glanzten. Sie hatten sich durch seine Kopfhaut gebohrt und dann seinen Skalp immer und immer wieder gedreht, sodass seine Haut von seinem Gesicht gezogen wurde.

»Harry, halten Sie durch«, flehte ich ihn an.

Er starrte mich mit blutunterlaufenen Augen an. Seine Haut war am Kinn aufgerissen, und plotzlich rutschte seine Zunge hinter der losgelosten Haut nach unten und glitt durch die blutige Offnung unter seine Unterlippe. Es sah so aus, als hatte er auf einmal zwei Munder. Dann schob sich sein ganzes Gesicht mit einem zahen Gerausch nach oben, so wie ein blutiger Handschuh, der abgestreift wird. Ich blickte auf einen haut-und fleischlosen Schadel, Augen ohne Lider, Zahne, die aus dem blutig rohen Kiefer herausragten, um ein letztes Lacheln zu zeigen. Der lebende Tod mit dem gespenstischen Lacheln unertraglicher Qualen, einem wissenden Lacheln, dass der Kampf bald voruber sein wurde.

Ich schwankte, verlor auf der Kiste meinen Halt und musste nach unten springen. Harry hing noch immer an dem Dachfenster, er ruderte mit Armen und Beinen, doch auf eine nachlassige, ergebene Weise. Wie ein Schwimmer, der zu mude ist, um sich uber Wasser zu halten. Ich hatte das Gefuhl, dass er einfach nur versuchte, das Blut aus seinem verwusteten Kopf zu pumpen, um endlich zu verbluten, ohne zu viel Schmerzen zu erleiden.

»Liz«, flusterte ich.

Dann wirbelte Harry herum und sackte zu Boden. Zitternd lag er in seinem Rattenfangeranzug auf der Seite, wahrend ich einen Blick nach oben zum Dachfenster warf. Das Glas war blutuberstromt, und uberall an der Decke waren dunkle Blutspritzer zu sehen.

»Harry«, sagte ich und beruhrte seine blutgetrankte Schulter. »Harry, ich rufe einen Krankenwagen. Bleiben Sie ganz ruhig liegen, Harry. Bewegen Sie sich nicht.«

Er starrte mich mit seinen blutigen Augen an.

»Ich... ich...« Er atmete schwer, wahrend sich seine fleischlosen Lippen schwach bewegten.

»Schon gut, Harry«, versicherte ich ihm. »Alles ist in Ordnung. Aber bleiben Sie bitte ruhig liegen. Ich bin in ein paar Minuten zuruck.«

»Ich...«, wiederholte er. Seine Augen waren wie erstarrt, weil er keine Lider mehr hatte, die er uber sie hatte gleiten lassen konnen.

Ich eilte die Speicherstufen nach unten und sturmte in die Kuche.

Liz stand in der offenen Tur. »David? Was ist los?«, fragte sie.

»Harry ... der Rattenfanger. Er hatte einen Unfall.« Ich riss den Horer hoch und tippte den Notruf ein.

»Was kann ich fur Sie tun?«, ertonte die Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Einen Krankenwagen, schnell! Fortyfoot House in Bonchurch.«

Liz bewegte sich auf die Treppe zu. »Was ist passiert?«, fragte sie. »Soll ich ...« »Nein!«, schrie ich sie an.

Sie blieb stehen, ihre Augen weiteten sich, und dann verstand sie, was geschehen war.

»Sir, geben Sie mir bitte Ihre Nummer?«, forderte die Stimme mich auf. »Sir?«

7. Sweet Emmeline

 Detective Sergeant Miller kam hinaus in den Garten und wischte sich den Staub von seinem zerknitterten grauen Anzug. Er erinnerte eher an einen Museumsdirektor als an einen Polizeibeamten - rosafarbene Haut, schutteres strohblondes Haar, wasserblaue Augen hinter kreisrunden Brillenglasern. Er trug eine Krawatte des Isle of Wight Yacht Club und hatte sich eine rosafarbene Rose ans Revers gesteckt.

Ich wei? nie so recht, was ich von Mannern halten soll, die Blumen am Revers tragen - nicht etwa, weil ich sie fur schwul halte, sondern weil ich bei ihnen immer den Eindruck habe, dass sie sich die adretten Jungs der funfziger Jahre zum Vorbild nehmen: schicke Blazer und Seidenkrawatten mit Hufeisenmuster. Die adretten Jungs der funfziger Jahre (wie mein Vater und mein Onkel Derek) hatten ublicherweise eine von Armut gepragte, ungluckliche Kindheit hinter sich und glaubten, dass Blazer und Seidenkrawatten (und Rosen am Revers) sie automatisch zu Mannern von Stil machten.

»Sie mussen sich keine Vorwurfe machen, Mr. ... ahm ...?«, sagte er mir, wahrend er sich im Garten umsah. »Es war ein Unfall, weiter nichts.«

»Ich sage Ihnen doch, ich habe Klauen gesehen.«

Mit der Fingerspitze druckte er seine Nase, um ein Niesen zu unterdrucken, aber dann musste er doch niesen. »Tut mir

Leid, Heuschnupfen«, sagte er, wahrend er ein Taschentuch hervorholte.

»Ich wei? nicht, wie das ein Unfall gewesen sein soll«, sagte ich.

Nachdem er seine Nase geschnauzt hatte, sah er mich so kurz an, als wolle er mir eigentlich nicht in die Augen blicken. »Auf diesem Dachboden gibt es eine ganze Menge hasslicher Haken. Er ist an einem von ihnen hangen geblieben, es war ein Ungluck, nichts weiter. Er hat seinen Halt verloren, ist umhergewirbelt und hat sich dabei die Haut vom Kopf gerissen. Das ist alles. So was sehe ich nicht zum ersten Mal. Letztes Jahr ist ein Kerl mit seiner Hand in eine Drehbank geraten, druben am Blackgang-Sagewerk. Das Ding hat ihm die Haut - ratsch - bis zum Ellbogen abgerissen.«

Ich legte meine Hand vor den Mund. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Ich war sicher, dass ich gesehen hatte, wie sich geschwungene schwarze Klauen in Harrys Kopf gebohrt hatten. Ich war sicher, dass irgendetwas da oben auf dem Speicher war, das ihm die Haut vom Kopf gerissen hatte. Wie sollte das ein Unfall gewesen sein? Wie sollte er sich so verfangen, dass ihm das ganze Gesicht einfach weggerissen wurde?

Ich wusste, dass Brown Jenkin das gemacht hatte, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie er das hatte bewerkstelligen konnen. Ich hatte versucht, Detective Sergeant Miller zu erklaren, dass sich auf dem Speicher moglicherweise eine Art >Hyper-Ratte< befand. Doch Miller hatte mich mit seinen blassblauen Augen angesehen, durch seine kleinen Brillenglaser, und er hatte so entschlossen gewirkt, nicht an Brown Jenkin, sondern an einen Unfall zu glauben, dass ich beschlossen hatte, besser den Mund zu halten und lieber dafur zu sorgen, dass Danny und Liz vor den bedrohlichen Dingen geschutzt wurden, die sich im Fortyfoot House befinden mochten. Und ich hatte beschlossen, dankbar dafur zu sein, dass die Polizei nicht auf die Idee gekommen war, mich wegen eines tatlichen Angriffs auf Harry Martin festzunehmen.

Die Polizei macht so etwas, wenn man am wenigsten damit rechnet. Manchmal muss man tatsachlich uberlegen, ob man sie uberhaupt informieren soll.

»Sie bleiben doch in der Gegend, oder?«, fragte mich Detective Sergeant Miller.

»Ja, ja, noch zwei bis drei Monate. Ich soll das komplette Haus renovieren, neue Leitungen verlegen, verputzen, tapezieren. Von allem etwas.«

»Dann kommen die Tarrants also zuruck?«

Ich schuttelte den Kopf. »Sie wollen es verkaufen. Sie haben sich nach Mallorca zuruckgezogen.«

»Manche Leute haben halt Gluck«, meinte Miller. »Sie waren offensichtlich noch nie auf Mallorca.«

Er sah mich lange Zeit an, ohne zu blinzeln. Ich war mir nicht sicher, ob er mir Angst einjagen oder ob er mir auf telepathischem Wege zu verstehen geben wollte, dass er schon mal auf Mallorca gewesen war. Immerhin musste ein Mann mit einer Rose am Revers uberall gewesen sein. Oder besser gesagt: Er sollte uberall gewesen sein.

»Das ware es dann fur den Augenblick«, sagte er. »Ich gehe davon aus, dass wir uns noch mal bei Ihnen melden. Aber es sieht alles nach Routine aus.«

»Haben Sie den Dachboden abgesucht?«, fragte ich ihn.

Er starrte mich noch immer durchdringend an, wahrend er antwortete: »Ja, wir haben alles abgesucht.«

»Keine Ratten? Auch keine Anzeichen fur Ratten?«

»Nein, Mister... ? Keine Anzeichen fur Ratten. Nur Haken. Drei verdammt gro?e eiserne Haken. Vermutlich hat man die fruher benutzt, um Dinge auf den Dachboden zu hieven. Bevor dieser Teil abgetrennt wurde.«

Вы читаете Die Opferung
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×