fur seine Heimkehr offenlie?? Aber er kehrte nicht heim, und am nachsten Morgen wurde er erstochen aufgefunden.«
»Eine bewundernswerte Theorie, Hastings, bis auf zwei Tatsachen, die du charakteristischerweise ubersehen hast. Erstens, wer band und knebelte Madame Renauld? Und weshalb, um Himmels willen, waren sie ins Haus zuruckgekehrt, um dies zu tun? Und zweitens gibt es keinen Mann auf der ganzen Welt, der nur mit Unterwasche und Mantel bekleidet zu einem Stelldichein ginge. Es mag Augenblicke geben, in denen ein Mann nur Pyjama und Mantel tragt - aber das? ... niemals!«
»Das ist richtig«, sagte ich kleinlaut.
»Nein«, fuhr Poirot fort, »wir mussen eine Losung fur das Geheimnis der offenen Tur anderswo suchen. Einer Sache bin ich aber ganz gewi? - da? sie das Haus nicht durch die Tur verlie?en. Sie verschwanden durch das Fenster.«
»Was?«
»Unbedingt.«
»Aber es waren doch keine Fu?spuren im Blumenbeet?« -»Nein - und es mu?ten welche dort gewesen sein, Hastings. Der Gartner Auguste bepflanzte am vorhergehenden Nachmittag beide Beete, wie du ihn selbst erzahlen hortest. In dem einen nun gibt es zahlreiche Abdrucke seiner benagelten Stiefel - in dem anderen keine! Siehst du? Jemand kam des Wegs, jemand, der dann die Oberflache des Beetes mit dem Rechen glattete, um seine Fu?spuren zu verwischen.«
»Wo nahmen sie den Rechen her?«
»Wo sie den Spaten und die Gartenhandschuhe hernahmen«, erwiderte Poirot ungeduldig. »Da gab es doch keine Schwierigkeit.«
»Was veranla?t dich anzunehmen, da? sie diesen Weg wahlten? Es scheint doch viel einleuchtender, da? sie durch das Fenster kamen und durch die Tur verschwanden?«
»Naturlich ist auch das moglich. Doch vermute ich sehr, da? sie sich durch das Fenster entfernten.«
»Ich glaube, du hast unrecht.«
»Vielleicht, mon ami.«
Ich sann nach und uberdachte die neuen Moglichkeiten, die Poirots Folgerungen mir eroffnet hatten. Ich erinnerte mich seiner geheimnisvollen Anspielungen auf das Blumenbeet und die Armbanduhr. Seine Bemerkungen schienen im Augenblick so belanglos, und jetzt erst erkannte ich ihre Bedeutung. Aus wenigen geringfugigen Vorfallen hatte er viel von dem Dunkel enthullt, das den Fall umgab. Nachtraglich bewunderte ich meinen Freund.
Und als hatte er meine Gedanken gelesen, nickte er weise dazu: »System«, verstehst du! Nur System! Ordne die Tatsachen. Ordne deine Gedanken. Und wenn irgend etwas nicht stimmt - verwirf es nicht, sondern betrachte es eingehend. Wenn dir seine Wichtigkeit auch nicht klar ist, zu bedeuten hat es etwas.«
»Wenn wir inzwischen«, sagte ich nachdenklich, »mit unserem Wissen auch etwas weitergekommen sind, gelang es uns doch nicht, herauszubekommen, wer Monsieur Renaulds Morder ist.«
»Nein«, sagte Poirot heiter. »Tatsachlich sind wir weiter davon entfernt als je.«
Diese Tatsache schien ihn so au?erordentlich zu befriedigen, da? ich ihn verwundert anschaute. Er fing meinen Blick auf und lachelte. »Aber ja, es ist besser so. Vorher bestand nur die Frage, wie und durch wessen Hande er den Tod gefunden habe. Nun nichts mehr von alledem. Wir tappen im dunklen. Hundert widersprechende Einzelheiten verwirren und bedrangen uns - das ist gut. Das ist ausgezeichnet! Aus dem Chaos entsteht Ordnung. Aber wenn du gleich zum Beginn Ordnung findest - eh bien, sei auf der Hut! Dann ist es - wie soll ich sagen - gefehlt! Der gro?e Verbrecher ist unkompliziert - aber die wenigsten Verbrecher sind gro?! Bei den Bemuhungen, ihre Spuren zu verwischen, verraten sie sich meistens selbst. Oh, mon ami, ich wunschte, eines Tages einem wirklich gro?en Verbrecher zu begegnen - einem, der sein Verbrechen verubt und dann - nichts tut! Sogar mir, Hercule Poirot, konnte es dann geschehen, da? er mir entschlupfte.«
Aber ich folgte seinen Worten nicht. Ein Licht ging mir plotzlich auf: »Poirot! Madame Renauld! Nun wei? ich es. Sie scheint jemanden zu decken.«
Aus der Ruhe, mit der Poirot meine Bemerkung aufnahm, konnte ich ersehen, da? ihm dieser Gedanke nicht fremd war.
»Ja«, sagte er nachdenklich. »Sie schutzt oder verbirgt jemanden. Eines von beiden.«
Ich sah keinen gro?en Unterschied in diesen beiden Bezeichnungen, aber ich entwickelte meine Ansicht mit gro?em Ernst.
Poirot verhielt sich ziemlich verschlossen und wiederholte: »Es kann schon sein - ja, es kann schon sein. Aber bis jetzt wei? ich es nicht. Etwas sehr Dunkles liegt all dem zugrunde. Du wirst schon sehen. Etwas sehr Dunkles.«
Als wir das Hotel betraten, gebot er mir mit einer Handbewegung Schweigen.
13
Wir speisten mit ausgezeichnetem Appetit. Ich verstand sehr gut, da? Poirot dort, wo man so leicht belauscht werden konnte, einem Gesprach uber das Drama auswich. Aber wie immer, wenn ein Thema den Geist so beschaftigt, da? es fur keinen anderen Gedanken Raum la?t, bietet sich kein anderer anregender Gesprachsstoff. Ein Weilchen a?en wir schweigend.
Dann bemerkte Poirot anzuglich: »Eh bien! Und ,deine' Inkorrektheiten! Willst du sie nicht nochmals erzahlen?«
Ich errotete. »Oh, du meinst die von heute morgen?« Ich versuchte einen vollig gleichgultigen Ton anzuschlagen.
Aber ich war Poirot nicht gewachsen. In wenigen Minuten hatte er mir die Geschichte entlockt, seine Augen blinzelten listig.
»Eine hochst romantische Geschichte. Wie hei?t sie, diese reizende junge Dame?«
Ich mu?te gestehen, da? ich es nicht wu?te.
»Also noch romantischer! Das erste Zusammentreffen im Pariser Zug, das zweite hier. Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzahlen, hei?t es nicht so?«
»Sei kein Narr, Poirot!«
»Gestern war es Mademoiselle Daubreuil, heute ist es Mademoiselle - Cinderella! Du hast entschieden das weite Herz eines Turken, Hastings! Du solltest dir einen Harem anlegen!«
»Es ist sehr einfach, mich aufzuziehen. Mademoiselle Daubreuil ist ein sehr schones Madchen, und ich bewundere sie ungemein, ich zogere nicht, es zuzugeben. Mit der anderen ist es nichts - ich glaube nicht, da? ich sie jemals wiedersehen werde. Es war ganz amusant, eine Eisenbahnfahrt mit ihr zu durchplaudern, aber sie gehort nicht zu jenen Madchen, die mir gefahrlich werden konnten.«
»Warum?«
»Nun, vielleicht klingt es eingebildet, weil es keine Dame in jedem Sinn des Wortes ist.«
Poirot nickte nachdenklich. Dann fragte er, und seine Stimme klang viel weniger spottisch: »Du glaubst also an Abstammung und Erziehung?«
»Ich bin vielleicht unmodern, aber ich bin dagegen, da? man au?erhalb dieses Kreises heiratet. Das tut nie gut.«
»Da hast du recht, mon ami. Neunundneunzigmal unter hundert Malen ist es, wie du sagst. Aber da bleibt noch das hundertste Mall Aber das kommt ja nicht in Frage, da du nicht die Absicht hast, die Dame wiederzusehen.«
Seine letzten Worte klangen fast wie eine Frage, und ich fuhlte, wie scharf er mich dabei beobachtete. Vor meinem geistigen Auge erstanden in Feuerlettern die Worte »Hotel du Phare«, und wieder horte ich ihre Stimme, die mir sagte »Besuchen Sie mich«, und meine bereitwillige Antwort »Das will ich gern tun«. Was sollte nun daraus werden? Ich hatte beabsichtigt, gelegentlich hinzugehen, aber seither Zeit gehabt, zu uberlegen. Das Madchen gefiel mir nicht. Wenn ich ruhig uberlegte, kam ich sogar zu dem endgultigen Schlu?, da? sie mir grundlich mi?fiel. Die Vorwurfe, weil ich torichterweise ihre krankhafte Neugier befriedigt hatte, genugten mir vollig; ich hegte nicht den leisesten Wunsch, sie wiederzusehen. Ich antwortete daher leichthin: »Sie forderte mich