Nicholas Svadins Zustand ist schon seit drei Tagen sehr ernst, und die ganze Welt blickt auf ihn.

Nicholas Svadin, Diktator von Mitteleuropa, liegt wachsbleich unter aufgehauften Kalla-Bluten, unter der Augustsonne von Budapest. Nicholas Svadin, der Sohn des slawischen Metzgers und Enkel des deutschen Fuhrers, liegt da, mit sechs Kugeln im Schadel und in der Brust. Nicholas Svadin, dessen Herrschergenie die Loyalitat und nicht den Ha? der Nationen gewonnen, dessen Gier sich vom Konflikt zwischen Sprachen und Rassen genahrt, dessen Schatten uber Europa gelegen hat, von der Wolga bis zum Rhein. Nicholas Svadin, der ganz Europa tyrannisiert hat, au?er den zankischen Mittelmeerlandern und der angloskandinavischen Konfoderation, die sich kuhl und abwartend verhielt.

Nicholas Svadin, gestorben unter der Augustsonne, und ganz Europa erzittert unter den Schwingen des Chaos, die sich rasch entfalten.

Und vier Manner regierten die Welt. Und vier Manner furchteten sich.

Sie standen da, so wie sie dagestanden hatten, als Svadins drohnende Stimme in einem blutigen Husten erstickte, als sein gro?er Korper, mit ausgebreiteten Armen, ein verzweifeltes Sinnbild des Kreuzes, wie ein ranziger Fetzen auf den wei?en Stufen der Friedenshalle zusammenbrach. Sie standen da, und die Welt lag vor ihnen wie der tote Meister, und vor ihren Augen dammerten Zukunftsvisionen.

Vier Manner waren auf der Welt – der bartige blonde Rasmussen, der Premierminister von Anglo- Skandinavien mit den Stahlaugen, neben ihm Nasuki, klein und schlau, mit der althergebrachten Verschlagenheit des Ostens, der aalglatte Gonzales, der olivenhautige Erbe des neolateinischen Diktators, der Amerikaner Moorehead, schlank und wei?haarig, der alteste der vier.

Vier Manner unter der Augustsonne, im betaubenden Duft der Totenlilien, und ich mit meiner Kamera… Wir funf markierten den langsamen Fortgang der Zeit.

Ich fotografierte die vier, wie sie neben der Bahre standen, ich fotografierte die Prozession der Trauernden, die in schwarzen Rudeln durch die stillen Stra?en von Budapest stromten. Ich fotografierte die Priester, die herankamen, mit dem feierlichen Ernst der alteren Generation.

Und ich fotografierte die Wiederauferstehung des Toten.

Nicholas Svadin erhob sich von seiner Bahre und starrte die Manner an.

Nicholas Svadin erhob sich und sein wachsbleiches Gesicht mit dem massigen Kinn und der blaulichen Einschu?narbe zwischen den Augen. Nicholas Svadin schwang die dicken steifen Beine uber den Rand der Bahre, und dann stand er allein da, lebendig, starrte die Menschheit an und sprach vier Worte – einmal, ganz langsam, dann noch einmal.

»Ich – bin – Nicholas – Svadin.«

»Ich – bin – Nicholas – Svadin!«

Und die Menschheit hatte einen Gott gefunden.

Svadin war ein Mensch gewesen, geboren von einer Frau, hatte Manner und Frauen gezeugt. Er war der gro?te Mensch, den die Erde gekannt hatte. Sein Genie diente der Menschheit, und er umschlo? die Menschheit mit seinen liebevollen Armen. Er war der Vater der Welt.

Svadin war ein Mann, war getotet worden, wie Menschen getotet werden, aber am dritten Tag war er auferstanden von seinem Totenbett und hatte seinen Namen laut in die Welt hinausgeschrien.

Svadin, der Mann, war zu Svadin, dem Gott, geworden.

Ich fotografierte die Weltversammlung in Leningrad, als Svadin alle Wissenschaftler der Erde zusammenrief, als er ihnen den Planeten ubergab, damit sie ihn nach ihrem Willen gestalten konnten. Ich fotografierte die Versammlung in der amerikanischen Kongre?halle, als die Herrscher der Welt ihre Volker seinen unblutigen Handen ubergaben und sie wieder empfingen, wiedergeboren in einer neuen Ordnung der Demokratie. Ich sah zu, und auch meine Kamera sah zu, wie die Welt sich in diese neu geformten Bahnen der Zivilisation ergo?, und ich fand es gut so. Und dann, weil die Menschen Menschen sind und auch ein Goldenes Zeitalter allmahlich seinen Reiz verliert, wandte ich mich anderen Dingen zu:

Einer Tiefsee Taucherkugel, die in den dunklen Fluten von ihrem Kabel gerissen wurde.

Fischereiflotten, die nach Wochen und Monaten auf hoher See mit leeren Laderaumen zuruckkamen.

Aalen, die ihre alten Jagdgrunde verlassen hatten. Lachsen, die sich nur dutzendweise vermehrten, wo einst ganze Strome von ihren lustvollen Korpern uberquollen.

Ein Frachtschiff, mit Rindern an Bord, die mitten im Atlantik verloren gingen – spurlos.

Zwei Mannern und einem Madchen, deren Namen auf den Passagierlisten aller Schiffe standen, die das Unglucksgewasser des Nordatlantik uberquerten.

Und aus dem Suden kamen vage Geruchte von einem Gott.

Die sonnenuberfluteten Strande Miamis waren schwarz von menschlichen Insekten. Hei?e Rhythmen durchpochten die Tropennacht von Miami, die Tanzer wiegten sich im Takt der Musik. Maria Elsa Sturm wiegte sich in den starken, jungen Armen Rudolf Weltmanns und lachte mit ihren nachtblauen Augen und den vollen Lippen. Aber Heinrich Sturm stand allein in der Sternennacht und starrte nachdenklich auf das schlafende Meer. Maria badete in der sengenden Hitze der Mittagssonne, eine schlanke, goldbraune Flamme neben ihrem dunkleren, gutaussehenden Begleiter, aber die alten, glanzlosen Augen Heinrichs starrten vorbei an ihrer Schonheit hinaus aufs Meer.

Lange Wellen fluteten trage aus der fernen Blaue des Golfstroms heran, schwollen an, sanken in sich zusammen, schwollen wieder an, uberspulten, von lauwarmem wei?em Schaum gekront, den Sandstrand. Frohliches Gelachter klang auf. Regenbogenfarben spielten in kaleidoskopischer Uppigkeit unter der goldenen Sonne. Eine Welle nach der anderen rollte vom blauen Horizont heran, hob sich und fiel herab. Und dann kam eine Welle, die nicht in sich zusammensank.

Sie kam, so wie die anderen gekommen waren, langsam, blaugrun und glei?end im Sonnenlicht. Sie hob und senkte sich in der unablassigen Flut des Atlantik, hob sich vor der wei?en Kurve der Bucht. Sie war wie ein Wasserwall, meilenlang, rauschte dem Strand entgegen mit der Laufgeschwindigkeit eines Menschen. Die Badegaste ergriffen die Flucht, doch sie wurden gefangen.

Helle Farbpunkte drehten sich in tragen Wasserwirbeln. Wasserzungen leckten uber den warmen Sand, lie?en ihn na? und knochenwei? zuruck, flossen langsam zuruck in das monstrose Ding, das da in der hei?en Sonne stand.

Es war ein meergruner Grabhugel, ein meilenlanger Berg aus grunem Schlamm, Apfeljadegrun, chrysoprasgrun, graugrun wie Flintenstein. Es war ein katastrophales Ding, das man weder aus der Bibel noch aus der Menschheitsgeschichte kannte, ein Ding, das wie eine riesige Pestbeule aus Meeresschleim uber dem warmen wei?en Strand von Miami lag, der nun schwer war von laufenden, schreienden Menschen – ein Ding, das Hunger hatte und fressen mu?te.

Helle Fetzen drehten sich in seinen tragen Wasserwirbeln, die aus seinen eisigen Tiefen hervorgedrungen waren. Fragmente wei?er Knochen, kalkwei? und gezackt, wurden auf den Sand gespuckt. Das Ding streckte Arme aus, die wie hei?es Wachs heranflossen, wissend, hungrig. Adern durchzogen diese Arme wie Bander aus wei?er Jade in gruner Transparenz, wurden blutenrosa, rosa, purpurrot.

Maria Elsa Sturm lag im wei?en Sand, unter der warmen Sonne, in den starken Armen des sonnengebraunten Rudolf Weltmann, vor den blicklosen Augen Heinrich Sturms. Der Zoologe Heinrich Sturm erwachte, kehrte in die Gegenwart zuruck, mit Entsetzen in den Augen, im Gehirn, in seinem ganzen Sein. Der Zoologe Heinrich Sturm sah die Zungen des grunen Meeresschleims uber den knochenwei?en Sand von Miami lecken, sah, wie sie zuckende Stuckchen menschlichen Lebens verschlangen, tote Dinge ausspuckten, die unverdaulich waren. Der Zoologe Heinrich Sturm sah dieses unwahrscheinliche Ding, hoch wie ein Berg, uber den goldbraunen Korper Maria Sturms herfallen, sah, wie es die dunkelbraune Gestalt Rudolf Weltmanns aufleckte, er sah den Meereswall anschwellen, zucken, durchfurcht von gierigen inneren Stromungen. Er sah ihn abebben, schlafrig zusammensinken, die Beute genie?en. Er sah den hellroten, zerrissenen Badeanzug, den Maria Sturm getragen hatte, aus grunen Tiefen hochwirbeln, auch die schwarze Badehose Rudolf Weltmanns. Er sah zwei wei?e, nackte Schadel auf der glitzernden Oberflache des Dings schaukeln, bis sie auf den Haufen abgenagter Gebeine flogen.

Die Welle, meilenlang und berghoch, die Welle, die keine Welle mehr war, lag da, vollgestopft mit jungem Fleisch, getrankt mit warmen Blut. Meilenlang und berghoch, und kleine Insektenmyriaden von Menschen rannten davon, schrien, wurden festgehalten, starben. Doch dann rottete sich die Menschheit zusammen, und die kleinen Waffen der Menschen griffen das riesige, satte, unzerstorbare Ding an. Bomben fielen herab wie Samenkorner aus der Hand eines Samanns, regneten als harmlose Tropfen aus dem blauen Himmel herunter. Ein schrecklicher

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