hasst.

Schlie?lich aber schob ich den kleinen Metallriegel zur Seite und offnete die Tur. Wieder der Geruch von etwas Eingeschlossenem, von ausgeatmeter Luft. Ich konnte den Brandgeruch noch wahrnehmen, aber er war schwacher geworden. Au?erdem war kein Rauch zu sehen. Ganz im Gegenteil sogar, denn die Luft war so eisig kalt wie in einem Kuhlschrank.

Liz schauderte. »Sieht nicht so aus, als wurde es brennen.«

Ich umklammerte mit meiner linken Hand fest das Stuhlbein. »Finde ich auch.«

»Brauchst du eine Taschenlampe?«

»Ich hab keine. Na ja, eigentlich habe ich schon eine, aber die Batterien waren den ganzen Winter uber drin und sind jetzt grun und verkrustet. Ich wollte heute eine neue kaufen ...«

Ich schaltete das Licht auf dem Treppenabsatz an. So wie zuvor der Spiegel schaffte das Licht es nur, die ersten Stufen zu beleuchten. Dahinter wurde der braune abgenutzte Filz von der Finsternis geschluckt.

»Na los«, spornte Liz mich an.

»Okay, okay, ich uberlege, was ich mache, wenn ich es finde.«

»Mit dem Stuhlbein draufschlagen, was sonst?«

»Und wenn es mich anspringt?«

»Dann halt das Stuhlbein hoher.«

Einen Augenblick lang dachte ich nach, dann sagte ich: »Ja, du hast Recht.« Immerhin ging es um eine Ratte. Eine gro?e, viel zu gro?e Ratte, eine Schadlingsversion von General Woundsworth aus Watership Down. Und was das Geschrei anging ... in der Nacht klingt jedes Gerausch zehnmal so schlimm.

Ich zog den Kopf ein und stieg die ersten drei Stufen hinauf, die drei, die ich erkennen konnte. Schlie?lich erreichte ich den Punkt, an dem ich weit genug oben war, um durch die Stangen des Gelanders auf den Speicher zu blicken. Ich erkannte ein paar Formen, die ich schon zuvor gesehen hatte. Bei einigen handelte es sich erkennbar um Mobelstucke, uber die zum Schutz gegen Staub ein Laken gelegt worden war. Andere waren Wascheberge. Es war zu dunkel, um sonst noch viel zu erkennen. Ich drehte mich zu Liz um und flusterte: »Hier ist nichts, es muss eine Taube gewesen sein.«

»Warte doch einen Augenblick«, ermutigte Liz mich.

Ich schnupperte und sah mich um. Der Brandgeruch war vollig verschwunden. Allmahlich gewohnten sich meine Augen an die Dunkelheit und lie?en mich eine Garderobe und einen Spiegel erkennen.

Gerade wollte ich nach unten gehen, als ein durchdringendes elektrisches Knallen zu horen war. Und fur den

Bruchteil einer Sekunde war der Speicher in blendendes blaues Licht getaucht.

»David!«, rief Liz. »David, alles in Ordnung?«

Zunachst konnte ich nicht antworten. Ich war nicht sicher, was ich gerade gesehen hatte. In diesem kurzen grellen Aufflackern hatte es wie ein Kind ausgesehen, ein kleines Madchen, das ein langes wei?es Nachthemd trug - das vom Licht erfasst wurde, wahrend es uber den Dachboden ging. Das ovale wei?e Gesicht war mir zugewandt, und nach dem Blick in den Augen zu urteilen, hatte es mich ebenfalls gesehen.

»David?«, wiederholte Liz.

»Ich ... ich bin nicht sicher, ich glaube, ich habe etwas gesehen...«

»David, komm nach unten.«

»Nein, ich bin sicher. Das ist keine Ratte. Es ist ein kleines Madchen.«

»Ein kleines Madchen? Was soll das denn mitten in der Nacht auf dem Speicher suchen?«

Ich strengte meine Augen an, das Licht hatte mich so sehr geblendet, dass ich nicht einmal mehr die Garderobe oder den Spiegel erkennen konnte.

»Wer ist da?«, rief ich, wahrend ich versuchte nicht wutend, sondern vertrauenswurdig zu klingen. »Ist da jemand?« Alles blieb ruhig.

»Du klingst so, als wurdest du eine Seance abhalten«, scherzte Liz nervos.

Ich starrte und ich lauschte, aber es waren nur noch die typischen nachtlichen Gerausche zu horen. »Konnte sein«, erwiderte ich.

»Komm nach unten«, beharrte sie.

Ich wartete noch fast drei Minuten. Ich rief wieder und wieder, aber es gab weder weitere Lichtblitze noch Schreie und auch keine Anzeichen fur ein kleines Madchen. Gerade wollte ich mich zuruckziehen, als ich ein schwaches, verstohlenes Scharren in einer Ecke des Dachbodens horte, doch das hatte von allem herruhren konnen. Langsam stieg ich nach unten, wahrend ich versuchte, nicht zu zeigen, welche Angst ich hatte. Dann schloss ich die Tur hinter mir.

»Und? Was glaubst du, ist es?«, fragte Liz.

Ich schuttelte den Kopf. »Keine Ahnung. >Ich habe mir auch noch nie die Muhe gemacht, es herauszufinden<, hatte Harry Martin gesagt. Vielleicht ist es nur irgendeine elektrische Storung. Wir sind nahe am Meer, vielleicht war es ein Blitz. Ich werde sehen, ob ich im Dorf einen Blitzableiter auftreiben kann.«

»Mochtest du eine Tasse Tee?«, fragte Liz. »Du zitterst ja.«

»Wurdest du an meiner Stelle auch«, erwiderte ich. »Ein Tee ist eine gute Idee.«

»Glaubst du wirklich, dass du ein kleines Madchen gesehen hast?«

»Es sah zumindest so aus wie ein kleines Madchen. Andererseits konnte es auch ein Stuhl mit einer hohen Ruckenlehne sein, uber den man ein Laken geworfen hat. Ich glaube, meine Nerven konnten den Unterschied nicht feststellen.«

Aber ich hatte das Gesicht des Madchens gesehen, ein besturztes Gesicht, von Zweifeln gezeichnet und durch Vernachlassigung seiner gesunden Farbe beraubt.

Wir gingen gemeinsam nach unten in die Kuche. Am Himmel zeigte sich gerade die erste schwache Andeutung eines Sonnenaufgangs. Ich setzte mich an den Kuchentisch, wahrend Liz den Wasserkessel auf die Kochplatte stellte.

»Vielleicht sind da oben wirklich Kinder«, sagte Liz. »Vielleicht haben sie sich da oben einquartiert.«

»Oh, ja, und ich bin vielleicht Dschingis Khan. Und wie sollen sie raus-und reinkommen, ohne dass wir das merken? Und falls es sich wirklich um Kinder handelt, dann wurden sie nicht einen solchen Larm machen. Sie wurden doch nicht wollen, dass sie entdeckt werden, oder?«

»Wurde es dir etwas ausmachen?«, fragte Liz, warf einen Teebeutel in meinen Becher und druckte ihn mit dem Finger ins Wasser. »Autsch, das ist hei?!«

»Wurde mir was etwas ausmachen?«

»Wurde es dir etwas ausmachen, wenn es richtige Kinder waren? Vielleicht sind sie aus der Gegend und verstecken sich vor ihren Eltern.«

Ich nahm meinen Becher, musste aber ein oder zwei Minuten lang pusten, bevor der Tee so weit abgekuhlt war, dass ich einen Schluck nehmen konnte. »Ich bin nicht sicher«, gab ich zuruck. »Mir ist es egal, solange sie kein Chaos veranstalten. Und solange sie mich nachts durchschlafen lassen.«

Liz nahm mir gegenuber Platz. Sie trank ihren Tee so dunkel, dass er fast wie Kaffee aussah.

»Ich wei?«, sagte sie. »Warum stellen wir ihnen nicht eine Falle?«

»Eine Falle? Was denn fur eine Falle? Wenn es wirklich Kinder sind, konnen wir ihnen doch nichts antun.«

»Naturlich nicht. Wir mussen nur den Boden mit Papier auslegen und darauf Ru? oder Talkumpuder streuen. Wenn sie durchlaufen, hinterlassen sie einen Fu?abdruck. Das haben wir in der Schule gemacht, um festzustellen, ob sich jemand in unser Zimmer geschliche n hatte.«

»Es ware den Versuch wert.«

Wahrend wir dasa?en und unseren Tee tranken, hatte ich das Gefuhl, dass Fortyfoot House ausgiebig erzitterte. Und irgendwo am au?ersten Rand meiner Wahrnehmung glaubte ich, ein Kind schreien zu horen. Sobald ich aber darauf achtete, war kein Gerausch mehr da. Nur diese sonderbare Leere, die man wahrnehmen kann, wenn ein gerade noch vorbeirasender Zug bereits au?er Horweite gelangt ist.

Traume, dachte ich. Einbildung. Als ich aber zum Spulbecken ging, um meinen Becher auszuwaschen, bemerkte ich im Garten einen Schatten, der eigentlich kein

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