Die Lichtung lag leer und verlassen vor mir. Am Fu? des Turms fand ich Blutflecken und viele Fu?spuren – menschliche Spuren. Und auf dem feuchten Boden entdeckte ich noch etwas anderes: zwei geheimnisvolle Gegenstande, eine sichelformige Scheibe aus Perlmutt, das Symbol der Astarte, und einen goldenen Siegelring, halb im Schlamm vergraben, der die Initialen Matthew Betts’ trug. Und darin lag eine winzige, zusammengerollte grune Schlange und starrte mich mit bosen, truben goldenen Augen an – das Symbol der Bakanzenzi. Auf dem Ruckweg ging ich an Kodagis Hutte vorbei. Ich wollte ihm nur eine einzige, aber sehr wichtige Frage stellen. Ich schob die Schilfmatte beiseite, die vor seiner Tur hing. Er sa? auf dem Boden und blinzelte mich an.
Ich setzte mich zu ihm. »Wei?t du, wo Betts ist?«
Er starrte mich an, und in diesem Augenblick lag ein so unheimliches Wissen in seinen dunklen Augen, da? ich unwillkurlich zuruckwich. »Gestern nacht horte ich die Schreie der Leoparden, Bwana«, sagte er und zuckte mit den Schultern, »und das Triumphgeheul der gro?en Affen. Vielleicht wurde Betts von Wildkatzen zerrissen oder von einem Gorillastamm getotet, der aus dem Kivu-Land zu uns gekommen ist.«
»Affen…«, flusterte ich. »Es war ein Affe, der Lucilia und mich in Sicherheit gebracht hat. Er hat uns unter die Facherpalmen gelegt. Ein Affe…«
»Vielleicht ist der Affe dein Freund, Bwana«, sagte Kodagi sanft. »Vielleicht hat er dich gerettet, weil du gut zu ihm warst, seine Wunden geheilt hast – weil du ihm erlaubt hast, durch dein Zauberinstrument zu blicken und…«
Ich zuckte zusammen. »Was?«
»Nichts, Bwana. Ich habe nur mit mir selbst geredet. Ich rede immer mit mir selbst, wenn es regnet, Bwana. Siehst du? Es hat schon wieder zu regnen begonnen.«
Ich verlie? seine Hutte.
Und heute abend – nun, wo alles vorbei ist, kann ich nicht schlafen. Ich sitze in meiner Hutte, im flackernden Lampenschein, Bleistift und Papier liegen vor mir auf dem Tisch. Lucilia ist in ihre Hutte gegangen. Njo soll bis morgen fruh bei ihr Wache halten. Dann werden wir gemeinsam dieses seltsame Dorf verlassen, Lucilia und ich, fur immer. Wir werden der Damonen der Bakanzenzi und ihrer gra?lichen Religion den Rucken
kehren. Im Missionsdorf Bugani, zwanzig Meilen weiter unten am Flu?, wollen wir uns von einem wei?en Priester trauen lassen, und dann werden wir zur Kuste Weiterreisen.
Ich werde der Regierung Bericht erstatten und behaupten, da? Betts von Leoparden zerrissen worden sei. Aber Lucilia und ich und der alte Kodagi, der auf dem Boden seiner Hutte kauert und weiser ist als wir alle – wir drei wissen es besser.
DR. HUDSONS GEHEIMNISVOLLER GORILLA
von Howard Waldrop
Ich erinnere mich nicht, was nach dem Unfall geschah - bis zu dem Zeitpunkt, als ich meinen Finger ans Ohr legte.
Als ich spurte, wie ein Fell uber meinen behaarten Nacken strich.
Das Fell, das auf meinem Handrucken wuchs.
Spater, nachdem ich versucht hatte, mir die Bandagen vom Kopf zu rei?en, kam von irgendwoher eine Nadel und stach mich. Ich verlor das Bewu?tsein. Und dann wachte ich wieder auf.
Ich lag ganz still. Ich lag auf dem Rucken und beobachtete, wie sich meine Brust hob und senkte. Mein Kopf drohnte – von der Droge, die man mir gegeben hatte. Kleine blaue Kreise wirbelten vor meinen Augen, wie ein Muckenschwarm. Langsam hob ich die Hand, bis ich den Handrucken sah. Er war behaart. Wie ein Pelzhandschuh… Ich strich uber meinen Kopf, fand den Rand der Bandagen uber der Stirn. Meine Stirn war so breit wie die Lenkstange eines Fahrrads.
Ich wandte den Kopf zur Seite. Sogar diese winzige Bewegung verursachte mir solche Schmerzen, da? ich aufschrie und erneut in tiefe Bewu?tlosigkeit versank.
Ich wurde zu spat kommen. Der Film mu?te gleich anfangen. Neonreklame, grelle Buchstaben… Eine feuchte Nacht, rutschige Stra?en… Hinunter die Canyon-Stra?e, um die Kurve, etwas taucht im Licht der Scheinwerfer auf, ein Hund oder eine Katze oder ein Kind. Ein Tritt auf die Bremse, die Michelin-Reifen greifen in den Asphalt, der Triumph sagt Lebewohl zur Stra?e. Segelnde Lichter – sieht hubsch aus vor dem schwarzen Hintergrund der Nacht…
Und sie kommen so rasch naher, da? ich keine Zeit zum Schreien habe…
Ich steige empor aus der Tiefe der Erinnerung und zittere. Ich erwache und merke, da? ich stohne. Das Stohnen ist wie ein Orkan in einem Echoraum. Langgezogen, von Schmerz erfullt.
Der Kopfschmerz ist verschwunden. Wieder blicke ich auf meinen Korper hinab, auf diese fremde, behaarte Gro?e. Mein Korper…
Ich mu? mal. Aber ich kann mich nicht bewegen, kann nicht aufstehen, nicht gehen – wohin? Zur Ecke des Kafigs? Denn ich bin eingesperrt. Der Kafig ist zehn Korperlangen lang und funf breit. In einer Ecke steht ein Trog mit einem Wasserhahn und einem Fu?hebel aus Stahl. Vor dem Kafig ist es dunkel. Es ist Nacht – die Lichter sind ausgeschaltet.
Ich bin verletzt. Ich begreife nicht, was geschehen ist. Ich glaube nicht, da? ich noch traume. So ist es also, wenn man beginnt, den Verstand zu verlieren. Ich habe Angst, und ich versuche zu weinen.
Er starrt mich an, als ich die Augen offne. Jetzt ist es wieder hell, und das Licht tut mir in den Augen weh.
Er sieht aus wie Albert Einstein. Er hat eine gro?e Nase, einen zerzausten wei?en Schnurrbart, einen dunnen Haarkranz, der von einer Schlafe zur anderen reicht, um den Hinterkopf herum. Die Augen sind grau und glanzlos. Solche Grabsteinaugen habe ich bei Bettlern gesehen – und in der Army, in Vietnam, bei einem Burschen, der als einziger einen feindlichen Angriff uberlebt hat. Er ist ubergeschnappt. Auch auf Fotos habe ich solche Augen gesehen – Augen von Fabrikarbeitern aus dem Jahre 1890 – kleine, trube Stahlkugeln.
Doch jetzt flackert ein Licht in diesen grauen Augen auf.
»Tuleg! Tuleg! Er ist wach!«
Die Stimme drohnt so laut, da? ich zusammenzucke. Die blauen Mucken verschleiern mir wieder den Blick, dann verschwinden sie.
Ich versuche mich zu bewegen.
Er beobachtet mich. Er sagt nichts, tut nichts. Er sieht aufmerksam zu, wie ich versuche, meine Finger zu bewegen. Ich kann sie nicht flach aufstutzen, um mich aufzurichten, und ich merke, da? ich sie wie meine normalen Hande zu gebrauchen versuche. Aber das klappt nicht. Denn die Hande, die ich jetzt habe, sind zweimal so gro?.
Irgendwo offnet sich eine Tur. Mein Blickfeld ist immer noch begrenzt – verschwommen. Hinter den Gitterstaben des Kafigs liegt ein Nebel. Licht kommt von irgendwoher, erlischt wieder.
Und dann steht der Assistent vor mir.
Er ist gro?. Ja, er mu? sehr gro? sein. Er sieht aus wie ein Eichenstamm. Er ist muskulos, hat eine Glatze und bewegt sich wie ein Akrobat. Er tragt eine Khakihose. Ich kann nur den Hosenbund sehen. Der Kafig ist erhoht, steht etwa einen Meter uber dem Boden des Raumes. Au?er der Hose hat der Mann ein Unterhemd an, armellos, mit dunnen Tragern. Er wischt sich Pizzaso?e vom Mund, als er hereinkommt. Er sieht mich an, dann kratzt er sich mit der rechten Hand auf der Brust.
»So?« sagte er zu dem verruckten Wissenschaftler.
»Allerdings! Wie Sie sehen, ist die Operation erfolgreich verlaufen, und Sie haben mir dabei geholfen. Ein menschliches Gehirn im Kopf eines Gorillas. Er lebt. Und er wird weiterleben, da bin ich ganz sicher.«
»Mm«, grunzt der Mann und wendet sich ab. »Rufen Sie mich, wenn Sie mich wirklich brauchen.«
Ich hore sie reden. Ich kann es nicht glauben. Was soll ich von diesem Dialog halten? Schlafe ich immer noch?
Ich sehe den wahnsinnigen Wissenschaftler an. Er starrt zuruck, als ware ich aus Gold oder aus Silber, eine Fliegende Untertasse oder das Ungeheuer von Loch Ness.
Der Assistent geht zur Tur hinaus. Er gefallt mir nicht. Und er kommt mir bekannt vor.
Rondo Hatton. Er erinnert mich an Rondo Hatton, den Kriecher. Er braucht nicht erst Akromegalie zu