Denn noch war das Reptil nicht tot. Obwohl es sich nicht mehr bewegen konnte, obwohl die Lebenskraft rasch aus seinem Korper wich, versuchte es immer noch die monstrose Pfote auszustrecken.
Ich mu? ihnen meine Nachricht ubermitteln, dachte es dumpf. Ich mu? ihnen von der Seuche erzahlen, die alles Leben auf der Venus zerstort hat. Ich mu? ihnen von dem Virus erzahlen, den die Winde geboren haben und gegen den es keinen Schutz gibt. Aus dem Weltraum kamen sie auf die Venus, die Keime, aus denen sich Blumen entwickelten. Und jetzt wachsen diese Blumen auch auf der Erde. In einem Monat werden die Blutenblatter fallen, und dann werden die Viren in den Blumen entstehen. Und dann wird alles Leben auf Erden vernichtet werden, wie damals auf der Venus, und auf diesem Planeten wird nichts mehr existieren au?er den strahlend hellen Blumen und den Ruinen der Stadte. Ich mu? sie warnen. Sie mussen die Blumen vernichten, bevor sie ihren Blutenstaub verstreuen…
Die Nebel wurden immer dichter. Das Monstrum erschauerte, wand sich in Krampfen, dann blieb es reglos liegen. Es war tot.
In einem Dachgarten standen ein Mann und eine Frau und sahen aus der Ferne zu.
»O Gott, was fur ein schreckliches Ding!« sagte der Mann. »Sieh doch, wie es daliegt. Wie der Teufel personlich…« Schaudernd wandte er sich ab.
Die blasse Frau nickte. »Es ist kaum zu glauben, da? auf der Welt etwas so Schreckliches existieren kann – und da? sie uns gleichzeitig etwas so Schones schenkt…«
Ihre schlanken Finger streichelten die samtigen Bluten, die an ihrem Kleid steckten. In uberirdischer Schonheit gluhte die Venusblume im Sonnenlicht.
Und in ihrem Kelch bildete sich bereits der Blutenstaub.
DIE HOLLENBRUT
von P. Schulyer Miller
Die Pedanten faselten von Wortklauberei und Ruckendeckung und schlugen nach eingebildeten Mucken. Nichts ist unmoglich in der Mathematik. Nur unwahrscheinlich. Nur sehr unwahrscheinlich.
Nur unglaublich unwahrscheinlich.
Die Erde ist zum Beispiel unwahrscheinlich. Plane ten sollten nicht logischerweise existieren, ebensowenig wie das Leben auf den Planeten. Das Gleichgewicht der Krafte ist zu delikat. Die Ursprunge sind auf viel zu komplizierte Weise zufallig. Und doch existiert die Erde – und auf ihr gibt es Leben.
Wir sehen die Erde, und wir sehen das Leben. Oder wir sehen irgend etwas Unwahrscheinliches und nennen es Erde und Leben. Wir vergessen die Wahrscheinlichkeit und die Mathematik und verlassen uns auf unsere Sinne, auf unsere Vernunft. Wir folgen unserem gesunden Verstand, und dieser sieht die Erde und das Leben, und in irgendeinem dunklen Spiegel sieht er die Menschen. Aber die Menschen sind au?erst unwahrscheinlich.
Der Schlamm gehort den Wurmern, und die Wurmer gehoren den Fischen. Die Fische den Froschen und die Frosche den Eidechsen. Die Eidechsen den Ratten und die Ratten den Menschen. Und die Menschen gehoren aufgeblahten, futuristischen Gehirnen. Gehirne sind unwahrscheinlich. Die Gehirne und die Sinne und uber allem der Verstand. Nicht unmoglich, denn nichts ist unmoglich, aber so unwahrscheinlich, da? nirgendwo auf all den unwahrscheinlichen Sternen, nirgendwo in diesem unwahrscheinlichen leeren Raum zwischen den Sternen Raum ist fur andere Erden, fur andere Ratten und Menschen.
Nirgendwo – Leben.
Ein unwahrscheinlicher Mensch ist betrunken. Ein Mensch mit unwahrscheinlich karottenrotem Haar und einer unwahrscheinlich gro?en Nase. Und diese Nase ist verschnupft. Mit einer Viertelgallone Fusel will er der au?ersten Unwahrscheinlichkeit dieses Schnupfens und dieser Nase beikommen – und der Welt im allgemeinen. Unter den Fu?en hat er das Seitenruder eines Flugzeugs, zwischen den Knien den Steuerknuppel, und die chilenischen Anden da unten sehen unwahrscheinlich gigantisch aus.
Ein Mann hat sich vollaufen lassen. Und zufallig wird er Zeuge des Unwahrscheinlichen.
Freitag, 25. Juli.
James Arthur Donegan, um die drei?ig Jahre alt, rothaarig, Amerikaner, war Zeuge des Unwahrscheinlichen geworden.
Eine Klippe, hart und quarzwei?, schmolz plotzlich dahin wie ein monstroser Fetthaufen, von dicken Goldadern durchzogen. Reines Gold, gelbschimmernd im Sonnenlicht der Anden. Muttergold, eingebettet in ein weiches Nest, im schimmernden Fels. Medusen von goldener Faszination. Gold, in traumerischen Arabesken, die nackte Felswande schmucken, im wei?en Quartz, der langsam zerflie?t, zu einem monstrosen Morast.
Jim Donegan setzte die Flasche an die Lippen, dann lenkte er sein Flugzeug weg von diesem Wahnsinn. Jim Donegans Gehirn drohnte vom Kartoffel-Whisky und vom grellen Schein der dicken Goldadern. Und mitsamt dem Gold schmolz eine Quarzklippe dahin, Stein, der sich in Pudding verwandelte – Sinn, der zu Unsinn wurde…
Jim Donegan nahm noch einen kraftigen Schluck und beschlo?, das alles zu vergessen. Er landete in Santiago und verschwand.
Ein unwahrscheinlicher Mensch ist nuchtern. Tausend unwahrscheinliche Manner und tausend noch viel unglaublichere Frauen, und nur hundert davon sind betrunken. Weitere hundert sind stockbesoffen. Und ein halbes Dutzend unwahrscheinlicher Manner und Frauen, betrunken oder nuchtern, sehen und horen und fotografieren das Unwahrscheinliche, das die Walfische auffri?t.
Mittwoch, 20. August.
Richard Chisholm, funfzig Jahre alt und grauhaarig, Brite, hat das Unwahrscheinliche in sein Logbuch eingetragen, hat ein faltiges Gro?hirn aufgeschreckt, das daran gewohnt ist, Unwahrscheinlichkeiten zu erforschen, auf ungewohnliche Weise.
Der Zoologe Heinrich Wilhelm Sturm lehnte mit glanzenden Ellbogen an einer glanzend polierten Reling und starrte aufs rotgluhende Meer hinaus. Seine Tochter Maria Elsa Sturm lehnte und starrte neben ihm. Auch der Sekretar Rudolf Walter Weltmann lehnte und starrte, aber nicht auf die Wellen.
Die Wellen platscherten sanft an der Flanke des gro?en Schiffes vorbei. Wellen, die anschwollen und ungebrochen herabsanken, mit der lustlosen Gleichgultigkeit alter Traume. Und im Warmenetz der Sonne gefangen, eingebettet in die weichen Wellen, badeten zwei Dutzend Wale, walzten sich spielerisch umher, vor den muden Augen des Zoologen. Das leuchtende Meereswasser wurde truber und kuhler. Die Farben verbla?ten. Das strahlende Grun verwandelte sich in apfelgrune Jade, die Jade in Chrysopras, schlie?lich in beryllfarbene Gischt. Das Wasser zerteilte sich in unebenma?ige, glei?ende Hugel, die seltsam fest aussahen. Und der Zoologe Heinrich Sturm stie? einen deutschen Fluch aus, als die zwei Dutzend schlafriger Wale plotzlich mit dem Tod kampften.
Viele Morgen leerer See verwandelten sich in einen zitternden Brei. Graue Wolken spritzten von den Wellen hoch und sanken wieder hinab. Gra?liche, gierige Wogen erschauerten, glatteten sich dann wieder auf der Wasserflache. Und die zwei Dutzend Wale waren gefangen, gigantische, dicke Elritzen, die in einem modernden Pudding schlingerten. Titanische, ebenholzschwarze Mikroben, die in einer schwammigen Schussel festsa?en. Ertrunken in dem graugrunen Schlamm, der in ihre Schlunde drang, ihre Nasenlocher verstopfte. Erwurgt – erstickt…
Verschluckt, von der zahen Masse verschlungen…
Es war so unwirklich. Atemblasen, die aus dem Schlamm aufstiegen, ein leises Gurgeln, ein vereinzelter Seufzer, als eine riesige Schwanzflosse ein letztesmal aus der graugrunen Masse ragte, die sich im Schatten des Schiffes rasch verdunkelte.
Ein letzter saugender Seufzer – das Schwingen einer machtigen glanzenden Schwanzflosse, die sich wie ein schwarzes Y vom Himmel abhob, ein Blubbern, als wurde ein halbes Tausend ertrinkender Menschen nach Atem ringen. Und der Zoologe Heinrich Sturm starrte durch seine dicke schwarze Sonnenbrille auf einen graugrunen Schlammtropfen, der an seinem Finger hing, auf die Schlammspritzer an Deck zu seinen Fu?en und gab zufrieden einen deutschen Fluch von sich.
Ein Toter lag da. Und ich war dabei:
Freitag, 22. August.