14 Uhr.
Die Parkpolizei wird von zusatzlichen Einheiten verstarkt, die nun ebenfalls die Fahndung nach Leonard Freibourg, vierzehn Monate alt, aufnehmen. Inzwischen ist auch die Mutter des Babies eingetroffen. Nachdem sie ihrem Mann heftige Vorwurfe gemacht hat, la?t sie ihn stehen, um der Polizei nutzliche Einzelheiten mitzuteilen. Auf das rosa T-Shirt war ein Segelboot aufgedruckt und auf die Strampelhose ein kleines Hundchen. Die Fahndung wird durch die Tatsache kompliziert, da? die Polizei nicht wei?, wie sehr sich das Baby verandert hat. Die Beamten wissen nicht, da? das Baby, nach dem sie suchen, keineswegs das Baby ist, das sie finden werden.
16 Uhr 45.
Leonard ist hungrig. Beflugelt von seiner Abenteuerlust, ist er bis jetzt glucklich und zufrieden gewesen und hat mit einem entlaufenen Neufundlander gespielt, der, in den neuen Relationen betrachtet, ungefahr so gro? war wie sein Lieblingsstoffhund zu Hause. Nun hat der Neufundlander seine letzten Krafte mobilisiert, um sich davonzustehlen, und Leonard erinnert sich, da? er hungrig ist. Was noch schlimmer ist, seine Laune verschlechtert sich, da er sein Mittagsschlafchen versaumt hat. Er beginnt zu wimmern.
16 Uhr 45 und eine Sekunde.
Dilys Freibourg hort das Wimmern und erklart mit der unerschutterlichen Bestimmtheit einer Mutter: »Das ist Leonard.«
Als die Polizisten das Gerausch horen, ziehen sie ihre Regenmantel an. Einer legt den Finger auf den Boden, um zu fuhlen, ob die Erde vibriert. Ein anderer sagt: »Wenn ich Sie ware, wurde ich meinen Regenschirm aufspannen, Lady. Bald wird ein teuflisches Gewitter losgehen.«
»Was fur ein Unsinn!« sagte Mrs. Freibourg. »Das ist doch nur Leonard. Ich wei?, da? er hier irgendwo steckt.« Sie ruft: »Leonard, komm zu Mummy!«
»Ich wei? nicht, was das ist, Lady, aber wie ein Baby hort es sich nicht an.«
»Wollen Sie etwas behaupten, da? ich mein eigenes Kind nicht kenne?« Sie greift nach einem Sprachrohr und halt es an die Lippen. »Leonard, ich bin’s, Mummy! Leonard – Leonard…«
Leonard hort ihre Stimme.
17 Uhr.
Aus einem Hubschrauber der Polizei wird gemeldet, da? sich in einer abgelegenen Ecke des Central Park ein seltsamer heller Schatten bewegt. Weil der Schatten ziemlich gro? ist, bringt ihn niemand in dem Hubschrauber mit dem vermi?ten Freibourg-Baby in Verbindung. Wahrend der aufgeregte Berichterstatter den hellen Schatten per Sprechfunk schildert und die Manner im Kontrollraum grinsen, weil sie das fur einen dummen Witz halten, setzt sich die helle Masse in Richtung Parkmitte in Bewegung.
17 Uhr 10.
In der Umgebung des Hauptspielplatzes entsichern die Polizisten ihre Waffen, als der Larm knackender Zweige die Luft erfullt und die Erde zu beben beginnt. Irgend etwas Gro?es scheint immer naher zu kommen. In den Polizeistationen rings um den Central Park laufen die Telefondrahte hei?, denn die Anwohner, deren Appartments oberhalb der Baumwipfel liegen, haben von ihren Fenstern aus etwas Merkwurdiges gesehen.
17 Uhr 11.
Die Polizisten werfen sich bauchlings auf den Boden und bringen die Waffen in Anschlag. Die Freibourgs klammern sich aufgeregt aneinander. Ein gra?licher Gestank liegt uber dem Park, ein Gerausch wie von einer Sturmbo klingt auf, und dann betritt eine gro?e Gestalt die Lichtung, die Fauste voller Aste und Zweige, und gluckst vor Freude.
Die Polizisten treffen Anstalten, das Feuer zu eroffnen.
Mrs. Freibourg lauft vor ihnen auf und ab, um die riesenhafte Kreatur mit ihrem schmalen Korper zu schutzen.
»Hort auf, ihr Unmenschen! Das ist mein Baby!«
»Ja, das ist mein Sohn Leonard«, sagt Dr. Freibourg. Und im gleichen Augenblick wird seine Freude von Schuldgefuhlen und Verzweiflung verdrangt. »O Gott, die Kultur! Die Beta-Kultur! Und ich dachte, er hatte Kekse gegessen.«
Obwohl Leonard auf dem Weg zu seinen Eltern viele Baume gefallt und zahllose Autos beschadigt hat, mit Mummy und Daddy geht er sehr sanft um.
»Mmmmmmmmmm«, sagte er und hebt erst seine Mutter auf und dann seinen Vater. Die Familie Freibourg umarmt sich, so gut es unter diesen Umstanden geht. Leonard fixiert seinen Vater mit einem eindringlichen, schielenden Blick, den seine Mutter nur zu gut kennt.
»Nein, nein!« sagte sie scharf. »Stell Daddy auf den Boden!«
Leonard stellt seinen Vater ins Gras. Dann packt er einen Polizeisergeanten, mustert ihn interessiert und steckt seinen Kopf in den Mund. Weil Leonard noch nicht viele Zahne hat, ubersteht der Sergeant die Prozedur korperlich unversehrt, aber er brullt und zittert vor Angst.
»Stell ihn sofort runter!« befiehlt Mrs. Freibourg. Dann wendet sie sich an einen Lieutenant. »Holen Sie ihm was zu essen, und dann mussen wir irgendeine Moglichkeit finden, ihn zu wickeln.« Sie zeigt auf eine braune Masse, die an Leonards Fu?gelenk hangt und den schrecklichen Gestank verbreitet. Vorwurfsvoll dreht sie sich zu ihrem Mann um. »Du hast ihn nicht einmal gewickelt. Was hast du ihm denn noch alles angetan, als du mit ihm allein warst?«
»Die Beta-Kultur«, sagte Dr. Freibourg unglucklich. Er ist bla?, und seine Lippen beben. »Sie funktioniert.«
»Dann mach das wieder ruckgangig, und zwar moglichst bald.«
»Naturlich, mein Liebes«, sagte Dr. Freibourg, und seine Stimme klingt zuversichtlicher, als ihm zumute ist. Er geht zu dem Polizeiauto, das darauf wartet, ihn zum Laboratorium zu fahren. »Ich werde die ganze Nacht durcharbeiten, wenn es sein mu?.«
Die Mutter sieht abschatzend zu Leonard hinauf. »Wahrscheinlich wirst du eine ganze Woche brauchen.«
Inzwischen ist ein Lastwagen mit Leonards Abendessen angekommen, ein zweiter hat gro?e Watteballen zum Central-Park transportiert, die als Windel dienen sollen. Die Feuerwehr ist angeruckt, um Leonard mit ihren Schlauchen abzuwaschen. Mit einer Zeltplane wird er notdurftig bekleidet, nachdem man ihn mit vereinten Kraften gewickelt hat. Eine Baufirma hat einen Bretterzaun geliefert, aus dem ein provisorisches Gitterbett gebaut wird. »Malen Sie eine Ente drauf«, sagte Mrs. Freibourg zu den Mannern. »Ich will, da? er glucklich ist.«
Leonard druckt das lebensgro?e Steiff-Nashorn an sich, das die Firma Schwartz zur Verfugung gestellt hat, und schlaft ein.
Seine Mutter halt bis Mitternacht neben dem Gitterbett Wache fur den Fall, da? Leonard aufwacht und weint. Dr. Freibourg hat die fahigsten Wissenschaftler New Yorks in sein Laboratorium geholt. Gemeinsam versuchen sie, ein Mittel zu finden, das der Beta-Kultur entgegenwirkt.
Alle gro?eren Fernsehgesellschaften haben Kamera-Teams in den Central-Park geschickt, um ihr Publikum aus erster Hand informieren zu konnen.
Die bewaffneten Polizeieinheiten haben sich aus der naheren Umgebung des Gitterbetts zuruckgezogen, da Mrs. Freibourg mit Nachdruck darauf bestanden hat. Die Stimmung im Park ist ruhig und zuversichtlich. Trotz der Lichter und der lauten, schweren Atemzuge des Babys wird Mrs. Freibourg immer wieder von Mudigkeit uberwaltigt und nickt ein. Ein paarmal fahrt sie erschrocken aus ihrem unglucklichen Schlummer auf. Aber nach Mitternacht schlaft sie endgultig ein.
5 Uhr.
Unglucklicherweise ist Leonard wie die meisten Babies ein Fruhaufsteher. Er verla?t sein Gitterbett, uberquert die 79th Street und watschelt zum Flu?. Obwohl die Leute im Park erwachen, als das Gitterbett krachend auseinanderbricht und ein Lastwagen zufallig umsturzt, den Leonard sorgfaltig wieder aufstellt, ist es zu spat, um ihn aufzuhalten. Mit seinen Riesenschritten hat er den Park in Sekundenschnelle verlassen. Uber Nacht ist er noch gewachsen, und es erhebt sich die Frage, ob er in ein paar Stunden noch zwischen die Hauser der East 79th Street passen wird.
5 Uhr 10.
Leonard demoliert einen Teil des East River Drive, als er ins Wasser stapft. Er packt ein Taxi, schiebt es auf dem Rest der Stra?e hin und her und brullt: »Rmmmmmmmm, Rmmmmmmm, Rmmmmmmmmm, Rmmmmmmmmm!«
5 Uhr 11.