Ihr Groll gegen die altere der beiden Frauen kam in ihrer Stimme deutlich zum Ausdruck, und ich konnte begreifen, welch harter Schlag es fur sie gewesen sein mu?te, da? ihr Sohn sich in die Tochter ihrer Rivalin verliebt hatte.
Mme. Renauld fuhr fort, indem sie sich an den Untersuchungsrichter wandte: »Ich hatte vielleicht mit meinem Gatten daruber sprechen sollen, aber ich hoffte, da? es nur ein Jugendflirt sei, der um so schneller vorubergeht, je weniger man ihn beachtet. Nun mache ich mir Vorwurfe wegen meines Schweigens, aber mein Mann schien, wie ich schon erwahnte, so bekummert und abgeharmt, im Gegensatz zu seiner sonstigen Art, da? ich hauptsachlich darauf bedacht war, ihm keinen neuen Anla? zu Sorgen zu geben.«
M. Hautet nickte. »War Ihr Vater erstaunt«, fuhr er fort, »als Sie ihm Ihre Absichten bezuglich Mademoiselle Daubreuil mitteilten?«
»Er war ganz niedergeschmettert. Dann befahl er mir entschieden, mir jeden derartigen Gedanken aus dem Kopf zu schlagen. Er wurde niemals seine Zustimmung zu dieser Ehe geben. Erbittert fragte ich, was er gegen Mademoiselle Daubreuil einzuwenden habe. Darauf konnte er keine Antwort geben, sprach aber in beleidigenden Ausdrucken von dem Geheimnis, das uber dem Leben von Mutter und Tochter schwebe. Ich antwortete, da? ich Marthe heiraten wolle und nicht ihre Vergangenheit, doch er lehnte entschieden ab, uber diese Sache irgendwie weiter zu verhandeln. Der ganze Plan musse fallengelassen werden. Seine Ungerechtigkeit machte mich toll - besonders da er selbst sich besondere Muhe zu geben schien, den Daubreuils Aufmerksamkeiten zu erweisen und immer selbst den Anla? dazu gegeben hatte, da? man sie zu uns bat. Ich verlor den Kopf, und wir gerieten scharf aneinander. Mein Vater erinnerte mich daran, da? ich vollstandig von ihm abhangig sei, und als Antwort darauf mu? ich wohl die Bemerkung gemacht haben, da? ich nach seinem Tode-«
Poirot unterbrach ihn durch eine schnelle Frage: »Ihnen war also der Inhalt seines Testamentes bekannt?«
»Ich wu?te, da? er mir sein halbes Vermogen vermacht hatte und da? die andere Halfte auf Lebensdauer meiner Mutter gehorte, um nach deren Ableben auch an mich zu fallen«, erwiderte der junge Mann.
»Setzen Sie Ihre Erzahlung fort« sagte der Untersuchungsrichter.
»Immer scharfere Worte fielen, bis mir plotzlich klar wurde, da? ich Gefahr lief, meinen Zug nach Paris zu versaumen. Ich mu?te, noch immer kochend vor Wut, zur Station laufen. Doch unterwegs beruhigte ich mich bald. Ich schrieb Marthe, was sich ereignet hatte, und ihre Antwort beruhigte mich noch mehr. Sie schrieb mir, da? wir nun standhaft zu bleiben hatten, woran schlie?lich jeder Widerstand scheitern musse. Unsere gegenseitige Zuneigung sollte erprobt und erwiesen werden, und wenn meine Eltern die Uberzeugung gewonnen hatten, da? es sich nicht um eine oberflachliche Verliebtheit meinerseits handle, wurden sie sich zweifelos erweichen lassen. Naturlich erwahnte ich ihr gegenuber nicht den Grund, den mein Vater als Hauptursache gegen die Verbindung ins Treffen gefuhrt hatte. Ich sah auch bald ein, da? ich meine Sache nicht mit Gewalt fuhren durfte. Mein Vater schrieb mir mehrere liebevolle Briefe nach Paris, die unsere Verstimmung oder deren Ursache nicht beruhrten, und ich beantwortete sie in gleichem Ton.«
»Konnen Sie diese Briefe vorweisen?« fragte Giraud.
»Ich bewahrte sie nicht auf.«
»Das macht nichts«, meinte der Detektiv.
Renauld blickte ihn einen Augenblick an, aber der Untersuchungsrichter fragte weiter: »Nun zu einer anderen Sache, ist Ihnen der Name ,Duveen' bekannt, Monsieur Renauld?«
»Duveen«, sagte Jack. »Duveen.« Er neigte sich und hob langsam das Papiermesser auf, das er zu Boden geworfen hatte. Als er den Kopf wieder hob, hielten seine Augen den lauernden Blicken Girauds stand. »Duveen? Nein, nicht da? ich wu?te.«
»Wollen Sie diesen Brief lesen, Monsieur Renauld? Und uns dann sagen, ob Sie eine Ahnung haben, wer die Person sein konnte, die ihn an Ihren Vater schrieb?«
Jack Renauld nahm den Brief, las ihn durch, und das Blut stieg ihm in die Wangen. »An meinen Vater?« Die Erregung und Entrustung in seiner Stimme waren unverkennbar.
»Ja, wir fanden ihn in der Tasche seines Mantels.«
»Wei? -« Er zogerte und warf einen schnellen Blick auf seine Mutter.
Der Richter verstand ihn. »Bis jetzt - nicht. Konnen Sie uns irgendeinen Anhaltspunkt betreffs der Schreiberin geben?«
»Ich habe keine Ahnung.«
M. Hautet seufzte: »Ein sehr dunkler Fall. Aber nichtsdestoweniger konnen wir, wie ich glaube, den Brief aus dem Spiele lassen. Was denken Sie, Monsieur Giraud? Er scheint kein Licht in die Sache zu bringen.«
»Naturlich nicht«, stimmte Giraud nachdrucklich bei.
»Und dabei«, seufzte der Untersuchungsrichter wieder, »sah der Fall am Anfang so schon und einfach aus.« Er fing einen Blick Mme. Renaulds auf und errotete verwirrt. »Ach ja«, hustelte er und durchstoberte die Papiere auf dem Tisch. »Warten Sie, wo blieben wir stehen? Richtig, bei der Waffe. Ich furchte, das wird Sie trub stimmen, Monsieur Renauld. Ich horte. Sie schenkten sie Ihrer Mutter. Sehr traurig - hochst bedauerlich ... «
Jack Renauld beugte sich vor. Sein Gesicht, das sich wahrend der Durchsicht des Briefes heftig gerotet hatte, war nun totenbleich.
»Wollen Sie sagen - da? mein Vater durch ein Papiermesser, das aus einem Flugzeugteil angefertigt war - da? mein Vater damit ermordet wurde? Aber das ist ja ganz unmoglich? Mit so einem kleinen Ding!«
»Leider, Monsieur Renauld, ist es nur zu wahr! Eine ideale kleine Waffe, furchte ich, dieses Papiermesser. Scharf und leicht zu handhaben.«
»Wo ist es? Kann ich es sehen? Steckt es etwa noch in -der Wunde?«
»O nein, es wurde entfernt. Sie wollen es sehen? Um ganz sicher zu sein? Das ware vielleicht ganz gut, obwohl Ihre Frau Mutter es schon identifizierte. Doch - Monsieur Bex, durfte ich Sie bemuhen?«
»Selbstverstandlich. Ich hole es gleich.«
»Ware es nicht besser, Monsieur Renauld in den Schuppen zu fuhren?« empfahl Giraud ruhig. »Er wird wahrscheinlich den Wunsch haben, die Leiche seines Vaters zu sehen.«
Der Jungling machte schaudernd eine ablehnende Handbewegung, und der Untersuchungsrichter, der immer geneigt war, Giraud zu widersprechen, erwiderte: »Aber nein -nicht jetzt. Monsieur Bex wird die Gute haben, den Dolch herzubringen.«
Der Kommissar verlie? das Zimmer. Stonor ging auf Jack zu und druckte ihm die Hand. Poirot hatte sich erhoben und brachte einige Kerzenhalter in Ordnung, die kaum merklich schief standen, was sein ordnungsliebendes Auge sofort bemerkt hatte, per Richter las nochmals den geheimnisvollen Liebesbrief und klammerte sich verzweifelt an seine erste Theorie: Eifersucht und einen Dolchsto? in den Rucken.
Da wurde plotzlich die Tur aufgerissen und der Kommissar sturzte herein.
»Herr Untersuchungsrichter! Herr Untersuchungsrichter!«
»Aber ja, was gibt es denn?«
»Der Dolch! Er ist fort!«
»Was - fort?«
»Verschwunden! Weg! Der Glaskrug, in dem er aufbewahrt war, ist leer!«
»Was?« rief ich. »Unmoglich. Ich sah ihn doch noch heute fruh -« Die Worte erstarben mir auf der Zunge.
Aber die Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung war auf mich gelenkt.
»Was sagen Sie da?« schrie der Kommissar. »Heute fruh?«
»Ich sah ihn heute fruh noch dort«, sagte ich leise. »Ungefahr vor eineinhalb Stunden, um ganz genau zu sein.«
»So gingen Sie in den Schuppen? Woher nahmen Sie den Schlussel?«
»Ich verlangte ihn von dem Gendarm.«
»Und Sie gingen hinein? Weshalb?«
Ich zogerte, aber schlie?lich entschlo? ich mich, reinen Wein einzuschenken, weil es das einzig Richtige war.
»Monsieur Hautet«, sagte ich, »ich habe einen schweren Fehler begangen, fur den ich Ihre Nachsicht erbitte.«
»Weiter, Monsieur.«
»Die Sache verhalt sich so«, sagte ich und wunschte, ich ware weit fort, »ich traf eine junge Dame, die ich