auf, sie zu besuchen, aber naturlich tue ich es nicht.«

»Weshalb naturlich?« »Nun, weil ich nicht will.«

»Aha!« Aufmerksam beobachtete er mich eine ganze Weile. »Ja, ich verstehe dich sehr gut. Bleibe aber auch dabei.«

»Das scheint dein bestandiger Ratschlag zu sein«, bemerkte ich etwas verargert.

»Oh, mein Freund, hab Vertrauen zu Papa Poirot. Wenn es dir recht ist, will ich dir eines Tages eine Braut zufuhren, die zu dir pa?t.«

»Danke«, sagte ich lachend, »aber diese Aussicht la?t mich kalt.«

Poirot seufzte und schuttelte den Kopf. »Diese Englander!« sprach er vor sich hin. »Sie haben keine Methoden - keine wie immer gearteten Methoden. Sie uberlassen alles dem Zufall-« Er zog die Stirn in Falten und stellte das Salzfa? an einen anderen Platz. »Mademoiselle Cinderella wohnt im Hotel d'Angleterre, sagtest du nicht so?«

»Nein, im Hotel du Phare.«

»Richtig, ich hatte es vergessen.«

Ein momentaner Verdacht scho? mir durch, den Kopf. Ich hatte bestimmt niemals irgendein Hotel zu Poirot erwahnt. Ich blickte zu ihm hinuber und beruhigte mich sogleich. Er zerschnitt eben sein Brot in kleine gleichma?ige Wurfel und war in diese Beschaftigung vollkommen vertieft. Er mu?te sich eingebildet haben, ich hatte ihm gesagt, wo das Madchen wohne.

Wir tranken den Kaffee drau?en am Strande. Poirot rauchte eine seiner kleinen Zigaretten und zog. die Uhr aus seiner Tasche.

»Der Zug nach Paris fahrt um 2.25 Uhr ab«, bemerkte er. »Es ist hochste Zeit fur mich.«

»Nach Paris?« rief ich.

»So sagte ich, mon ami.«

»Du fahrst nach Paris? Aber warum?«

Er antwortete sehr ernst: »Um den Morder von Monsieur Renauld zu suchen.«

»Du glaubst, da? er in Paris ist?«

»Ich bin ganz sicher, da? er sich dort nicht befindet. Aber Paris ist der Ort, wo ich nach ihm suchen mu?. Du verstehst das nicht, aber ich werde es dir zur rechten Zeit erklaren. Glaub mir, diese Reise nach Paris ist notig. Ich werde nicht lange ausbleiben. Aller Wahrscheinlichkeit nach kehre ich morgen zuruck. Ich fordere dich nicht auf, mich zu begleiten. Bleib hier und behalte Giraud im Auge. Plaudere auch ofter mit Jack Renauld. Und drittens, wenn du willst, bemuhe dich, ihn bei Mademoiselle Marthe auszustechen. Aber ich furchte, da wirst du nicht viel Erfolg haben.«

Die letzte Bemerkung gefiel mir nicht ganz. »Da fallt mir ein«, sagte ich, »ich wollte dich fragen, woher du wu?test, wie die beiden miteinander stehen.«

»Mon ami, ich kenne die menschliche Natur. Bring einen jungen Mann wie Jack und ein so schones Madchen wie Mademoiselle Marthe zusammen, und das Ergebnis ist fast unvermeidlich. Und dann dieser Streit! Es konnte sich nur um Geld oder um eine Frau handeln, und in Erinnerung an Leonies Beschreibung uber die Aufregung des jungen Menschen entschied ich mich fur das letztere. Das war meine Vermutung - und ich hatte recht.«

»Und warntest du mich deshalb davor, mein Herz an die junge Dame zu hangen? Hattest du schon damals den Verdacht, da? sie den jungen Renauld liebt?

Poirot lachelte. »Auf jeden Fall sah ich, da? sie angstvolle Augen hatte. Und so kommt es, da? ich immer an Marthe Daubreuil als das Madchen mit den angstvollen Augen denke.«

Seine Stimme klang so ernst, da? es mich eigenartig beruhrte.

»Wie meinst du das, Poirot?«

»Ich glaube, mein Freund, da? wir das binnen kurzem wissen werden. Aber nun mu? ich fort.«

»Du hast noch ungeheuer viel Zeit.«

»Vielleicht - vielleicht, aber ich liebe es, am Bahnhof noch Mu?e zu haben. Ich kann es nicht leiden, mich hasten, eilen und aufregen zu mussen.«

»Fur alle Falle«, sagte ich und erhob mich, »will ich dich zur Bahn bringen.«

»Das wirst du nicht tun. Ich verbiete es dir.«

Es klang so entschieden, da? ich erstaunt aufblickte. Er nickte nachdrucklich: »Ich meinte es ernst, mon ami. Auf Wiedersehen. Du erlaubst doch, da? ich dich umarme? Ach nein, ich vergesse, da? dies der englischen Sitte nicht entspricht.«

Als Poirot abgereist war, fuhlte ich mich recht verlassen. Ich schlenderte an den Strand hinab, beobachtete die Badenden, ohne die Energie aufzubringen, es ihnen gleichzutun. Ich bildete mir ein wenig ein, da? sich vielleicht unter ihnen, in ein wundervolles Badekostum gehullt, Cinderella befand, sah aber keine Spur von ihr. Ziellos bummelte ich langs der Dunen weiter, bis zum entferntesten Ende der Stadt. Es fiel mir ein, da? es schlie?lich nur ein Gebot der Hoflichkeit ware, mich nach dem Befinden des Madchens zu erkundigen. Und vielleicht wurde es mir letzten Endes noch Unannehmlichkeiten ersparen. Dann ware die Angelegenheit erledigt. Es bestunde dann keine weitere Notwendigkeit fur mich, mir ihretwegen Gedanken zu machen. Wenn ich jedoch uberhaupt nicht hinging, konnte es ihr vielleicht einfallen, mich in der Villa aufzusuchen. Und das ware in jeder Hinsicht peinlich. Entschieden besser, ihr einen kurzen Besuch zu machen, und im Verlauf desselben durchblicken lassen, da? ich in meiner Eigenschaft als Fremdenfuhrer nichts weiter fur sie tun konne.

Also verlie? ich den Strand und ging landeinwarts. Bald fand ich das Hotel du Phare, ein recht unansehnliches Gebaude. Es war im hochsten Grade argerlich, da? ich den Namen der Dame nicht kannte und, um mir nichts zu vergeben, beschlo? ich, drinnen umherzuschlendern und mich umzusehen. Vermutlich wurde ich sie auf der Terrasse finden. Merlinville ist ein kleiner Ort. Man verla?t sein Hotel, um sich an den Strand zu begeben, und man kehrt vom Strand wieder nach dem Hotel zuruck. Andere Zerstreuungen gibt es nicht. Ein Kasino befand sich im Bau.

Da ich die ganzen Dunen abgegangen war, ohne ihr zu begegnen, mu?te sie. im Hotel sein. Ich trat ein. Mehrere Leute sa?en in der Veranda, doch das von mir verfolgte Wild befand sich nicht unter ihnen. Ich schritt durch mehrere Raume, aber auch da war keine Spur von ihr zu entdecken. Dann rief ich den Portier beiseite und druckte ihm funf Franken in die Hand.

»Ich mochte eine Dame besuchen, die hier wohnt. Ein kleines, brunettes junges Madchen, aus England. Ihren Namen wei? ich nicht genau.«

Der Mann schuttelte den Kopf und schien mit Muhe ein Grinsen zu unterdrucken: »Wir haben keine Junge Dame hier, wie Sie sie beschreiben.«

»Vielleicht ist sie Amerikanerin«, deutete ich an.

Der Bursche war zu blod. Er schuttelte abermals den Kopf: »Nein, Monsieur. Alles in allem sind nur sechs oder sieben englische und amerikanische Damen hier, und alle sind viel alter als die Dame, die Sie suchen. Hier werden Sie sie nicht finden, Monsieur.«

Er sprach so bestimmt, da? ich nicht mehr zweifeln konnte.

»Aber die Dame sagte mir, da? sie hier wohne.«

»Monsieur mu? sich geirrt haben - oder es ist wahrscheinlicher, da? die Dame den Irrtum beging, da auch schon ein anderer Herr hier nach ihr fragte.«

»Was sagen Sie da?« rief ich erstaunt.

»Aber ja, Monsieur. Ein Herr, der sie genauso beschrieb, wie Sie es eben taten.«

»Wie sah er aus?«

»Es war ein kleiner Herr, gut gekleidet, mit sehr steifem Schnurrbart, einem eigentumlich geformten Kopf und grunen Augen.«

Poirot! Deshalb also hatte er meine Begleitung zum Bahnhof abgelehnt. Welche Frechheit! Ich wurde ihn bitten mussen, sich nicht in meine Angelegenheiten zu mischen. Bildete er sich ein, ich bedurfe eines Warters, um mich zu betreuen? Ich dankte dem Mann und verlie? das Hotel in einiger Verlegenheit und mit Groll im Herzen gegen meinen voreiligen Freund. Ich bedauerte, da? er augenblicklich au?er Reichweite war. Es ware ein Genu? gewesen, ihm sagen zu konnen, wie ich uber seine unerbetene Einmischung dachte. Hatte ich ihm nicht ausdrucklich versichert, da? ich nicht die Absicht habe, das Madchen wiederzusehen? Freunde konnen manchmal wirklich ubertrieben hilfreich sein.

Aber wo steckte das Madel nun? Ich unterdruckte meinen Arger und versuchte das zu erraten. Augenscheinlich hatte sie aus Versehen ein falsches Hotel genannt. Dann kam mir ein anderer Gedanke. War es

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