vor ein paar Monaten gesehen hatte. Ende 1982 war das Schiff neu und vollkommen gewesen, ein schoner Vogel aus glanzendem Metall. Und nun war es ein ha?liches Wrack. Die Kontrollvorrichtungen waren hoffnungslos zerstort. Metalleimer und Kanister lagen auf dem Boden umher, die abgebrochenen Haken an den Wanden verrieten, wo sie gehangen hatten. Und zwischen all den Trummern lag auch die Leiche Jay Ardens.
Kirth nahm eine sinnlose Untersuchung des Mannes vor. Arden war tot. Seine Haut war blau verfarbt, das Genick gebrochen. Rings um die Leiche lagen ein paar in Zellstoff gewickelte Packchen verstreut, die offenbar aus einem zerbrochenen Kanister gefallen waren. Kirth wickelte eines der Packchen aus und hielt einen durchsichtigen Umschlag in der Hand, in dem kleine schwarze Gegenstande steckten, kleiner als Erbsen. Sie sahen wie Samenkorner aus.
Aus einer von Ardens Taschen sah ein Notizbuch hervor. Als Kirth es herauszog, fiel gleichzeitig ein Packchen auf den Boden. Kirth zogerte, dann legte er das Notizbuch beiseite und offnete das Paket.
Etwas fiel in seine flache Hand, und sein Atem stockte.
Es war ein Edelstein. Oval, gro? wie ein Ei. Im Licht der Taschenlampe funkelte das Juwel strahlend hell. An sich hatte es keine Farbe, und doch schien es alle Regenbogenfarben in sich zu vereinen. Sicher war es so kostbar, da? viele Manner ihr Leben dafur wagen wurden. Es war unbeschreiblich schon – und es war nicht von dieser Welt.
Endlich gelang es Kirth, seinen Blick von dem funkelnden Ei loszurei?en.
Er schlug das Notizbuch auf. Das Licht war schwach, und so ging er zu der zerbrochenen Luke. Arden hatte offenbar kein richtiges Tagebuch gefuhrt, sondern sich nur kurze Notizen gemacht. Kirth stellte fest, da? ein paar Seiten herausgerissen waren. Als er das Buchlein hin und her drehte, fielen ein paar Fotos heraus. Aufgeregt hob er sie auf und betrachtete sie.
Die Schnappschusse waren unscharf, aber gewisse Einzelheiten waren deutlich zu erkennen. Ein Foto zeigte einen dicken Barren mit abgerundeten Enden, der sich wei? vor einem schwarzen Hintergrund abzeichnete. Das war ein Bild des Planeten Venus, in einem fernen Teil des Weltraums aufgenommen, was Kirth allerdings nicht wu?te. Er sah sich die anderen Fotos an.
Ruinen, grotesk geformt, fremdartig in ihren Konturen, Steinformationen vor einem dunklen Hintergrund. Doch ein Gegenstand war unverkennbar – das Raumschiff. Kirth blinzelte verwirrt.
Denn das gro?e Schiff wirkte zwergenhaft klein neben den gigantischen Ruinen. Die monstrosen Steingebilde, Uberreste einer fremden alten Stadt, waren hoher als der Tempel von Karnak. So unscharf die Fotos auch waren, sie gaben Kirth doch eine ungefahre Vorstellung von der gewaltigen Gro?e der Strukturen. Er stellte auch fest, da? die Bauten nicht mit irdischen zu vergleichen waren. Nirgends schien es Treppen zu geben, nur geneigte Flachen. Au?erdem fiel ihm eine gewisse Grobschlachtigkeit in der Bauweise auf. Keine kunstlerische Absicht war zu erkennen, wie sie sogar in den fruhesten agyptischen Bauwerken so deutlich spurbar ist.
Fast alle anderen Fotos zeigten ahnliche Szenerien – alle bis auf eines, das Bild eines Blumenfelds. Verwundert drehte Kirth es hin und her. Solche Blumen hatte er noch nie gesehen. Obwohl es nur eine Schwarzwei?aufnahme war, erkannte er doch, da? die Bluten ungewohnlich schon waren – von einer bizarren, uberirdischen Schonheit.
Kirth begann in dem Notizbuch zu blattern. Viel war den unvollstandigen Aufzeichnungen nicht zu entnehmen, aber doch immerhin etwas.
»Die Venus scheint ein toter Planet zu sein«, las er. »Man kann die Atmosphare einatmen, aber offenbar existiert auf diesem Planeten nur pflanzliches Leben. Die Blumen, die wie Orchideen aussehen, wachsen uberall. Der Boden unter ihnen ist ubersat mit ihrem Samen. Ich habe viele Samenkorner eingesammelt…
Ich habe das Juwel in einer der Ruinen gefunden und noch eine andere Entdeckung gemacht. Auf der Venus mu? einmal eine intelligente Rasse gelebt haben. Die Ruinen selbst weisen darauf hin. Aber die neblige, feuchte Atmosphare und der ewige Regen haben vermutlich alle Schriften, die diese Rasse hinterlassen hat, langst zerstort. Zumindest glaubte ich das bis zu diesem Morgen, als ich in einer unterirdischen Kammer ein Basrelief fand, halb im Schlamm vergraben.
Ich brauchte zwei Stunden, um den Schmutz abzuwischen, und auch dann war noch nicht viel zu sehen. Aber die Bilder sind aufschlu?reicher, als es irgendwelche Schriftzeichen der alten Venus-Sprache sein konnten. Ich erkenne auf einigen Bildern ganz deutlich den Stein wieder, den ich gefunden habe. Offenbar hat es fruher viele solcher kunstlich hergestellter Juwelen gegeben. Und vermutlich hatten sie au?er ihrem materiellen Wert noch eine andere Bedeutung.
So unglaublich es scheinen mag – es sind Eier. Wenn ich die Basreliefs richtig interpretiere, schlupfen unter der richtig dosierten Einwirkung von Hitze und Sonnenlicht Lebewesen aus diesen Eiern…«
Kirth fand noch weitere Aufzeichnungen in dem Notizbuch, aber sie waren technischer Natur und interessierten ihn nicht. Nur eine einzige Eintragung war noch wichtig, denn aus ihr ging hervor, da? Arden ein detailliertes Tagebuch gefuhrt hatte. Kirth durchsuchte das ganze Raumschiff, und schlie?lich fand er das Tagebuch. Aber es war vollig verkohlt, und die Aufzeichnungen waren unleserlich.
Er inspizierte die diversen Behalter. Einige waren leer, andere waren mit Asche gefullt und verstromten einen unangenehmen Brandgeruch, als er sie offnete. Anscheinend hatte Arden von seinem Flug durch den Weltraum nichts weiter mitgebracht als das Juwel und die Samenkorner.
Jared Kirth war zwar nicht auf den Kopf gefallen, aber auch nicht intelligent im eigentlichen Sinn des Wortes. Er war auf einer Farm in New England geboren worden und hatte sich muhsam und beharrlich nach oben gekampft, wobei er stets bestrebt gewesen war, seine Rechte wahrzunehmen. Nun besa? er ein paar Farmen und einen kleinen Dorfladen und konnte sich einmal im Jahr einen kurzen Urlaub leisten.
In diesem Jahr hatten ihn weder seine Frau noch seine Tochter begleitet, als er zum Angeln in die Berge gefahren war. Er war ein hochgewachsener, hagerer, grauhaariger Mann von funfzig Jahren, mit kalten Augen und schmalen Lippen, die meist verkniffen zusammengepre?t waren, als musse er sich standig gegen irgend etwas zur Wehr setzen.
In Anbetracht seines bisherigen Lebensweges und seiner Wesenszuge ist es kaum verwunderlich, da? Kirth sich nun uberlegte, wie er seine Entdeckung zu seinem Vorteil nutzen konnte. Er wu?te, da? fur das Raumschiff kein Finderlohn zu erwarten war, denn man nahm an, da? es im luftlosen Raum verlorengegangen war und nie mehr zur Erde zuruckkehren wurde. Wenn er irgendwelche Schatze an Bord gefunden hatte, so hatte er sie mit dem Recht des Finders fur sich beansprucht. Und da er au?er den Samenkornern und dem Juwel nichts weiter gefunden hatte, steckte er beides in die Tasche und verlie? das Wrack.
Da das Raumschiff in einer unbewohnten Wildnis abgesturzt war, wurde man es nicht so bald finden. Kirth hatte auch Ardens Notizbuch mitgenommen, um es bei passender Gelegenheit zu vernichten. Obwohl er skeptisch war, dachte er immer wieder an Ardens Behauptung, das Juwel sei ein Ei. Fur einen Mann, der mehrere Farmen besa?, ergab sich daraus nur eine einzige Schlu?folgerung: Wenn man das Ei ausbrutete, konnte man vielleicht ein interessantes Ergebnis erzielen – moglicherweise sogar einen gewissen Profit.
Kirth beschlo? seine Ferien vorzeitig zu beenden. Zwei Tage spater kam er zu Hause an. Aber dort blieb er nicht, sondern er ubersiedelte auf eine seiner Farmen, und diesmal nahm er Frau und Tochter mit.
Hitze und Sonnenlicht… Ein elektrisch erwarmter Brutkasten ohne Deckel war die logische Losung. Nachts bestrahlte Kirth das Ei mit einer Sonnenlampe. Geduldig wartete er.
Sicher stellte auch das Ei an sich einen gewissen Wert dar. Vielleicht hatte er es teuer an irgendeinen Juwelier verkaufen konnen. Aber er hatte andere und, wie er glaubte, bessere Plane. Die Samenkorner von der Venus hatte er bereits gesat.
Und in dem seltsamen Juwel begann sich fremdes Leben zu regen. Hitze erwarmte das Ei – eine Hitze, die auf der dusteren, verregneten Venus nicht mehr existierte. Sonnenenergie wirkte auf das Juwel ein, im Verein mit kosmischen und anderen Strahlen, die seit Aonen keinen Zugang mehr zur Venus gefunden hatten, weil ihnen eine Wolkenschicht den Weg versperrt hatte. Und diese geballten Energien bahnten sich einen Weg in das Herz des Juwels und setzten dort gewisse Krafte in Bewegung. Leben entstand – verbunden mit einem dumpfen Bewu?tsein.
Und da lag der Besucher aus einer anderen Welt auf dem schmutzigen Stroh eines Brutkastens. Vor unbekannten Zeitaltern war er geschaffen worden, zu einem bestimmten Zweck. War vernichtet worden – und nun ins Leben zuruckgekehrt.
Kirth sah zu, wie das sonderbare Wesen aus dem Ei schlupfte. Zu Mittag stand er vor dem Brutkasten, nagte an seiner alten Pfeife, kratzte sich die grauen Stoppeln am Kinn. Seine Tochter hatte sich zu ihm gesellt, ein mageres Madchen von dreizehn Jahren mit fahler Haut und blondem Haar.