»So hatte ich recht? Ich wu?te es ja. Die kleinen grauen Zellen, mein Freund, die kleinen grauen Zellen erzahlten es mir. So - und nur so - la?t sich der zweite Todesfall erklaren. Nun erzahle mir alles. Wenn wir hier linksherum gehen, konnen wir uber den Golfplatz den Weg abkurzen und wir kommen direkt, nur viel schneller hinter der Villa Genevieve heraus.«

Wahrend wir den von ihm empfohlenen Weg einschlugen, erzahlte ich ihm alles, was ich wu?te. Poirot lauschte aufmerksam.

»Der Dolch stak in der Wunde, sagst du? Das ist merkwurdig. Bist du ganz sicher, da? es der gleiche war?«

»Ganz sicher. Dadurch erscheint es ja so unmoglich.«

»Nichts ist unmoglich. Vielleicht gab es zwei Dolche.« Ich zog meine Augenbrauen hoch. »Das ist doch im hochsten Grade unwahrscheinlich. Das ware doch ein au?ergewohnliches Zusammentreffen.«

»Du sprichst wie Immer ohne Uberlegung, Hastings. In manchen Fallen waren zwei vollig gleiche Waffen hochst unwahrscheinlich. Aber hier nicht. Diese eigenartige Waffe ist ein Kriegsandenken, das auf Jack Renaulds Bestellung angefertigt wurde. Es ist wirklich hochst unwahrscheinlich, wenn du daruber nachdenkst, da? er nur eine bestellt hat. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, da? er auch eine zu seinem eigenen Gebrauch besa?.«

»Aber niemand erwahnte dergleichen«, warf ich ein. Ein leise belehrender Unterton schwang durch Poirots Worte:»Mein Freund, wenn man einen Fall ausarbeitet, zieht man nicht nur die Dinge in Erwagung, die erwahnt wurden. Es gibt manchmal keine Veranlassung, Dinge zu erwahnen, die wichtig sein konnten. Und ebenso bestehen andererseits oft triftige Grunde, sie nicht namhaft zu machen. Du hast die Wahl zwischen diesen beiden Ursachen.«

Ich schwieg.

Wenige Minuten spater hatten wir die beruchtigte Hutte erreicht. Wir fanden dort alle unsere Freunde, und nach Austausch hoflicher Liebenswurdigkeiten ging Poirot ans Werk.

Da ich Giraud bei der Arbeit beobachtet hatte, war ich au?erordentlich neugierig. Poirot warf nur einen oberflachlichen Blick auf die Umgebung. Das einzige, was er untersuchte, war das Bundel mit den zerrissenen Kleidungsstucken bei der Tur. Giraud lachelte geringschatzig, und als ob Poirot es bemerkt hatte, warf er das Bundel wieder fort.

»Wohl alte Kleider des Gartners?« fragte er.

»Ganz richtig«, sagte Giraud.

Poirot kniete neben der Leiche nieder. Seine Finger arbeiteten flink, doch systematisch. Er untersuchte das Gewebe der Kleider und verschaffte sich Gewi?heit, da? keine Spuren an ihnen zu finden waren. Die Schuhe uberprufte er besonders sorgfaltig, ebenso die schmutzigen und gebrochenen Fingernagel.

Wahrend er den letzteren seine Aufmerksamkeit schenkte, fragte er Giraud schnell: »Sahen Sie die Nagel?«

»Ja«, erwiderte der andere. Sein Antlitz blieb undurchdringlich.

Plotzlich blieb Poirot starr.

»Doktor Durand!«

»Bitte?« Der Arzt trat naher.

»Da ist Schaum auf den Lippen. Bemerkten Sie das?«

»Ich mu? zugeben, da? mir das nicht aufgefallen ist.«

»Doch jetzt sehen Sie es?«

»Ja, naturlich.«

Poirot befragte Giraud aufs neue.

»Sie bemerkten es doch sicher?«

Der andere blieb die Antwort schuldig. Poirot fuhr in der Arbeit fort. Die Waffe war aus der Wunde entfernt worden. Sie ruhte in einem Glaskrug neben dem Leichnam. Poirot untersuchte sie und prufte dann grundlich die Wunde. Als er aufsah, blitzten seine Augen vor Erregung und leuchteten in dem grunen Licht, das ich so gut kannte.

»Ist das aber eine seltsame Wunde! Sie hat nicht geblutet. Es ist kein Fleckchen an den Kleidern. Nur die Klinge des Dolches ist ein wenig fleckig, das ist alles. Was halten Sie davon, Doktor?«

»Ich kann nur sagen, da? das Hochst anomal ist.«

»Es ist durchaus nicht anomal. Es ist au?erst einfach. Der Mann wurde nach seinem Tode erstochen.« Und nachdem er durch eine Handbewegung die erregten Stimmen zum Schweigen gebracht hatte, wandte Poirot sich an Giraud und fragte: »Monsieur Giraud ist doch meiner Ansicht?«

Was Giraud wirklich dachte, bleibt dahingestellt, er fand sich jedoch in die Situation, ohne mit der Wimper zu zucken. Ruhig antwortete er: »Gewi? bin ich Ihrer Ansicht.«

Wieder wurden Rufe des Staunens und der Neugierde laut. »Aber was fur ein Einfall!« rief M. Hautet. »Einen Mann noch nach seinem Tode zu erstechen! Ganz unerhort! Vielleicht aus unstillbarem Ha?.«

»Nein«, sagte Poirot. »Ich mochte annehmen, da? es vollkommen kaltblutig geschah - um einen Eindruck zu erwecken.«

»Welchen Eindruck?«

»Den Eindruck, den es beinahe erweckte«, erwiderte Poirot ratselhaft.

M. Bex dachte nach.

»Wie wurde dieser Mann denn ermordet?«

»Er wurde nicht ermordet. Er starb. Er starb, wenn mich nicht alles tauscht, an einem epileptischen Anfall!«

Diese Feststellung Poirots loste wieder erhebliche Erregung aus. Dr. Durand kniete nochmals nieder und untersuchte neuerdings den Leichnam. Endlich erhob er sich.

»Monsieur Poirot, ich glaube, Ihre Annahme ist richtig. Ich lie? mich von Anfang an irrefuhren. Die unstreitige Tatsache, da? der Mann erstochen wurde, lenkte meine Aufmerksamkeit von allen anderen Anzeichen ab.«

Poirot war der Held der Stunde. Der Untersuchungsrichter erging sich in Lobeshymnen. Poirot dankte liebenswurdig und bat dann, sich zuruckziehen zu durfen, da er, wie er angab, noch nicht gefruhstuckt habe und das dringende Bedurfnis fuhle, den Reisestaub von seinen Kleidern zu schutteln. Als wir die Hutte verlassen wollten, trat Giraud auf uns zu.

»Noch etwas, Monsieur Poirot«, sagte er mit seiner sanft ironischen Art. »Dies fanden wir um den Griff des Dolches geringelt - ein Frauenhaar.«

»Ah!« sagte Poirot. »Ein Frauenhaar? Von welcher Frau, das wu?te ich gern.«

»Ich auch«, sagte Giraud, verbeugte sich und verlie? uns.

»Hartnackig war der gute Giraud«, sagte Poirot nachdenklich, als wir nach dem Hotel gingen. »Ich mochte gerne wissen, nach welcher Richtung er mich irrezufuhren hofft? Ein Frauenhaar - hm!«

Wir a?en mit bestem Appetit, aber Poirot schien mir zerstreut und unaufmerksam. Dann begaben wir uns auf unser Zimmer, und ich bat ihn, mir etwas uber seine geheimnisvolle Reise nach Paris zu erzahlen.

»Gern, mein Freund. Ich fuhr nach Paris, um dies zu finden.« Er entnahm seiner Tasche einen kleinen, vergilbten Zeitungsausschnitt. Es war die Reproduktion eines Frauenbildnisses.

Er reichte mir das Blatt. Ein erstaunter Ausruf entfuhr mir.

»Erkennst du sie, mein Freund?«

Ich nickte. Obwohl die Fotografie sichtlich schon viele Jahre zurucklag und die Haartracht einer anderen Zeit entsprach, war die Ahnlichkeit unverkennbar.

»Madame Daubreuil!« rief ich aus.

Poirot schuttelte lachelnd den Kopf: »Nicht ganz richtig, mein Freund. In jenen Tagen nannte sie sich anders. Dies ist ein Bildnis der beruchtigten Madame Beroldy!«

Madame Beroldy! Blitzartig kam mir alles in Erinnerung. Jener Mordversuch, der ein so allgemeines Aufsehen erweckt hatte.

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