Gedanken waren nicht bei der Sache, wanderten immer wieder zu Betts, dessen seltsames Benehmen mir Lucilia so anschaulich geschildert hatte.

Ich hatte ein paar Semester Medizin studiert, und ich wu?te, da? es eine simple, keineswegs geheimnisvolle Erklarung fur Betts’ Zustand gab. Der Mann hatte Delirium tremens. Der Rum der Eingeborenen hatte ihn an den Rand des Wahnsinns gebracht. Und doch, wenn ich mich erinnere, wie blitzschnell Kodagi an jenem Abend verschwunden war, wenn ich an den Turm der Astarte denke und an den schrecklichen Kult der Bakanzenzi… Ich wu?te, da? die medizinische Erklarung nicht ausreichte. Es gab andere Dinge, unbekannte, namenlose Dinge im Dunkel des Dschungels. Es gab geheimnisvolle Machte, die Betts in ihre Gewalt gebracht hatten.

Eine Stunde schleppte sich dahin. Es war schon fast Mitternacht, als die Tur aufflog, Ich sprang auf, wirbelte herum, hob beide Arme, um mich vor einem plotzlichen Angriff zu schutzen, und dann lie? ich sie sinken, als Lucilia hereintaumelte.

»Er ist verschwunden!«

»Verschwunden?« wiederholte ich.

»Er war in der Hutte, als ich zuruckkam. Ich horte ihn in seinem Zimmer auf und ab gehen. Ich sa? auf der Veranda und wartete. Ich dachte, er wurde jeden Augenblick herauskommen und mich schlagen. Irgendwann mu? ich eingeschlafen sein – vor Erschopfung. Als ich aufwachte, war er nicht mehr da. Er ist wieder in den Dschungel gegangen, Lyle.«

Ich sagte nichts, wu?te nicht, was ich tun sollte. Sie kam zu mir, blieb ganz nah vor mir stehen und sah verzweifelt zu mir auf. »Lyle«, flusterte sie, »er hat seine Kleider auf dem Bett liegengelassen. Er – er mu? nackt sein.«

»Im Dschungel? Nackt? Gro?er Gott – nein!«

»Es ist wahr, Lyle. Er ist ein Tier. Er…«

Ich schob sie zur Seite. Diese schreckliche Geschichte hatte ihren Hohepunkt erreicht, und ich war entschlossen, die Initiative zu ergreifen. »Bleib hier. Ich mu? ihn finden.«

Sie sank in einen Sessel, und ich legte ihr meine Jacke um die Schultern. Dann lief ich auf die Veranda, wo Njo in einer Ecke lag und schlief. Ich ruttelte ihn wach und schrie ihn wutend an, weil er wie ein Affe auf seinem Lager hockte und mich verwirrt anblinzelte. Endlich schien er zu begreifen und folgte mir, als ich in die Nacht hinausging.

Dichtes Dunkel erfullte die Lichtung. Der Regen hatte aufgehort, dampfende Nebelschleier lagen uber dem Dschungel. Der Himmel war grauschwarz und sternenlos. Aber der Mond hing in der Mitte des finsteren Gewolbes, blutrot, wie eine verschwommene Laterne.

Wir gingen geradewegs zu Betts’ Hutte. Mit Hilfe meiner Taschenlampe fanden wir die Spur des Mannes, an der Hintertur – die Abdrucke nackter Fu?e. Es war nicht schwierig, der seltsamen Spur bis in den Dschungel zu folgen.

Zwanzig Minuten lang gingen wir durch den dunklen Wald, auf einem ausgetretenen Pfad. Dann hatten wir die Lichtung erreicht, auf der sich der schimmernde Turm der Astarte erhob. Wie ein wei?er Zahn ragte er aus schwarzem Gestrupp auf.

Auch am Fu? des Turms fanden wir Abdrucke von Betts’ nackten Fu?en. Die Spur wand sich um das Bauwerk herum, dann war sie plotzlich zu Ende.

Verwirrt, von Zweifeln an meinem eigenen Verstand erfullt, kehrte ich zu meiner Hutte zuruck Ich erzahlte Lucilia, was ich gesehen hatte, und dann uberwand sie muhsam ihre Angst und ging nach Hause. Ich sa? noch lange auf meiner Veranda, wartete und rauchte und stellte mir Fragen, auf die ich keine Antwort fand. Es war die Nacht vor dem Vollmond.

Am nachsten Morgen kam Betts fluchend zu mir. Er erwahnte nicht, was am vergangenen Abend geschehen war. Er war blind vor Wut, weil ein Teil der Wolfsmilchgewachse, die er aus Madagaskar mitgebracht und auf der Lichtung eingepflanzt hatte, herausgerissen worden war. Nun verlangte er von mir, da? ich den Schuldigen fand. Ich konnte nichts unternehmen, und das sagte ich ihm auch. Immer noch fluchend verschwand er wieder im Dschungel.

Bis zum Einbruch der Dunkelheit geschah nichts mehr. Ich horte auch nichts von Lucilia, die aus Angst vor Betts darauf verzichtete, mich zu besuchen. Doch als der Mond am Nachthimmel aufstieg, erschien der Hauptling des Dorfes auf meiner Veranda.

»Ich bin gekommen, Bwana«, sagte er voller Bitterkeit, »um dein gerechtes Urteil zu erbitten. Der wei?e Mann mit den roten Augen ist ein Morder. Er hat zwei Manner getotet.«

Ich hielt mich nicht damit auf, sinnlose Fragen zu stellen. Ich wu?te, was ich meiner Position in diesem Dorf schuldig war, und so steckte ich mir den Revolver in die Halfter und ging zu Betts’ Hutte.

Seine Frau offnete mir die Tur und starrte mich erschrocken an. Sie mu?te den Zorn in meinen Augen gelesen haben, denn ich bemuhte mich auch gar nicht, ihn zu verbergen. Betts sa? zusammengesunken auf einem Stuhl neben dem Tisch.

Ich beschuldigte ihn ohne Umschweife des Mordes an zwei Eingeborenen. Er stand auf und ballte die Hande.

»Und warum hatte ich sie nicht umbringen sollen?« stie? er hervor. »Sie haben meine Gummipflanzen herausgerissen. Ich habe sie dabei erwischt. Bei Gott, ich werde diesen ganzen verdammten Stamm ausrotten, ich werde sie alle toten, wenn sie es noch einmal wagen sollten, sich an meinen Pflanzen zu vergreifen.«

»Sie sind verhaftet«, sagte ich. »Dieses Dorf steht unter meinem Schutz. Ich werde nicht zulassen, da?…«

Er bewegte sich so uberraschend schnell, da? er mich uberrumpelte. Seine Faust landete auf meiner Nase, warf mich gegen die Wand. Ich horte Lucilias Aufschrei, als ich zu Boden sank, und dann sah ich verschwommen, wie Betts aus der Hutte sturmte und in Richtung Dschungel davonlief. Ich rappelte mich auf, wischte mir das Blut aus dem Gesicht und folgte ihm in das Dunkel des Waldes.

Diesmal hatte ich keine Taschenlampe bei mir – nichts, um den Pfad zu beleuchten, der sich vor mir durch das Gestrupp wand. Uber den Baumen strahlte ein heller Vollmond, aber sein Licht konnte die dichten Zweige und Schlingpflanzen nicht durchdringen. Ich stolperte durch den Dschungel, warf mich in undurchsichtiges Dickicht, mu?te immer wieder die Lianen abstreifen, die sich um meine Arme und Beine wanden. Eine halbe Stunde lang kampfte ich mich durch die Finsternis, hielt immer wieder inne, um auf die Schritte des Fluchtlings zu lauschen.

Einmal horte ich einen Schrei – den Schrei einer Frau. In diesem Augenblick erkannte ich die gra?liche Bedeutung des Schreis noch nicht, und so setzte ich meinen Weg unbeirrt fort.

Und dann kam er. Ich konnte mich nicht verteidigen, da er mich von hinten angriff. Plotzlich knackten die Zweige hinter mir, ich horte ein schreckliches Keuchen, wirbelte herum, doch es war zu spat. Ein Wesen sturzte auf mich, das ich nicht als menschlich bezeichnen konnte. Es war ungeheuer kraftig, splitternackt und stank nach Alkohol. Ich fiel auf den feuchten Dschungelboden, ein wei?er Arm pre?te sich auf meinen Hals, dann wurde ich hochgehoben, auf eine schwei?nasse Schulter geworfen. Mit furchterregender Geschwindigkeit wurde ich durch den dunklen Wald getragen. Herabhangende Schlingpflanzen peitschten mein Gesicht, zerkratzten mir die Haut. Blut verschleierte mir den Blick. Ich glaube, da? ich irgendwann das Bewu?tsein verloren hatte.

Was dann geschah, nahm ich nur undeutlich wahr, denn der Schmerz umnebelte meine Sinne. Ich spurte, wie heftige Atemzuge den nackten Korper unter mir hoben und senkten, als er durch die stockdunkle Nacht raste. Plotzlich offnete sich der Dschungel, und das grelle wei?e Licht des Mondes blendete mich. Ich wurde noch hundert Schritte weit getragen und dann auf den Boden geworfen. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich mich um, starrte durch Blutschleier. Ich war an Handen und Fu?en mit Schlingpflanzen gefesselt, lag verkrummt zu Fu?en des geheimnisvollen Turms, in der Mitte der Lichtung, auf der sich die Bakanzenzi zu versammeln pflegten.

Irgend etwas bewegte sich neben mir. Angstlich zuckte ich zusammen und glaubte, meine letzte Stunde hatte geschlagen. Dann sah ich, was sich an meiner Seite bewegt hatte, und mein Atem stockte vor Entsetzen. Da lag Lucilia, brutal gegen den harten Stein geschleudert, keine zwei Schritte von mir entfernt. Sie stohnte vor Schmerzen, denn die Fesseln aus Schlingpflanzen schnitten ihr tief ins Fleisch. Todesangst lag in ihren Augen.

Ich konnte nichts sagen. Mein Mund war voller Blut, meine Lippen waren geschwollen. Benommen starrte ich auf die Lichtung. Der Mond stand tief uber den Oki-Baumen und Facherpalmen. Er war noch nicht hoch genug gestiegen, um den Turm zu beleuchten. Tiefe Schatten lagen uber der Mitte der Lichtung.

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