, wirbellose Organismen und so weiter entwickelten.

Ich will Ihnen keinen Vortrag uber die allgemeine Evolutionstheorie halten, ich denke, es genugt, wenn ich Ihnen versichere, da? es unmoglich ist. Hier gibt es weder giftige Fliegen noch andere Gliederfu?ler wie Hautflugler oder Spinnentiere. Es gibt auch keinerlei verwandte Formen.“

„Wie konnen Sie dessen so sicher sein?“ warf Ballmin ein.

„Wenn Sie mein Schuler waren, Ballmin, so waren Sie jetzt nicht an Bord dieses Raumschiffes, weil Sie bei mir die Prufung nicht bestanden hatten“, sagte der Palaobiologe unberuhrt, und die Anwesenden lachelten unwillkurlich.

„Ich wei? nicht, wie es bei Ihnen mit der Planetologie bestellt ist, aber in Evolutionsbiologie hatten Sie ›ungenugend‹ bekommen!“

„Typische Fachsimpelei. Ist das nicht schade um die Zeit?“ flusterte jemand Rohan von hinten zu. Rohan wandte sich um und blickte in das braungebrannte, breite Gesicht Jargs, der ihm verstandnissinnig zuzwinkerte.

„Vielleicht sind es keine Insekten einheimischen Ursprungs“, beharrte Ballmin. „Vielleicht sind sie eingeschleppt worden…“

„Woher aber?“

„Von den Planeten der Nova.“

Jetzt redeten alle auf einmal. Es dauerte eine ganze Weile, bevor es gelang, sie zu beschwichtigen.

„Kollegen!“ sagte Sarner. „Ich wei?, woher Ballmins Gedanke stammt. Von Dr. Gralew.“

„Nun ja, ich bestreite nicht, da? ich der Urheber bin“, gestand der Physiker.

„Ausgezeichnet. Nehmen wir also an, wir konnten uns den Luxus wahrscheinlich klingender Hypothesen nicht mehr leisten und brauchten ganz verruckte. Gut, meinetwegen.

Meine Herren Biologen! Nehmen wir an, ein Raumschiff von einem Planeten der Nova hat die dortigen Insekten hierhergebracht. Hatten sie sich den ortlichen Bedingungen anpassen konnen?“

„Naturlich, wenn es schon eine verruckte Hypothese sein soll“, gab Lauda von seinem Platz aus zu. „Aber auch die mu? fur alles eine Erklarung liefern.“

„Das hei?t?“

„Das hei?t, sie mu? erklaren, was den Au?enpanzer des ›Kondors‹ zerfressen hat, und zwar so, da? das Schiff, wie mir die Ingenieure sagen, gar nicht flugtauglich ist, bevor es generaluberholt wird. Glauben Sie denn, irgendwelche Insekten hatten sich so angepa?t, da? sie eine Molybdanlegierung konsumieren? Das ist eine der hartesten Substanzen im ganzen Kosmos. Ingenieur Petersen, was kann einen solchen Panzer zerstoren?“

„Wenn er richtig gehartet ist, eigentlich nichts“, antwortete der stellvertretende Chefingenieur. „Man kann ihn mit Diamanten ein wenig anbohren, aber dazu brauchte man eine Tonne Bohrkopfe und tausend Stunden Zeit. Dann schon eher mit Sauren. Aber mit anorganischen. Sie mu?ten bei einer Temperatur von wenigstens zweitausend Grad und bei entsprechenden Katalysatoren einwirken.“

„Und was hat Ihrer Meinung nach den Panzer des ›Kondors‹ zerfressen?“

„Keine Ahnung. Wenn er in einem Saurebad gelegen hatte, und zwar bei der geeigneten Temperatur, dann sahe er nicht anders aus. Aber wie das hier geschehen ist, ohne Lichtbogen-Plasmabrenner und Katalysatoren, kann ich mir nicht vorstellen.“

„Da haben Sie Ihre Fliegen, Kollege Ballmin“, sagte Lauda und setzte sich.

„Ich glaube, es hat keinen Sinn, weiterzudiskutieren“, bemerkte der Astrogator, der bis dahin geschwiegen hatte.

„Vielleicht war es noch zu fruh dafur. Uns bleibt nichts anderes ubrig, als die Untersuchungen fortzufuhren. Wir teilen uns in drei Gruppen. Eine befa?t sich mit den Ruinen, eine mit dem ›Kondor‹, und eine macht ein paar Abstecher ins Innere der Westwuste. Das ist das Maximum unserer Moglichkeiten, denn ich kann nicht mehr als vierzehn Energoboter aus dem Permimeter nehmen, selbst wenn einige Maschinen des ›Kondors‹ in Betrieb genommen werden. Wir haben nach wie vor dritte Alarmstufe.“

Der Erste

Schwelende, schlupfrige Schwarze umfing ihn. Er drohte zu ersticken. Verzweifelt rang er mit den immateriellen Schlingen, die ihn fesselten, wollte sie von sich abschutteln, aber er versank nur immer tiefer. Der Schrei blieb ihm in der geschwollenen Kehle stecken. Vergebens suchte er nach einer Waffe. Er war nackt. Ein letztes Mal spannte er alle Krafte an, um zu schreien. Ohrenbetaubender Larm ri? ihn aus dem Schlaf. Rohan sprang benommen aus seiner Koje.

Er wu?te nur so viel, da? er von Dunkelheit umgeben war und da? unablassig das Alarmsignal klingelte. Das war kein Traum mehr. Er schaltete Licht an, schlupfte in den Skaphander und rannte hinaus. In allen Stockwerken drangten sich die Leute vor dem Fahrstuhl. Nur das anhaltende Lauten der Signale war zu horen. Von den Wanden leuchtete in roter Schrift das Wort Alarm. Er lief in die Steuerzentrale. Der Astrogator stand in normaler Tageskleidung vor dem gro?en Bildschirm. „Ich habe den Alarm schon abgeblasen“, sagte er ruhig. „Es ist nur Regen, Rohan, schauen Sie mal. Ein schoner Anblick.“

Wirklich spruhten auf dem Bildschirm, auf dem die obere Halfte des nachtlichen Himmels zu sehen war, unzahlige Funken von Entladungen. Die Regentropfen, die aus gro?er Hohe herabfielen, prallten auf die unsichtbare Schutzhulle des Kraftfeldes, die den „Unbesiegbaren“ wie eine riesige Schussel bedeckte, verwandelten sich augenblicklich in mikroskopisch kleine, feurige Explosionen und tauchten die ganze Landschaft in flimmerndes Licht, ahnlich einem hundertfach verstarkten Nordlicht.

„Die Automaten hatten besser programmiert werden mussen“, sagte Rohan mit schwacher Stimme. Er war nun hellwach, der Schlaf war ihm vergangen. „Ich mu? Terner sagen, da? er die Annihilation nicht einschalten soll. Sonst jagt uns jede Handvoll Sand, die der Wind anweht, mitten in der Nacht hoch.“

„Nehmen wir an, es war ein Probealarm, eine Art Manover“, entgegnete der Astrogator, der unverhofft guter Laune zu sein schien. „Jetzt ist es vier Uhr. Sie konnen wieder in Ihre Kabine gehen, Rohan.“

„Ich habe, ehrlich gesagt, keine Lust dazu. Und Sie?“

„Ich habe ausgeschlafen. Mir genugen vier Stunden.

Nach sechzehn Jahren Weltraum ist von dem alten Schlafrhythmus, wie er auf der Erde war, nichts ubriggeblieben.

Rohan, ich mache mir Gedanken uber die maximale Sicherheit der Forschungsgruppen. Es ist ziemlich umstandlich, uberall Energoboter mitzuschleppen und ein Schutzfeld zu entfalten. Was meinen Sie?“

„Man konnte den Leuten eigene Emitoren mitgeben.

Aber damit ist es auch nicht getan. Wenn man von einer Schutzblase umgeben ist, kann man nichts anfassen… Sie wissen, wie das ist. Und wenn man den Radius des Kraftfeldes zu sehr verkurzt, dann kann man sich eine Verbrennung zuziehen. Ich habe das schon erlebt.“

„Ich habe sogar daran gedacht, keinen an Land zu lassen und mit Hilfe von ferngesteuerten Robotern zu arbeiten“, gestand der Astrogator. „Allerdings ginge das nur fur ein paar Stunden oder fur einen Tag. Aber ich glaube, wir werden langer hierbleiben.“

„Was gedenken Sie also zu tun?“

„Jede Forschungsgruppe erhalt eine Ausgangsbasis, die durch ein Kraftfeld geschutzt ist. Aber die einzelnen Mitglieder mussen uber eine gewisse Bewegungsfreiheit verfugen, sonst kommen wir vor lauter

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